Wer ins Web 2.0 aufbricht, muss häufig seine Kommunikationsweise überdenken. Zumal in Verbänden und Organisationen Kommunikation auf mindestens zwei Weisen betrieben wird: nach innen zum Mitglied und nach außen in Richtung der Öffentlichkeit. Diese nicht trennscharfe Doppelfunktion verschärft den Bedarf an Regeln im Umgang mit den sozialen Medien. Vor allem die sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter bergen kommunikative Gefahren, denen es zu begegnen gilt. Auch wer nicht als Organisation ins Web 2.0 aufbricht, kann über Social-Media-Guidelines nachdenken.
Kaum ein Verband leidet unter Auflösungserscheinungen, wenn seine Mitglieder eine Facebook-Gruppe gründen. Doch die Zufriedenheit der Mitglieder kann steigen, wenn der Verband es versteht, sich die Instrumente des Web 2.0 nutzbar zu machen und die Initiative im Interesse seiner Mitglieder zu übernehmen. Das beginnt mit der Beschäftigung, welche Instrumente wann sinnvoll eingesetzt werden können, und nimmt Maß am sich ändernden Kommunikationsverhalten der – vor allem jüngeren – Generation. Verbände können soziale Medien sehr gut einsetzen, eigene Prozesse vereinfachen und von der strukturellen Vergleichbarkeit beider Konzepte profitieren: basisdemokratische Beteiligung aller. Einer der wesentlichen Vorteile aller Web-2.0-Anwendungen zeichnet sich durch eine leichte, niederschwellige Handhabung aus. Jeder, der will, kann auch. Und macht es.
Aktueller Stand
Tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass sich mehrheitlich Verbände mit den Fragen der sozialen Medien, des Web 2.0 und ihrem Engagement beschäftigen. Auch wird das durch Zahlen der Studie „Verband 2.0“ (Verbändereport 07/2010, Jens Bender und Dr. Florian Habermann, S. 08 ff.) bestätigt: Eine überwältigende Mehrheit von 94 Prozent der befragten Verbandsgeschäftsführer halten die sozialen Medien für keine Gefährdung der Verbandsarbeit. Was die Querschnittstudie quantitativ ausführt, bestätigen Erfahrungen des Autors: Viele Verbände sehen darin eine sinnvolle Bereicherung der Service-Angebote und ringen um den richtigen Umgang mit den Angeboten. Knapp die Hälfte der befragten Geschäftsführer gaben schon vor zwei Jahren an, sich der Instrumente zu bedienen. Damals am häufigsten wurden die branchenrelevanten Wikipedia-Einträge bearbeitet und überwacht. Weitere Dienste – natürlich noch mit weit weniger Zuspruch – waren schon vor zwei Jahren die Nutzung von Twitter (14 Prozent) oder Facebook (12 Prozent) und XING (11 Prozent).
Aus Gesprächen im Rahmen der Studie schreiben die Autoren im Verbändereport: „Drei Vorteile wurden von mehr als drei Viertel der befragten Verbände als ‚wichtig‘ beziehungsweise ‚eher wichtig‘ eingestuft. Dazu zählen der bessere Informationsfluss, die zielgruppenspezifischere Kommunikation und die Erhöhung der Mitgliederbindung. […] Es ist hervorzuheben, dass alle abgefragten Chancen [im Einsatz von Web-2.0-Instrumenten] von über 40 Prozent der befragten Entscheider als ‚wichtig‘ oder ‚eher wichtig‘ beurteilt wurden.“ – Und diese Erhebung fand vor beinahe zwei Jahren statt. Seitdem hat sich die Entwicklung in den sozialen Medien deutlich verstetigt. Facebook hat inzwischen seine Nutzer mehr als verdoppelt (auf 1,6 Milliarden weltweit)! Allein in Deutschland sind etwa 23,2 Millionen Bürger aktive Facebook-Nutzer. In den ersten Monaten 2012 kamen allein eine Million neuer Nutzer in Deutschland hinzu. Der „Onliner-Anteil bei jungen Menschen stagniert [bei 97 Prozent!], da dort bereits ein hoher Sättigungsgrad erreicht ist“, der größte „Zuwachs ist in den Gruppen der 60- bis 69-Jährigen sowie 70plus“ zu verzeichnen, wie der kürzlich veröffentlichte (N)ONLINER-Atlas 2012 der Initiative D21 aufzeigt. Knapp ein Drittel aller Senioren, die 70 Jahre und älter sind, sind bereits heute online. 60 Prozent aller Senioren im Alter von 60 bis 69 und 90 Prozent aller 40- bis 50-Jährigen.
Was heißt das? Wer heute online geht, recherchiert in der Wikipedia und kommentiert Artikel in großen Zeitungs- und Magazin-Angeboten online. Damit nutzt dieser Nutzer bereits auf diese Weise klassische Web-2.0-Instrumente und engagiert sich in Netzwerken. Vielleicht recherchiert er auch nur das beste Hotel und verlässt sich auf die Bewertungen Hunderter anderer Nutzer vor ihm und ist damit bereits Teil einer Medien-Welt, in der die Grenzen von Konsum und Produktion verschwimmen. Auch Verbände nutzen Social Media bereits längst: durch das Angebot eines RSS-Feeds, der Nutzung von Podcasts oder Videos auf YouTube und weil sie Blogs (mit Kommentarfunktionen!) unterhalten.
Kein Hype, sondern Realität
Für einen Verband stellen sich daher zumindest zwei Fragen: Nutzen die sozialen Medien – allen voran soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter – meiner Verbandskommunikation? Kann ich diese sozialen Medien, häufig dann nicht nur soziale Netzwerke, sondern auch Wikis, Collaboration-Tools oder Web-Sprechstunden, zum Wohle meiner Mitglieder auch in der Innen-Kommunikation verwenden? Ob es sich für einen Verband organisatorisch oder strukturell lohnen kann, sich dem Web 2.0 in seinen vielfältigen Facetten zuzuwenden, hat der Autor bereits in dem Beitrag „Zehn Feststellungen zu Verbänden und sozialen Medien: Verbände als Speerspitze der Entwicklung“ für das Praxishandbuch Social Media für Verbände herausgearbeitet: Das Web 2.0 als Mitmach-Web, die sozialen Medien im Allgemeinen, leben von einem sehr viel höheren Partizipationsgrad als klassische Kommunikation und hierin liegt insbesondere für Verbände, die „offen und ehrlich“ kommunizieren, dennoch aber mit weniger Budget auskommen müssen, eine große Chance! Zudem unter Social Media nicht nur Online-Kommunikation verstanden werden kann. Neben den bekannten sozialen Netzwerken stehen eine Vielzahl weitere Möglichkeiten, Instrumente und Tools zur Verfügung (siehe auch „Best-of der wichtigen Social-Media-Tools“, Verbändereport 05/2012). Richtig ist, dass Social Media mit Kommunikation zusammenhängt. Schließlich geht es auch um Zusammenarbeit, die wiederum Kommunikation bedingt und benötigt.
Social Media wandeln mediale Monologe (one to many) in sozial-mediale Dialoge (many to many)
Schon bisher dienten Twitter und andere Medien (Facebook, Google+, LinkedIn oder XING machen da keine Ausnahme) oftmals als Seismograf für Stimmungen und Spannungen, schon jetzt beschäftigen sich Verbände und Kommunikationsprofis mit Blogs, Medienbeobachtung und viralem Marketing. Aber es steht auch fest, wenn mehr und mehr direkte Endnutzer auf soziale Medien zurückgreifen und in sozialen Netzwerken aktiv präsent sind, dass soziale Medien Kommunikation beschleunigen. Manchmal mangelt es ihr an Tiefe. Häufig ist Kommunikation damit schlechter zu kontrollieren. Diese – nur auf den ersten Blick als kommunikativen Kontrollverlust erkannte – Herausforderung ist vielmehr Chance. Gerade in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook entsteht durch Kommentare und Wieder-Kommentierung ein Rundum-Feedback („360°-Kommunikation“) – auch eine gute Chance für die eigene Organisationsentwicklung. Kommunikation und Pressearbeit trennt sich daher vom klassischen Gedanken eines „Gatekeeper“ oder „Informations-Vermittlers“. Zumal der aktive Umgang mit Instrumenten des Web 2.0 vielfältige Themenbereiche berührt: juristische Fragen genauso wie kommunikative, strategische Entscheidungen im gleichen Maße wie Fragen der Geheimhaltung, der Compliance oder, in selteneren Fällen, des Kartellrechts.
Hinzu kommt dabei immer auch die Frage: Wer soll das eigentlich alles machen? Sicherlich ist der letztverantwortliche Entscheider der richtige, um gerade eine so arg disziplinübergreifende Kommunikation operativ zu lenken. Doch es kann nicht seine Zeit sein, sich dort auch zu bewegen. Der junge Praktikant, mit Facebook und StudiVZ aufgewachsen, ist sicher technisch in der Lage, schnell und effizient die Kommunikation voranzubringen. Doch steht er den inhaltlichen Anforderungen deutlich unterqualifiziert gegenüber. Hinzukommt seine Doppelrolle: Der eigene Mitarbeiter ist nun mal auch privat via Facebook vernetzt. Wer bisher schlecht über das eine Mitglied in der Dorfkneipe ablästerte, fand kaum Gehör. Anders ist das, wenn derselbe Mitarbeiter ein für alle Welt sichtbares Posting in Facebook vornimmt.
Persönliche Kontakte und Beziehungen zu und zwischen den Verbandsmitgliedern
Dieser und auch anderen Gefahren wie einer mehrstimmigen Kommunikation, nicht abgesprochenen Faktenweitergabe oder Ignoranz von Sperrfristen stehen sicher auch Vorteile gegenüber. Einer der zentralen Bestandteile des Verbandslebens, nämlich die persönlichen Kontakte und Beziehungen zu und zwischen den Verbandsmitgliedern, werden durch Web-2.0-Technologien vereinfacht und vielfach ergänzt. Informationsaustausch und Wissensvermittlung nach innen werden bereits heute erfolgreich mit Instrumenten des Web 2.0 umgesetzt. Eigene Netzwerkgruppen werden eingerichtet oder der Wissensaustausch mithilfe von Wikis neu organisiert. Somit stehen Fragen des Internetrechts oder des Umgangs mit den sozialen Medien für die Verbandsspitze oben auf der Agenda.
Das macht die Einführung von Social-Media-Guidelines notwendig und sinnvoll! In Social-Media-Guidelines werden, vergleichbar zu einem Compliance-Katalog, die wesentlichen Bedingungen und grundlegenden Regeln des Umgangs mit sozialen Netzwerken niedergelegt. Ihre Einführung geschieht, das liegt auch in der Natur der Sache, in erfolgreichen Fällen nicht per Order di Mufti, sondern bereits als Web-2.0-Projekt: durch Zusammenarbeit und unter Beteiligung aller wesentlichen Akteure. Obacht hierbei, es handelt sich nicht automatisch um die Beteiligung aller bisherigen Entscheider. Vor allem stehen diejenigen im Mittelpunkt, die am Ende die Arbeit machen und aktiv die neuen Medien nutzen und einsetzen. Zu einem gewissen Grade – im Rahmen der niedergelegten Social-Media-Guidelines – werden diese Akteure ganz unabhängig ihrer rechtlichen Stellung in der Organisation und ihrer Entscheidungsbefugnis selbst zu Entscheidern heranreifen (müssen). Fakt ist: Kommunikation im Web 2.0 ist Echtzeit-Kommunikation und insofern kann ein 140-Zeichen-Twitter-Eintrag nicht alle Hierarchieebenen zur Freigabe wie eine klassische Pressemitteilung durchlaufen.
Über welche Punkte sollte also nachgedacht werden? Nicht ganz wenige:
- Arbeitszeiten und Arbeitsrecht,
- auch: Privatnutzung am Arbeitsplatz
- und berufliche Nutzung von zu Hause
Hierunter fallen Fragen, wie die zuständigen Mitarbeiter arbeitszeitmäßig eingebunden sind, ob und inwieweit eine „Dienstbereitschaft“ besteht oder auch bis wann und in welchen Rhythmen zuständige Mitarbeiter die sozialen Medien beobachten und ggf. auf Anfragen reagieren sollen. Dass in diesem Zusammenhang auch arbeitsschutzrechtliche Bedingungen eine große Rolle spielen, darf nicht vergessen werden. Üblicherweise finden sich Inhalte zu diesem Punkt in den Arbeitsverträgen.
Allgemeinrechtliche Bedingungen und Grundlagen
In diesem rechtlichen Bereich ist an Stichworte wie der Umgang mit Fremdinhalten, Vorlagen für Einverständniserklärungen von Online-Verwendungen, Fragen des Urheberrechts und auch der Sensibilisierung für die Verwendung von digitalen Inhalten zu denken.
Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Images
Dass Privates privat und Berufliches professionell bleibt, ist verständigungsnotwendig. Ebenso damit einhergehend die Fragen, wie sich der Verband in das Web 2.0 hineinbewegt (Image) und welchen Wert er dem kommunizierenden Mitarbeiter (Markenbotschafter) zugesteht, gehören besprochen und geklärt. Nicht zuletzt, da in den sozialen Netzwerken besonders viel Wert auf Authentizität der Handelnden (die immer natürliche Personen sind) gelegt wird.
Datenschutz-Fragen (auch von Zugangsdaten)
Der Zugang zu den großen sozialen Netzwerken (Twitter, Facebook, XING oder LinkedIN) ist nicht nur kennwortgeschützt, sondern auch auf natürliche Personen – per Definition durch die jeweiligen Anbieter – beschränkt und insofern stellen sich hier Fragen des Umgang mit Kennwörtern ebenso wie Hinweise auf Datenschutzerklärung, Impressumspflichten und Namensrechte.
Kommunikationswege und –weisen. Unter diesem Aspekt werden üblicherweise Verständigungen darüber getroffen, in welcher Weise (formell oder lockerer) und in welchen Kanälen – nutzt der Verband Twitter überhaupt nicht, braucht es dafür keine Regelungen – sich die Kommunikation nach innen und nach außen entspannt.
Kommunizierbare Inhalte und Aussagen
Neben dem Hinweis auf bereits bestehende Sprachregularien und Kommunikationsvorlagen oder -richtlinien wird auch dahin gehend zu sensibilisieren sein, welche Aussagen gar nicht über soziale Netzwerke gestreut werden, ob Zitate des Präsidiums grundsätzlich aus Twitter herauszuhalten sind oder ob Preise oder vergleichbar belastbare Inhalte ausschließlich über die klassische Pressemitteilung verbreitet werden.
Eskalations- und Freigabestufen
Eng zusammen mit der Frage kommunizierbarer Aussagen in den sozialen Netzwerken hängt die Verständigung über Freigabestufen zusammen: Der Twitter-Eintrag oder der Facebook-Kommentar bedarf sicher weniger Freigabestufen als die klassische Pressemitteilung oder gar das mit Zitaten des Präsidenten gespickte Verbandsstatement zu einer politisch relevanten Entwicklung. Die Grenzziehung und ebenso die Sensibilisierung für politisch aktuelle Inhalte und das Angebot, auf welche Weise damit umgegangen wird, sollten geregelt werden.
Haftungsfragen und Corporate Compliance, auch: Geschäftsgeheimnisse und „Whistleblowing“
Es können Fragen entstehen, die die Haftung des Mitarbeiters betreffen, obwohl er arbeitsrechtlich vielleicht nicht mal eine eigenständige Handlungsbefugnis hat, diese jedoch in gewissem Maße aus den Aktivitäten der sozialen Medien heraus erwachsen ist. Hier spielen Fragen der Haftung, die innerhalb des Arbeitsauftrages und außerhalb liegen, eine Rolle, genauso damit zusammenhängende arbeitsrechtliche Maßnahmen. Ebenso stellt dieser Punkt auf die Sensibilisierung für die Haftung von „nutzergenerierten Inhalten“ (Haftung des Plattform-Betreibers) und vergleichbare Fälle ab.
Diese Liste benennt nicht abschließend alle Felder, genauso wenig wie alle Punkte in jeder Organisation gleich relevant sind. Schon der Facettenreichtum der Themen oben zeigt einen weiteren Vorteil, den Social-Media-Guidelines mit sich bringen: Durch den komplexen – und immer partnerschaftlichen – Prozess der Einführung zwingt sich eine Organisation zur Selbstreflexion. Ob der bisherige Umgang immer richtig war oder nicht doch verbesserungswürdig sein könnte, fällt quasi als Nebenprodukt einer organisationsweiten Einführung von Social-Media-Guidelines ab. Auch wenn das Ergebnis des Einführungsprozesses eine sehr restriktive Haltung gegenüber den sozialen Medien ist, „bevorteilt“ die Einführung den Verband und versetzt ihn in die Lage, sich seiner Position im Kommunikationsgeflecht gewahr zu sein.
Vorweggeschickt sei weiterhin, dass nicht alle Themen und Klarstellungen in die Social-Media-Guidelines aufgenommen werden (müssen). Fragen zum Arbeitsrecht gehören in den Arbeitsvertrag. Dass detaillierte und notwendigerweise personalisierte Haftungsfragen nicht in allgemeingültige Guidelines gehören, versteht sich auch. Social-Media-Guidelines sind genereller Natur und decken nicht jeden denkbaren Einzelfall ab, was ihre organisationsweite Anwendbarkeit auch ermöglicht. Social-Media-Guidelines verstehen sich als „kommunikatives Grundgesetz“ für eine Organisation und stehen über den rein praktischen Einzelfällen.
Insofern Social-Media-Guidelines grundgesetzähnlichen Charakter haben, liegt viel Akzeptanzgewinn bereits in der gemeinsamen Erstellung. Durch einen offenen und transparenten, am besten von extern moderierten Prozess werden auf der einen Seite Befindlichkeiten ausgesprochen und gleichzeitig auch das „Fingerspitzengefühl“ für die Art der Kommunikation aufgebaut. So wie Kommunikation in den sozialen Medien deutlich offener und fallspezifischer ist („Komm-wie-du-bist-Gespräche“), ist die Hürde des „Du“ auch deutlich geringer. Einen altgedienten Ehrenamtler von der Notwendigkeit der mal spitzen Formulierung zu überzeugen – die 140 Zeichen in Twitter erlauben definitiv keine umfängliche Erörterung – kann nicht Aufgabe der Guidelines als Regelpakt sein. Sondern zeitigt das Verständnis um die Materie im Vorfeld des Paktierens. Die Einführung von Social-Media-Guidelines erforscht also nicht nur die Rahmenbedingungen in der Organisation, sondern mindestens ebenso auch die Möglichkeiten der sozialen Medien und stellt einen doppelten Workshop dar: einen klassischen Social-Media-Workshop ebenso wie die Regel-Diskussion und Beschlussfassung.
Nun wird auch klar, weswegen die Einführung von Social-Media-Guidelines keine Beschlusslage des Vorstandes als Top-to-bottom-Maßnahme ist. Fingerspitzengefühl für den Umgang mit den sozialen Medien und Verständnis um die Fähigkeiten des Web 2.0 sind auf allen Seiten des Tisches gefragt und dort auch in unterschiedlichem Maß vorhanden. Um sich auf gemeinsame Regeln einigen zu können, müssen alle Beteiligten über dieselben Grundvoraussetzungen verfügen und insofern als Organisation gemeinsam klüger werden. Nebenbei lernen bei einem partnerschaftlichen Prozess alle Beteiligten voneinander, ohne dass eigenes (bisheriges) Unverständnis und gar Unkenntnis offen eingestanden werden müssen.
Thematisch handelt ein solcher Social-Media-Workshop zumindest folgende Themenbereiche ab:
- Prinzipien der sozialen Medien
- Wirkung und Mechanismen von „Echtzeitkommunikation“
- Fundamentale Transparenz im Web 2.0
- Instrumente des Web 2.0 im Überblick und in der Detailbetrachtung
- Funktionen und Best Practice in ausgewählten sozialen Netzwerken
- Monitoring und „Online-Reputation-Management“
- Instrumente und Strategien für ausgewählte Instrumente
Wie auch die Welt der sozialen Medien sollte die Einführung von Social-Media-Guidelines in einer Organisation hierarchieignorant gestaltet werden. Während des Workshops werden typischerweise die Rollen der Mitarbeiter und Führungskräfte aufgegeben bzw. so weit als möglich einander angenähert. Es hat sich beispielsweise als sinnvoll erwiesen, einen gemeinsamen Kommunikationsstandard zu vereinbaren (alle duzen, alle siezen mit Vornamens-Nennung o. Ä.) ganz unabhängig der jeweiligen Rolle in der Organisation. Häufig fällt dies leichter, wenn sich die Beteiligten nicht im alltäglichen Arbeitsumfeld, sondern in Klausur (in externen Räumlichkeiten) befinden.
Am Ende eines solchen Prozesses stehen nicht immer ausformulierte Guidelines. In Einzelfällen kann eine derartige Revision der Arbeits- und Kommunikationsweise des Verbandes auch dazu führen, dass sich die Beteiligten gegen eine Nutzung der sozialen Medien wenden. Mit Blick auf verschiedene Erwartungshaltungen und die Wirklichkeit bei Facebook, Twitter, XING und Co. kommt es nicht selten vor, dass schlichtes Dabeisein als wenig sinnvolle Strategie im Web 2.0 oder bei einzelnen Netzwerken identifiziert wird. Nicht jeder Verband benötigt automatisch eine Facebook-Fanpage, nur weil diese mit drei Klicks zusammengezimmert werden kann. An dieser Wegkreuzung stellen Aufstellung des Verbandes in der Branche, Struktur und Ziele und die individuellen Web-2.0-Maßnahmen der Mitglieder und deren Online-Engagement entscheidungsrelevante Dimensionen dar. Wichtig ist sehr oft die Zielsetzung des Verbandes im Umgang mit den Sozialen Medien: Ob reine Pressearbeit betrieben werden soll, ob ortsgezogene Services angeboten (via Foursquare zum Beispiel) oder Nachwuchs-Kampagnen gefahren werden sollen. Je nach Schwerpunkt werden andere Schlüsse gezogen und münden in unterschiedlichen Social-Media-Aktivitäten.
Doch auch wenn seitens des Verbandes keinerlei Aktivität in den sozialen Medien entfaltet werden soll, können Social-Media-Guidelines ausformuliert werden. Der Mitarbeiter ist weiterhin privat aktiv und die private Nutzung am Arbeitsplatz sowie die Wirkweise des globalen Stammtisches – Stichwort: Lästern in Dorfkneipe – sind Grund genug, einander Regeln zu geben. Schließlich wird in vielen Fällen am Ende eines solchen Prozesses, sei er mehr oder weniger ausgetüftelt (die Detaillierung hängt auch von der konkreten Verbandssituation ab), die Formulierung von Guidelines stehen. Strukturell ähneln sich Guidelines und orientieren sich am pyramidalen Aufbau, der Allgemeines am Anfang in den Blick nimmt und weiter über verschiedene Themen spezialisiert.
Als Strukturskizze wird sich Folgendes als sinnvoll erweisen:
- Einleitung
- Worum handelt es sich und welche Bedeutung wird den sozialen Medien im Verband zugemessen?
- Zweckbestimmung der Guidelines
- Adressatenkreis und Umgang mit Revisionen der Richtlinien
- Definition und Benennung der genutzten Instrumente
- Welche Web-2.0-Instrumente werden vom Verband aktiv genutzt?
- Auftrennung unzulässiger Medien und zulässiger Medien, auch Umgang auf Konkurrenz-Portalen o. Ä.
- Allgemeingültige Verhaltensgrundsätze (organisationsintern und -extern!)
- Grundsätze für den Mitarbeiter, wenn er als Mitarbeiter, Vertreter oder Ehrenamtler des Verbandes erkennbar ist und damit – angenommen oder von Dritten zugesprochen – auch für diesen spricht.
- Inhaltlich festgelegt werden häufig: Qualität der Aussagen, Professionalität im Umgang, Recherche-Pflicht des sich Äußernden (keine Falschaussagen) und Korrektheit der Aussagen, Umgangsformen und Höflichkeit, Abgrenzung von Tatsachen und Meinungen, Geheimhaltungspflichten und Verweis auf private Themen, Sensibilisierung zu den markenrechtlichen Voraussetzungen.
- Abgrenzung zu rassistischen, volksverhetzenden oder vergleichbar außerhalb des Grundgesetzes stehenden Aussagen, Umgang mit politischen und/oder religiösen Meinungsäußerungen (der Privatperson).
- Sprecherfunktionalität des Mitarbeiters / Grundsätze bei privaten und beruflichen Äußerungen: Der Mitarbeiter ist für seine Äußerungen prinzipiell im Web 2.0 verantwortlich. Jede Äußerung sollte sorgfältig abgewogen sein, bevor sie veröffentlicht wird – egal ob beruflich oder privat.
- Regeln zu den Verantwortlichkeiten (organisationsintern)
- Hinweis auf die Kontinuität der Kommunikation: Aufbau und Pflege der Kanäle und Beziehungen benötigen Zeit und Aufmerksamkeit, in der Produktion wie im Monitoring (auch lesen, was andere zu den Themen veröffentlichen)
- Verantwortung für veröffentlichte Inhalte, verbindlicher Handlungsempfehlungen
- Handlungshinweise im Falle von Presse-Kontakten, Anfragen für Geschäftsführung oder Präsidium
- Verstöße und Sanktionen
- Grundsätze zur Trennung von privater und beruflicher Nutzung (auch Arbeitszeiten)
- Privates privat und Berufliches professionell behandeln
- Online-„Sperrzeiten“ für die Reaktion auf Kommentare
- Hinweise zum Umgang in Bezug auf auch private Nutzungsanteile während der Arbeitszeit
- Möglichkeit von „Rufbereitschaften“ o. Ä.
- Hinweise auf weitere Regel-Dokumentationen
- Kommunikations-Richtlinien
- Vorlage von Sprachregularien
- Hinweis auf ggf. arbeitsvertragliche Vereinbarungen
- Compliance-Richtlinien
- etc.
- Ansprechpartner in Zweifelsfällen und für Rückfragen, Umgang mit Revisionen der Richtlinien
Kooperativer Sprachstil
Gerade da dieser Gliederungsvorschlag nur grob die Inhalte von Social-Media-Richtlinien skizziert, nimmt es nicht wunder, dass es unterschiedlichste Formulierungsvorlagen und Guideline-Gliederungen gibt. Jede Guideline ist nur so gut, wie sie sich in die Organisation einpasst. Insofern können die hier genannten Hinweise und Überlegungen nur einführenden, bestenfalls unterstützenden Charakter haben.
Allen Richtlinien – gerade in Verbänden – liegen jedoch ein kooperativer Sprachstil und eine klare Sprache zugrunde. Sie sollen verstanden und auch neuen Mitarbeitern rasch eingängig sein. Akzeptanz kommt auch von niederhürdig. Besonders Verbände, die als Kommunikationsakteure alltäglich gefragt sind, sei es weil sie nach innen mit Blick auf ihre Mitglieder sprechen, schreiben, aufklären oder erläutern, müssen auf gutes und geschultes Personal vertrauen.
Gutes Personal wiederum vertraut auf einen verlässlichen und verständlichen Regelkatalog, wie in verschiedenen Situationen gehandelt werden kann – und die heißen gerade nicht immer Facebook, sondern auch mal Telefon oder Wikipedia, gerade wenn es um Richtigstellungen von Inhalten geht.
Social-Media-Richtlinien stellen keinen Verbotskatalog dar, im Gegenteil: Sie benennen die grundlegenden Gebote. Eben ein kommunikatives Grundgesetz für den Verband.