VR: Braucht die deutsche Tourismuswirtschaft eine Lobby?
Die braucht die Tourismuswirtschaft mehr denn je. Die Reisebranche sichert 2,8 Millionen Arbeitsplätze. Sie ist ein Konjunkturmotor und mit einer Bruttowertschöpfung von 140 Milliarden Euro eine Schlagader der deutschen Wirtschaft. Die internationale Mobilität zählt zu den wichtigsten Wettbewerbsfaktoren unseres Landes. Dass Deutschland hier international eine Führungsrolle einnimmt, setzt verlässliche und international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen voraus. Dafür tritt der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) in Brüssel und Berlin mit einem hohen Anspruch ein: Gerade weil die Tourismuswirtschaft aus heterogenen Unternehmensgruppen besteht, braucht sie eine starke, gemeinsame Lobby.
VR: Ist die Schlagkraft des BTW mit dem Mitgliederzuwachs fühlbar gestiegen?
Der BTW verdankt sein Gewicht nicht nur der Zahl, sondern vor allem der Qualität seiner Mitglieder. Wir repräsentieren die großen Unternehmen der Branche und über die führenden Verbände den Mittelstand quer durch die Wertschöpfungsstufen sowohl im Bereich der Geschäfts- als auch der Urlaubsreisen. Mit dem Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) und dem ADAC ist der BTW zu einem nationalen politischen Spitzenverband aufgestiegen, der in der Tourismuswirtschaft europaweit seinesgleichen sucht.
VR: Welche Verbesserungen hat der BTW für seine Mitglieder in der Vergangenheit konkret bewirkt?
Dem BTW geht es nicht um Einzelmaßnahmen, sondern um das Gewicht der Branche. Wir haben der Tourismuswirtschaft den politischen Stellenwert verliehen, der ihrer Leistung entspricht. Der BTW ist der Sprecher und Türöffner, wenn es um die Entwicklungsmöglichkeit der Branche geht. Ein aktuelles Beispiel: Wir konnten die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht verhindern. Aber wir haben mit Erfolg verdeutlicht, dass eine Anhebung mitten im Jahr 2006 für die langfristig kalkulierende Reisebranche nicht umsetzbar ist.
VR: Welchen Beitrag kann die Tourismuswirtschaft zur Belebung der Wirtschaft und zur Entlastung des Arbeitsmarktes leisten und welche Weichen müssen dafür gestellt werden?
Wir sind eine Dienstleistungsbranche mit Arbeitsplätzen, die sich nicht exportieren lassen. Und wir brauchen nicht nur Akademiker, sondern Arbeitskräfte aller Qualifikationsebenen. Das ist ein Segen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Tourismuswirtschaft kann noch mehr Arbeitsplätze schaffen, die Deutschland so dringend braucht. Vor allem zwei Weichen müssen hierfür richtig gestellt werden: Berlin und Brüssel müssen unternehmerischen Mut und Kreativität fördern, in dem bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. Das kostet übrigens nichts. Und die EU und die Bundesregierung müssen die politischen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Freiheit der Mobilität gewährleistet ist, auf der Straße, auf der Schiene und in der Luft.
VR: Wie kann der BTW die Marktchancen seiner Mitglieder verbessern und wie wollen Sie diese Ziele angehen?
Es geht um zwei Hebel: Unsere Dienstleistungsbranche leidet besonders unter den hohen Lohnnebenkosten. Diese Kosten müssen dringend gesenkt werden. Wir werden von diesem Ziel nicht ablassen. Den zweiten Punkt kann ich nur noch einmal wiederholen: Die Binnennachfrage ist der Flaschenhals, den die Politik weiten muss. Da schmerzt die Erhöhung der Mehrwertsteuer besonders. Sie trifft unsere Branche hart, insbesondere die Hotellerie und Gastronomie. Was die Politik nicht sehen will, ist die Wettbewerbsverzerrung im grenznahen Bereich. Die reduzierten Mehrwertsteuersätze für Übernachtung und Verköstigung in vielen Nachbarländern kostet hier zu Lande Gäste, Umsatz und Arbeitsplätze.
VR: Welche Aufgaben stellen sich dem BTW mittel- und langfristig?
Wir werden Überzeugungsarbeit leisten. Zwei Begriffe müssen sich in das Gedächtnis unserer Politiker einbrennen: Binnennachfrage und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Dies brechen wir für die Politik in operable Themen herunter. Ein gutes Beispiel ist die Erhöhung der Stundeneckwerte des Flughafens Düsseldorf. Mehr Maschinen in gleicher Zeit abzufertigen bringt dort ein Produktivitätssprung um 15 Prozent. Entschlossene Politik macht’s möglich.
Im Kern geht es dem BTW um ein Anliegen: Die Mobilität der Menschen muss vernetzt betrachtet und gestaltet werden, vor allem auch durch die Politik. Der Blick auf einzelne Verkehrsträger oder Unternehmensarten reicht nicht. Das heißt im Umkehrschluss, wer ein Glied der Mobilitätskette schwächt oder gar zerstört, gefährdet die Mobilität insgesamt. Ein fataler Gedanke.
Dass wir von A nach B ungehindert, schnell und zu angemessenen Kosten reisen können, an jedem Ort übernachten, speisen und einkaufen können, ist eine unverzichtbare Grundlage für den Erfolg unserer Wirtschaft. Und es ist eine elementare Grundlage unserer Freiheit.
VR: Wie rüsten sich der BTW und dessen Mitglieder für die Fußball-WM im eigenen Land?
Rüsten ist der falsche Ausdruck. Die Tourismuswirtschaft macht die Austragung der Fußball-WM erst möglich. Die WM-Gäste von A nach B zu bringen, zu beherbergen und zu verköstigen, das ist die Leistung unserer Branche. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft werden die Zahnräder von Fluggesellschaften, Bahn, Busunternehmen, Hotellerie, Gastronomie, Einzelhändlern, Autovermietern, Reisebüros, Reiseveranstaltern und Event-Agenturen ineinander greifen. Wir sprechen alleine von rund fünf Millionen Hotelübernachtungen zu dieser Zeit.
Ganz wichtig: Wir deckeln die Hotelpreise. Phantasiepreise wie in Japan und Südkorea wird es bei der Fußball-WM 2006 nicht geben — zweifellos eine große, kundenfreundliche Leistung aus den Reihen des BTW. Wir als Gesamtbranche wollen, dass sich die Welt — getreu dem WM-Motto — in der Tat zu Gast bei Freunden fühlt und neben aller Perfektion vor allem die Reize unseres Landes, die Lebensfreude, die Gastfreundschaft erlebt. Wir werden alles dafür tun, dass sich die Welt bei uns wohl fühlt.