Mit einem Blick auf die Methode „Zukunftskonferenz“ runden wir unsere Serie zum Thema Großgruppenkonferenztechniken im Verbändereport ab. Nach einem einführenden Überblick über die grundlegenden Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten dieser Techniken in Verbänden (Ausgabe 9/2011) haben wir Ihnen seit Jahresbeginn zwei spezielle Methoden präsentiert: Während Open Space (Ausgabe 2/2012) und World Cafe (4/2012) thematisch und organisatorisch relativ freie Veranstaltungsformate sind, hat die Zukunftskonferenz klare Strukturen und vor allem ganz andere Ziele.
Wie auch bei den anderen beiden Techniken stellen wir Ihnen zunächst die wichtigsten Merkmale der Methode „Zukunftskonferenz“ vor, zeigen die positiven Effekte für einen Verband auf und erklären schließlich, was bei der Anwendung zu beachten ist.
Ein gemeinsames Bild der Zukunft entwerfen
Die Methode wurde zu Beginn der Achtzigerjahre vom Organisationsberater Marvin Weisbord entwickelt und wird seitdem weltweit erfolgreich in Unternehmen, Verwaltungen und Verbänden eingesetzt. Wie ihr Name bereits aussagt, geht es nicht um die Bewältigung aktueller Probleme im Verband, sondern um die Gestaltung seiner Zukunft, die Entwicklung eines gemeinsamen Zukunftsbildes. Ein wichtiger Wesenskern dieses Ansatzes ist, wie auch bei anderen Großgruppenkonferenztechniken, dass „das ganze System in einem Raum“ versammelt ist, also möglichst viele Teil-Aspekte des Gesamtsystems Verband repräsentativ vertreten sind: Ehren- und Hauptamt, zentrale und dezentrale Ebenen, die Fachbereiche, interessierte Mitglieder und die wichtigen Austauschpartner aus dem Umfeld. Wichtig ist dies, um die Kreativität und den gesammelten Sachverstand von innerhalb und außerhalb des Verbandes entdecken und nutzen zu können. Die Vertretung ganz unterschiedlicher Erfahrungen, Interessen und Perspektiven im Rahmen der Veranstaltung ist aber auch eine wichtige Voraussetzung, um eine gemeinsame, für alle tragfähige Zukunftsperspektive für den Verband entwickeln zu können.
Ablauf einer Zukunftskonferenz
Eine Zukunftskonferenz ist geeignet für eine Teilnehmerzahl von 60 bis 80 Personen. Sie dauert im optimalen Fall 2,5 Tage, nach der von Weisbord vertretenen Erfolgsbedingung „Schlaf zweimal drüber!“. Allerdings lassen sich die Grundprinzipien angepasst an die Bedingungen in einem Verband auch gut in 1,5 Tagen, unter Umständen sogar in einem Tag erfolgreich umsetzen. Die Abbildung 1 zeigt zunächst den 2,5-tägigen „Idealablauf“ einer Zukunftskonferenz.
Gemeinsame Identität und Trends im Umfeld
Die Konferenz beginnt am Nachmittag des ersten Tages. Nach einem Einstieg, der dem gemeinsamen Kennenlernen und der Wahrnehmung der gemeinsamen Identität und Geschichte dient, werden die wichtig-sten Trends der nächsten Jahre im Umfeld des Verbandes und seiner Mitglieder gesammelt und die darin liegenden Chancen und Gefahren für den Verband diskutiert.
Methodisch werden dieser Blick auf die Gemeinsamkeiten und der Blick nach außen auf die externen Trends in Arbeitsgruppen durchgeführt. Diese werden nach Teilnehmergruppen gemischt zusammengesetzt und sind damit ein Abbild der Teilnehmerstruktur an der Konferenz und damit des Verbandes selbst. Die Arbeitsgruppen arbeiten –
während der gesamten Zukunftskonferenz – selbstständig und eigenorganisiert, jeweils unterstützt durch einen Moderator. Die Moderatoren stellen die Ergebnisse ihrer jeweiligen Gruppen in einer Plenumsrunde am Ende des ersten Tages allen Beteiligten vor. Damit wird bei allen Konferenzteilnehmern eine einheitliche Wissensbasis geschaffen, die dem Entwurf einer Zukunftsvision einen gemeinsamen Rahmen gibt.
Gegenwart/Zukunft/Konsens
Der Beginn des zweiten Tages dient der kritischen Selbstreflexion der Gegenwart. Es wird analysiert, was schon bisher gut läuft und was weniger gut. Diese eigentlich klassische Stärken- und Schwächen-Analyse wird hier allerdings sehr persönlich mit den zwei Fragen „Worauf sind wir stolz?“ und „Was bedauern wir?“ initiiert und in den diesmal homogen zusammengesetzten Arbeitsgruppen intensiv diskutiert und im Plenum präsentiert.
Aufbauend auf die bisherige Analysephase folgt anschließend der eigentliche Kern der Zukunftskonferenz: der Entwurf einer gemeinsamen Vorstellung von der Zukunft. Die Teilnehmer entwerfen wieder in gemischten Gruppen lebendige und bildhafte Szenarien ihrer idealen Zukunft des Verbandes. Sie sollen sich dabei im Geiste zehn Jahre in die Zukunft versetzen und ihr Bild dieser Zukunft möglichst plastisch und konkret so ausgestalten, als wäre diese Zukunft bereits Wirklichkeit geworden.
Der Nachmittag des zweiten Tages wird genutzt, um die unterschiedlichen Zukunftsvisionen der Gruppen zu einer gemeinsamen Vision zu verschmelzen, also Konsens herzustellen. Im Plenum werden zunächst alle Zukunftsvisionen kreativ in Szene gesetzt und für alle lebendig dargestellt. Dann werden die überschneidenden Elemente der Zukunftsbilder aller Gruppen herausgearbeitet und zu einer gemeinsam von allen getragenen Zukunftsvision zusammengeführt. Methodische Leitlinie dabei ist das Konsensprinzip. Elemente, bei denen keine Gemeinsamkeit besteht, werden separat festgehalten.
Es fällt immer wieder auf, dass es wenig Konflikte oder Widersprüchlichkeiten zwischen den einzelnen Entwürfen der Untergruppen gibt und dass die meisten Entwürfe für alle Teilnehmer gut nachvollziehbar sind. Die Begründung dafür liegt in der gemeinsam erarbeiteten Wahrnehmung von Vergangenheit, Gegenwart und externen Trends, die eine gemeinsame Sicht auf die Zukunft erleichtert.
Planung
Als letzter Schritt werden am dritten Tag konkrete Planungen entworfen, mit denen die Zukunftsvision schrittweise erreicht werden kann. Abzustimmen sind Projekte, Aktionen, Maßnahmen, die dafür Verantwortlichen und eine erste grobe Zeitstruktur. Dies kann im Plenum oder in einem Zusatzschritt davor wiederum zunächst auf Arbeitsgruppenebene geschehen.
Kürzere verbandsspezifische Ablaufvarianten
Vermutlich haben Sie beim Lesen schon resignierend überlegt, dass ein so großer personeller und finanzieller Aufwand in Ihrem Verband kaum realisierbar ist. Auf dem Hintergrund unserer Erfahrung können wir Ihnen allerdings sagen, dass auch kleinere, weniger ressourcenverschlingende Varianten von Zukunftskonferenzen erfolgreich sein können. Wichtig ist dabei nur, dass die wesentlichen Elemente des Ablaufs, wenn auch verkürzt, umgesetzt werden und dass vor allen Dingen die kreative, szenische Ausgestaltung der Zukunftsbilder bewusst initiiert und gestaltet wird. An dieser Stelle unterscheidet sich die Zukunftskonferenz am meisten von allen anderen Formen der rationalen Strategieplanung. Durch diese gemeinsame spielerische Erfahrung entstehen eine starke positive Identifikation mit dem Ergebnis, Begeisterung für die gemeinsame Sache und eine deutliche Aufbruchsstimmung.
Abbildung 2 zeigt ein Beispiel eines 1,5 tägigen Ablaufs einer Zukunftswerkstatt im Rahmen eines Fusionsprozesses (etwa 1 Jahr nach der Fusion), bei der auf das Element der Trends verzichtet werden konnte. Um den Blick in eine optimale Zukunft/die Vision frei zu bekommen und die Fantasie anzuregen, wurden die Teilnehmer über eine gelenkte Fantasiereise in das Jahr 2020 geholt, in dem gerade die Verleihung eines Preises für diesen Verband als innovativsten Branchenverband Europas bevorstand. Die Untergruppen mussten also nur noch darlegen, wie „heute, im Jahr 2020“ die prämierte, gelebte Praxis aussieht.
Umsetzungsmöglichkeiten
Spezielle Anlässe in einem Verband eignen sich besonders gut, um eine Zukunftskonferenz zu starten, sprich das ganze System zusammenkommen und eine gemeinsame Zukunftsvision erarbeiten zu lassen. Das könnte der Start eines Leitbildprozesses sein oder ein Verbandsjubiläum, bei dem man nicht nur nach hinten in den Rückspiegel, sondern auch nach vorne blicken will. Auch Fusionen oder komplexe Umstrukturierungen eignen sich hervorragend, um in einer Großgruppenkonferenz die gemeinsame Zukunft zu entwerfen und dann als machbare Utopie die Umsetzung zu planen. Gemeinsam ist diesen Beispielen ihre zeitliche und inhaltliche Sonderstellung, denn Zukunftskonferenzen dienen nicht der turnusgemäßen Strategieplanung.
Erfolgsbedingungen
Damit Sie die oben beschriebenen Ziele erreichen und positive Effekte auch wirklich eintreten, sind – wie bei allen Großgruppenkonferenztechniken – drei Voraussetzungen nötig:
Die Indikation muss stimmen. D. h., die zu einem bestimmten Anlass gewählte Methode muss hierfür auch wirklich geeignet und in die Kultur des Verbandes integrierbar sein.
Eine qualifizierte Projektbegleitung und externe Moderation gibt im Wagnis der neuen Methodik die nötige Sicherheit und Überzeugungskraft.
Auch die Zukunftskonferenz muss in einen Prozess eingebettet sein.
Es gilt die Regel: Je größer die Gruppe und je innovativer die Methode für den Verband, desto anspruchsvoller ist die Vor- und Nachbereitung.