Verbändereport AUSGABE 3 / 2014

Die Zukunft ist partizipativ

Ein Gespräch mit Tobias Kemnitzer, bagfa e.V.

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Eine Organisation wird lebendiger, bekommt mehr Impulse, eine bessere Verankerung, andere Kultureinflüsse und wird am Ende vielleicht wirkungsvoller, meint Tobias Kemnitzer. Und wodurch? Durch mehr Freiwillige in der Organisation, so der Geschäftsführer der bagfa. Leicht sei so ein Weg nicht, es brauche einige Zeit, bis sich eine Freiwilligenkultur entwickele. Können Verbände von Organisationen der Zivilgesellschaft lernen? Ja, meint Kemnitzer, bei Arroganzverzicht. Henning von Vieregge fragte.

VR: Wofür steht bagfa?

Tobias Kemnitzer: Für Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen. Also der Dach- und Fachverband aller Freiwilligenagenturen in Deutschland. Unsere Aufgabe ist es, die Freiwilligenagenturen in ihrer Arbeit zu unterstützen.

VR: Wie viel Hauptamtlichkeit hat die bagfa?

Wir haben fünf Teilzeit-Mitarbeiter.

VR: Auf welche Weise arbeitet der Dachverband?

Ich nenne beispielhaft unsere Fachseminare, Öffentlichkeitsarbeit, Qualitätsmanagement und Lobbyarbeit. Wir sorgen durch eine Jahrestagung und einen eigenen Preis, den Innovationspreis, für Impulse und schaffen Gelegenheiten zur Vernetzung und zum Voneinanderlernen. Unsere Lobbyarbeit in Berlin soll helfen, Freiwilligenagenturen unter Parlamentariern und in der Ministerialverwaltung bekannter zu machen. Wir brauchen auch verlässliche Unterstützung durch staatliche Institutionen.

VR: Freiwilligenagenturen sind hierzulande etwas relativ Neues?

Im nächsten Jahr wird die bagfa 15 Jahre alt. Diese Bewegung ist also nicht mehr unbedingt taufrisch, aber jugendlich.

VR: Mittlerweile gibt es deutschlandweit rund 400 Freiwilligenagenturen. Was hat zur Gründung geführt? 

Der Impuls kam aus Holland und den USA. Ausschlaggebend waren Befunde der Engagementforschung. Es gibt nicht mehr, jedenfalls nicht in bestimmendem Ausmaß, den Automatismus eines Erb-Engagements: „Ich engagiere mich da, wo sich auch meine Eltern engagieren.“ Die Folgen sozialen Wandels verändern auch die Bedingungen von Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Menschen sind mobiler als früher, sie verlassen öfter den ländlichen Raum. Gleichzeitig ist der Individualisierung zum Trotz die Bereitschaft zu freiwilliger, unentgeltlicher Arbeit, die Dritten zugutekommt, geblieben. Um die Menschen punktueller, passgenauer, passend zu ihrem Lebensstil ins Engagement zu bringen, ist Beratung notwendig oder doch hilfreich.

VR: Könnte die Gründungswelle der Freiwilligenagenturen auch dadurch ausgelöst worden sein, dass die Politik das Thema Engagement als ein wichtiges erkannt hat? 1999 gab es den ersten Freiwilligen-Survey. Seitdem wurde diese große repräsentative  Umfrage zweimal wiederholt. Das hat doch einen Schub gegeben.

Eine Reihe von Freiwilligenagenturen gab es bereits vor 1999; es war schon aus der Zivilgesellschaft heraus eine Bewegung. Andererseits war es schon wichtig, dass die Politik – ich erinnere an die wichtige Arbeit der Enquetekommission des Bundestages zum Thema „bürgerschaftliches Engagement“ zu Anfang dieses Jahrhunderts – Entwicklungen von unten aufgegriffen und das Thema gepusht hat. Vielerorts hat das auch zu lokaler Gründungsaktivität geführt.

VR: Beim ersten Freiwilligen-Survey 1999 gab es eine richtige Überraschung. Viele Sozialforscher hatten, Stichwort Individualisierung, mit deutlich weniger Engagement gerechnet. Die weiteren Freiwilligen-Surveys haben aber bestätigt, dass wir eine stabile Ein-Drittel-Aktive-Gesellschaft sind.  Ist das viel oder wenig? 

Es ist beides, übrigens auch im internationalen Vergleich. Wir sind wohl im Mittelfeld. Aber wie wichtig ist die quantitative Betrachtung? Ich finde, wir brauchen einen qualitativen Ansatz: Wer engagiert sich überhaupt, wen bringen wir ins Engagement, was bringt es den Leuten, was bringt es tatsächlich vor Ort?

VR: Die meisten Freiwilligenagenturen sind direkt oder indirekt kommunal und damit öffentlich finanziert. Kann man das so sagen?

Ja, in der Tat. Die meisten bekommen Geld oder auch Sachleistungen von der Kommune, in einigen Bundesländern gibt es einen Zuschuss. Allerdings reicht das nicht. Viele sind unzureichend ausgestattet. Ein Drittel arbeitet mit einem Jahresbudget, das unter 10.000 Euro im Jahr liegt. Alle Freiwilligenagenturen arbeiten dann auch mit weiteren, unterschiedlichen Finanzierungsquellen.

VR: Bedeutet dies, dass die Freiwilligenagenturen selber mit viel Freiwilligkeit arbeiten?

Eigentlich immer in einem Mix. Es gibt auch Freiwilligenagenturen, die haben zehn bis 20 bezahlte Mitarbeiter, aber auch die haben um die Hauptamtlichen herum ein Netz von Freiwilligen geschaffen, die ihre Projekte und Aktivitäten mittragen. Und es gibt auch immer einen Finanzierungsmix aus öffentlichen Mitteln, von der Kommune, Länderprogramme, dazu Privatgelder aus Stiftungen etc.

VR: Ist der Bundesverband, also die bagfa, auch überwiegend öffentlich finanziert?

Wir haben ungefähr eine 50/50-Quote. 50 Prozent aus dem Familienministerium, das ist das zuständige Ministerium in der Bundesregierung für das Themenfeld Engagementpolitik, und 50 Prozent kommen bei uns aus ganz unterschiedlichen Töpfen zusammen: Stiftungen, Spenden, Sponsoring, Mitgliedsbeiträge, Projekte mit anderen Partnern.

VR: So ein Mix ist einerseits erwünscht, weil er etwas mehr Stabilität gibt, andererseits aber auch ein Ressourcenfresser. Alle diese Gelder sind ja nie automatisch und für immer.

Das ist das Problem, wir fragen praktisch immer wieder neu bei den Sponsoren an. Wobei es wiederum einige gibt, da ist die Nachfrage mehr oder weniger eine bloße Pflichtübung, Gott sei Dank. Aber auch da steigen die Budgets ja nicht. Wir stellen fest, dass der Konkurrenzkampf unter den Unterstützungssuchenden steigt, weil es in Deutschland zu wenig Unternehmen und Stiftungen gibt, die dem Themenfeld bürgerschaftliches Engagement zugewandt sind. Die Töpfe bleiben gleich gefüllt, aber die Initiativen, die Geld brauchen, wachsen einfach. Und die öffentlichen Hände fahren eher zurück als auszubauen. 

VR: Und welcher Verband ist nicht auf der Suche nach Sponsoren?  

Und alle wenden sich immer an die gleichen. Gerade im Bereich der Stiftungen gibt es nur zwei bis drei, die tatsächlich aktiv sind und auch geldlich in der Lage sind, etwas zu bewegen. Es geht vor allem um Personalressourcen. Dann brauchst du eine Stiftung, die in der Lage ist, 50.000 Euro im Jahr auf den Tisch zu legen, oder zumindest 30.000 Euro, um eine halbe Stelle zu finanzieren. 

VR: Bei den aktuell deutlich geringeren Renditen haben viele Stiftungen viel weniger Möglichkeiten als vor einigen Jahren.

Nicht alle Stiftungen leben von ihren Renditen. Andere haben Unternehmensanteile, wie Bosch, Körber und Bertelsmann. Es sind tatsächlich nur wenige Stiftungen, die nur von den Renditen ihre Programme bestreiten.

VR: Zivilgesellschaft sucht finanziellen Support beim Staat, bei Stiftungen, aber auch bei Unternehmen. Sollte man Geldsuche und Kooperationsangebot kombinieren? 

Ja, das ist eine Möglichkeit. Aber ich finde, man muss nicht immer Kooperation suchen. Vielleicht gibt es ja gar keine Schnittmengen. Es dauert in jedem Fall zwei bis drei Jahre, bis Kooperation fruchtet. Eine Spende ist dann manchmal für beide Seiten unkomplizierter. Dieses halb-halb und dann machen wir mal damit einen social gag, feiern uns nach außen, das finde ich einfach schwierig. Da müsste es unterschiedliche Stufen und Felder von Zusammenarbeit geben.

VR: Wenn man bei den Freiwilligenagenturen sagt, Ihr seid Arbeitsämter für Freiwillige, zucken die dann ein bisschen zusammen? 

Ich glaube, dass diese Arbeitsanalogie richtig und falsch zugleich ist. Falsch, weil Engagement etwas komplett anderes sein soll, nämlich vor allem unentgeltlich, der Gesellschaft zugewandt, und denen, die das machen, Impulse und Qualifikationen bietend. Auf der anderen Seite haben die Menschen uns verstanden, wenn sie Freiwilligenagentur auch mit Vermittlung assoziieren. Darüber hinaus sind Freiwilligenagenturen natürlich auch in anderen Feldern aktiv: Netzwerk- und Projektarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Annerkennung für das Engagement.

VR: Ist Freiwilligen-Arbeit denn wirklich immer unentgeltlich?

Die Grenzziehung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit ist nicht immer eindeutig. Stichwort Monetarisierung, Übungsleiterpauschale, Aufwandsentschädigung, z. B. Stundenlöhne, oder die Bezahlung in den verschiedenen Angeboten eines sozialen Jahres. Wenn allen Menschen der Zugang zum Engagement offen stehen soll – und dies ist ein wichtiges Merkmal einer freiheitlichen Gesellschaft –, dann geht dies im Einzelfall vielleicht auch gar nicht ohne finanzielle Unterstützung.

VR: Überprüft Ihr, welche Konstruktion von Freiwilligenagenturen die größte Aussicht auf Effizienz hat?

Ich weiß nicht, ob Effizienz das richtige Stichwort ist oder ob man sagt ...

VR:  Wirkung?

Aber dann wären wir ja praktisch bei einer Dienstleistungseinrichtung. Das könnte ja jeder machen. Da legt man Standard vor und sagt, ihr müsst die Dienstleistungen erfüllen. Wir müssen hier die gesellschaftliche Verankerung sehen.

VR: Ich verstehe den Einwand. Dann fragen wir doch mal: Wenn die Freiwilligenagenturen Institutionen sind, die dem Aufbau der Zivilgesellschaft dienen sollen, dann müsste man ja fragen: In welcher Konstruktion und mit welchem Selbstbild kann dies geschehen? Und dann müsste man fragen: Ist z. B. eine völlige Einordnung der Organisation in eine kommunale Behörde das Ideale oder eine Auslagerung besser? Sollte der Sozialdezernent der Stadt der Vorsitzende des Vereins der Freiwilligenagentur sein oder sollte die Freiwilligenagentur zwar gefördert werden, aber doch formal auf eigenen Füßen stehen? Solche Fragen lassen sich ja im Vergleich der Agenturen doch beantworten, oder?

Ja und nein. Man sagt ja immer, es bringt nichts, gegen eine Stadt zu arbeiten. Es gibt dazu die Frage nach Nähe und Distanz. Wenn die Aufgabe Förderung und Vermittlung von Bürgerengagement  kommunal verankert ist, kann man davon ausgehen, dass der Bürgermeister dahintersteht. Dann kannst du eher die neutrale Mittlerposition einnehmen. Allerdings ist man dann relativ unflexibel, was eigene Projekte angeht. Bei der Rechtsform eingetragener Verein kann man stärker selbstständig steuern und über die Mitglieder eine stärkere Partizipation haben. Im Moment ist es ungefähr so, ein Drittel der Freiwilligenagenturen ist eigenständig, ein Drittel ist bei Wohlfahrtsverbänden und ein Drittel ist kommunal.

VR: Was tut der Dachverband, um ein Mindestmaß an Einheitlichkeit trotz gegebener Unterschiedlichkeit bei seinen Mitgliedern anzustreben?

Wir als Dachverband haben Qualitätsstandards vorgegeben. Wer bei uns Mitglied ist oder werden will, muss diese Standards einhalten. Darüber hinaus haben wir ein eigenes Qualitätsmanagementsystem mit einem Qualitätssiegel entwickelt. Das haben bereits 50 Freiwilligenagenturen durchlaufen. Damit bleibt für Nutzer auch bei unterschiedlichen Rahmenbedingungen erkennbar, was eine Freiwilligenagentur leistet. Wir wollen aber nicht die Konstruktion in der Kommune vorschreiben. Das muss, um erfolgreich zu sein, vor Ort entschieden werden.

VR: Nun haben die Wohlfahrtsverbände die Freiwilligen als Ressource entdeckt und gehen sogar mit teilweise wuchtiger Power an das Thema ran. Wenn ich mir z. B. den Auftritt der Caritas angucke, die mittlerweile so auch regional eigene Datenbanken für Sucher und Anbieter von Einsatzorten. Unliebsame Konkurrenz?

Wie gesagt, rund ein Drittel der Freiwilligenagenturen sind ja auch in Trägerschaft von Wohlfahrtsverbänden. Uns ist es nur wichtig, dass Freiwilligenagenturen trägerübergreifende Angebote haben, sonst sind die in unseren Augen keine Freiwilligenagenturen.

VR: Wenn so ein großer Wohlfahrtsverband – und die anderen ziehen nach – an so ein Thema rangeht, kann eine Freiwilligenagentur vor Ort dann zur Resterampe werden?

Das kann passieren. Da muss man real die Gegebenheiten in der Bundesrepublik anschauen. Der Wohlfahrtsstaat beruht auf den Säulen der Wohlfahrtsverbände.

VR: Und Kooperation?

In der Regel kannst du vor Ort keine Freiwilligenagentur machen gegen den Widerstand der Wohlfahrtsverbände. Es gibt unterschiedliche Einbindungsstrategien. Ich glaube, nach außen ist es schwer zu vermitteln, warum es überhaupt Konkurrenten gibt. Als Bürger ist es mir ja wurscht, wer es macht: Ich will nur möglichst interessante Engagementangebote. Es fällt mir auf, dass man immer wieder die Visionen, das Ziel, außer acht lässt. Wie wollen wir es ermöglichen, dass alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht, sich mit ihren Potenzialen in die Zivilgesellschaft einbringen können? Das ist doch die Leitfrage. Und dafür wollen wir die Angebote und auch Kooperationen entwickeln.

VR: Um in Analogie zur Arbeitsagentur zu fragen: Müssten sich die Freiwilligenagenturen nicht unter dieser Leitfrage vor allem um die schwer Vermittelbaren kümmern?

Ja und nein. Wir können und wollen uns nicht nur auf „die schwierige Klientel stürzen“, wir wollen keine herkömmliche Sozialarbeit machen. Auf der anderen Seite wollen wir an unserem Leitbild arbeiten und uns in diesem Sinne auch zunehmend als Partizipationsagentur verstehen und damit auch zumindest in Projekten für die da sein, die am Rand stehen, sich nicht einbringen wollen oder können. Aber auch eine andere Schwerpunktsetzung deckt der Begriff Partizipationsagentur ab: Ich biete Bürgerinitiativen und Menschen, die eigene Projekte machen wollen, eine Plattform und vernetze sie.

VR: Könnte die Freiwilligenagentur sich nicht auch stärker als Agentur der Freiwilligen verstehen?

Ich glaube, das passiert ja schon. Wir bieten den Institutionen Beratung dazu an, wie mit Freiwilligen umzugehen ist.

VR: Kommt die Agentur moderierend oder advokatorisch?

Ich glaube, es gibt eher eine moderierende Grundhaltung, weil ja auch der Anspruch besteht, Brückenbauer zu sein zwischen Organisationen, die Freiwillige brauchen, und den Freiwilligen selbst.  Aber natürlich wird dabei geprüft: Sind die da gut aufgehoben?

VR: Aber das Ergebnis bleibt intern, es findet keine öffentliche Diskussion um die Mindestbedingungen erfolgreicher Freiwilligenarbeit am konkreten Beispiel statt.

Ja, zwar ist das Freiwilligenmanagement inzwischen in aller Munde, allerdings ist die Zahl der Ansprechpartner für Engagement in Organisationen nach den Aussagen des Freiwilligen-Surveys zurückgegangen.

VR: Folgt man der stärkeren öffentlichen Diskussion um Bürgerengagement, wäre das Gegenteil verständlicher.

Vielleicht haben wir in Deutschland zu wenig selbstbewusste Einrichtungen, zu wenig finanzielle Institutionen, aus denen heraus konfliktbereit die Ideen und Forderungen der Bürger- und Zivilgesellschaft vertreten werden. Ich will uns da gar nicht ausnehmen. Als neutraler Mittler bleibt man auch in der Komfortzone.

VR: Kann man nicht Makler sein, Moderator und Vernetzer, aber klar signalisieren, auf wessen Seite man im Konfliktfall stehen würde?

Ja, das geht, finde ich auch. Die Ableitung muss ja sein, dass sich Menschen mit ihrem Angebot prinzipiell unentgeltlicher Arbeit gut in die Institution, in der sie tätig sind, einbringen können. Also braucht es bestimmte Rahmenbedingungen, auch bei diesen Organisationen wie Schulen, Altersheimen, Krankenhäusern, Sportvereinen, Kirchengemeinden usw.
Schließlich ist es viel wirkungsvoller, wenn sich Freiwillige in ihren Organisationen auch anerkannt fühlen, und das Gefühl der Anerkennung steigt, wenn sie auch mitsprechen dürfen. Sie werden dann auch bereit sein, sich vielleicht noch stärker einzubringen, wenn sie sich dort aufgehoben und anerkannt fühlen.

VR: Bei aller Unterschiedlichkeit der aufnehmenden Institutionen: Sie meinen, Mindeststandards sollten erfüllt werden?

Genau!  Es ist schon möglich, sich da mehr zu öffnen. Und dafür brauche ich Zeit, finanzielle Ressourcen. Es ist nicht per se günstiger, mit Freiwilligen zu arbeiten. Ich glaube allerdings, eine Organisation wird dadurch lebendiger, bekommt mehr Impulse, eine bessere Verankerung, andere Kultureinflüsse und wird am Ende vielleicht wirkungsvoller. Ich glaube aber nicht, dass man kurzfristig oder mittelfristig auf diesem Weg Gelder sparen kann. Das ist ein verbreiteter Irrglaube.

VR: Müssen dann nicht vor allem die Hauptamtlichen gewonnen werden? 

Immer! Die müssen sich ja auch verändern. Es gibt in der Regel erst mal Widerstände bei den Hauptamtlichen: „Warum dürfen die Freiwilligen immer das Schöne machen, warum muss ich immer das Blöde machen?“ Da sind Konfliktregeln und Anerkennungsprinzipien notwendig. Und manchmal hat man es bei den Freiwilligen auch mit einer nervigen Bande zu tun, die sind höchst anspruchsvoll, die wollen nach ihren Zeitkontingenten arbeiten. Das braucht einige Zeit, um tatsächlich eine Freiwilligenkultur zu entwickeln.

VR: Lassen sich, wenn man auf das Arbeiten der Freiwilligenagenturen schaut, Veränderungen feststellen im Mix dessen, was die tun?

Total! Mit jedem gesellschaftlichen Veränderungsprozess verändern sich Anforderungen. Freiwilligenagenturen versuchen dann, diese Veränderungsprozesse in ihren Beratungsalltag und Projekte zu übersetzen. Beispiele: Thema „ältere Menschen“ Brauchen die eine andere Ansprache als jüngere? Brauchen wir dafür Projekte? Thema Inklusion: Kann ich gegenüber allen Menschen offen sein, kann ich alle Zielgruppen überhaupt bedienen, oder muss ich einfach auch selber Grenzen setzen? Thema Partnerschaften: Ich glaube schon, dass sich Unternehmen verändert haben dadurch, dass sie stärker Mitarbeiterengagement ermöglichen. Wie binden wir dann Unternehmen ein?

VR: Man kann sich darüber streiten, wohin Verbände gehören, ob in die Sphäre der Wirtschaft, der Politik oder der Zivilgesellschaft, wahrscheinlich haben sie von allem etwas. Wäre es nicht eine reizvolle Herausforderung für Verbände, sich ihrerseits nach dem Beispiel vieler Institutionen in der Zivilgesellschaft mehr um Mitgliederengagement zu bemühen?

Ich finde das einen faszinierenden Gedanken!

VR: Können Verbände von der bagfa lernen?

Wir sind ein partizipativer Verband. Wir setzen das um, was unsere Mitglieder brauchen und wünschen. Wir sind immer im moderativen Gesamtzusammenhang zu sehen. Wir können Impulsgeber sein, aber wir müssen auch unsere Mitglieder mitnehmen. Und das wird oft vernachlässigt. Die Zukunft ist partizipativ bei uns verankert. Das sind Ansätze, davon können Wirtschaft und auch Verbände viel lernen. Auch, wie man mit äußerst begrenzten Ressourcen und fragiler Finanzierung Dinge steuert.

VR: In der Wirtschaft hört man nicht selten, Zivilgesellschaft sollte so funktionieren wie Wirtschaft, dann sei alles besser.

Da ist manchmal was dran. Aber eben auch umgekehrt. Das Lernen funktioniert aber nur bei Arroganzverzicht. Das fällt in der Wirtschaft wie in der Politik offenbar schwer. Aber dann würde ein Know-how-Transfer in alle drei Richtungen klappen. In der Zivilgesellschaft finden sich exzellente Experten für partizipative, moderative Prozesse, hilfreich für Unternehmen und ihre Verbände.

VR: Kann es sein, dass es an Berührungen zwischen diesen Arenen von Zivilgesellschaft und Wirtschaft fehlt? Dass dies ein Grund dafür ist, dass solcher Know-how-Transfer noch so selten ist?

Total! Aber auch am mangelnden Selbstvertrauen innerhalb der Zivilgesellschaft, um zu sagen: Wir haben Expertise. Eine Übertragung eins zu eins von Zivilgesellschaft auf Wirtschaft ist allerdings ebenso wenig möglich und sinnvoll wie umgekehrt, wozu uns ja oft geraten wird.

VR: Worin die Unterschiede bestehen, ist wohl nicht einfach zu lernen?

Unternehmer wie Verbandsmanager müssten sich auch schulen und qualifizieren lassen. Es müsste verhandelt werden, was passt und was nicht. Auch auf unserer Seite, so will ich es mal formulieren, kommt nicht jeder infrage. Solche Transferprozesse erfordern Bereitschaft nicht nur beim Nehmer.

VR: Nochmals nachgefragt: Können Verbände, die sich überlegen, wie sie über das Ehrenamt hinaus stärker von der Bereitschaft der Mitglieder zur Partizipation profitieren wollen, von der Zivilgesellschaft lernen, wie man das organisiert? 

Würde ich unbedingt sagen, ja!

VR: Die bagfa eingeschlossen? 

Ja!     

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Autor/in

Henning von Vieregge

ist u. a. Buch- und Hörbuchautor, Blogger (www.vonvieregge.de), Lehrbeauftragter an der Universität Mainz sowie Verbändecoach. Von Vieregge war viele Jahre Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Kommunikationsagenturen (GWA).

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