Verbändereport AUSGABE 1 / 2013

Die Bundestagswahl im September 2013: Herausforderung und Chance für Verbände

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Im September findet die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag statt, anschließend erfolgt die Bildung einer neuen Bundesregierung. Für die Politiker, die sich wieder oder neu um ein Mandat bemühen, ist dieses Datum entscheidend für die Lebensplanung. Auch für die Verbände bietet die Wahl Herausforderungen und neue Chancen. Sie sind im Interesse ihrer Mitglieder gut beraten, sich diesen zu stellen. Die entsprechenden Maßnahmen sollten sofort beginnen und die gesamte Wahlkampfphase und Regierungsbildung begleiten.

Zäsur und Neuanfang: Auch nach der kommenden Wahl werden wieder eine Reihe bekannter Persönlichkeiten aus der aktiven Politik ausscheiden. Beispielhaft seien genannt: Michael Glos (CSU, ehemaliger Bundeswirtschaftsminister), Hermann Otto Solms (FDP, langjähriger Vizepräsident des Bundestages) und Ulrich Klose (SPD, ehemaliger Fraktionsvorsitzender). Der Abschied dieser und der meisten verbliebenen Parlamentarier, die bereits zur Bonner Zeit Mitglied des Deutschen Bundestages waren, symbolisiert eine weitergehende Veränderung der politischen Kultur. Stichworte der „Berliner Republik“ sind: mehr Parteien, verschärfter Parteienwettbewerb, Professionalisierung von Politik und Interessenvertretung, erhöhter Mediendruck, neue Kommunikationsformen. Diese Charakteristika werden auch schon im Wahlkampf zu beobachten sein und haben sicher Auswirkungen auf das Lobbying der Verbände. An dieses werden noch höhere Anforderungen gestellt.

Verlust an Kontakten und Neuaufbau des Netzwerkes

Wie bei jeder Wahl verlieren die Verbände durch das (gewollte oder ergebnisbedingte) Ausscheiden von Abgeordneten wichtige Elemente ihres Netzwerkes. Dies gilt sowohl auf Parlamentsebene als auch in den politischen Leitungen der Ministerien, also unter Ministern, Staatssekretären und ihren Stäben. Aber auch schon vor der Wahl kommt es in der Bundesregierung zu Veränderungen: Es ist übliche Praxis von Ministern, vor dem Ende ihrer Amtszeit personelle Akzente auf Beamtenebene zu setzen. Mit Beförderungen, Neuberufungen und Verbeamtungen schöpfen sie die Möglichkeiten ihrer Personalverantwortung aus, um über ihre eigentliche Amtszeit hinaus zu wirken, aber auch, um verdienten Mitarbeitern ihren Dank für die Unterstützung in der abgelaufenen Legislaturperiode auszudrücken.

Verbände sind deshalb gut beraten, schon im laufenden Jahr die Personaltableaus der für sie wichtigen Ministerien aufmerksam und aktiv zu beobachten. Personelle Veränderungen auf der Beamtenebene werden nämlich selten offensiv nach außen kommuniziert. Stellt man solche Veränderungen fest, empfiehlt es sich, schon vor der Wahl aktiv den Kontakt zu suchen. Dazu bieten sich Glückwunschschreiben an, die mit der Anfrage für ein persönliches Gespräch verbunden sein können. So kann man auf erste Veränderungen im Netzwerk schon vor der Wahl reagieren und sich für die nächste Legislaturperiode gut aufstellen.

Auch in Bezug auf die Politiker ist es ratsam, sich mit absehbaren Veränderungen schon vor der Wahl zu beschäftigen, z.B. mit nach vorne drängenden Nachwuchskräften. Die einschlägigen politischen Magazine, aber auch Tages- und Wochenzeitungen publizieren im Vorfeld der Wahl häufig Ranglisten nach dem Motto: „Wahl 2013 – wer wird wichtig?“. Diese beschränken sich jedoch in der Regel auf medial präsente oder interessante Persönlichkeiten und können nicht gezielt auf die jeweiligen Fachbereiche eingehen. Systematisch können solche Informationen in einer sogenannten „Stakeholderanalyse“ zusammengetragen werden, um kommende Entscheidungsträger – seien es neue oder bereits etablierte – zu identifizieren.

Sind im politischen Interessenbereich eines Verbandes bedeutende Veränderungen zu erwarten, sollten Verbände schon vor der Wahl den persönlichen Kontakt zu möglichen neuen Schlüsselkontakten suchen. Über den neuen dürfen die alten Kontakte jedoch nicht vergessen werden. Auch diese sollten schon vor der Wahl beobachtet und aktiv begleitet werden. In Wahlkampfzeiten sind Politiker besonders an Kontakten und Dialogen interessiert, da sie diese für die eigene Bekanntheit und damit zur Erhöhung ihrer Wahlchancen brauchen. Auf die so etablierten Verbindungen lässt sich nach der Wahl aufbauen. Parteipolitisch neutrales und ausgewogenes Vorgehen sollte dabei Prämisse sein.

Zeitnah nach der Aufstellung der Landeslisten sollte den nominierten (Spitzen-)Kandidaten gratuliert werden. Dadurch zeigen Verbandsmanager Interesse an der Person der Abgeordneten und können so den persönlichen Kontakt stabilisieren.

Die Wahlkreise spielen vor der Wahl eine herausragende Rolle. Schließlich spielt sich Wahlkampf für die meisten Politiker auf lokaler und regionaler Ebene ab. Wenn es die Verbandsstruktur erlaubt, ist es überaus sinnvoll, Mitglieder aktiv einzubinden und politische Arbeit vor Ort zu leisten. Auch inhaltlich ist es hilfreich, eigene Verbandsanliegen mit dem jeweiligen Wahlkreisbezug des Gesprächspartners zu versehen.

Wahlkampfspenden, wenngleich in jüngster Zeit häufig kritisiert, können ein weiteres Mittel sein, Kontakte zu pflegen. Wichtig ist neben der strikten Wahrung gesetzlicher Vorgaben parteipolitische Neutralität. Viele Verbände spenden gleiche Beträge an mehrere Parteien, und zwar immer an die Parteien, nicht an einzelne Kandidaten.

Schwerpunkte kommender Politik: Von den Wahlprogrammen der Parteien zum Koalitionsvertrag

Auch inhaltlich sollten sich Verbände auf die Politik der kommenden Legislaturperiode einstellen. Ohne Kenntnis der kommenden Regierungskonstellation und deren Programmatik ist dies natürlich nicht im Detail machbar. Jedoch lassen sich aus den bisherigen Äußerungen und Handlungen der Parteien sowie aus deren Wahlprogrammen wichtige Erkenntnisse ableiten. Letztere werden derzeit mit Hochdruck entwickelt und auf Wahlparteitagen im Frühjahr 2013 verabschiedet. Verbände sind gut beraten, ihren konstruktiven Input an die Generalsekretäre und Zentralen der Parteien zu adressieren, persönliche Kontakte sind dabei von großer Bedeutung. Je stärker man eigene Anliegen jetzt in der Programmatik platzieren kann, umso besser sind die Chancen einer späteren Umsetzung; eine Regierungsbeteiligung der entsprechenden Partei vorausgesetzt.

Wer nicht direkt Einfluss nehmen kann oder will, sollte jedoch in jedem Fall die Programmarbeit der Parteien aufmerksam verfolgen. Hieraus lassen sich schon jetzt erste Abschätzungen über das, was auf die Verbandsmitglieder zukommen wird, vornehmen. Dringend empfohlen sei allen Verbandsmanagern der Besuch der Wahlparteitage. Hier verbrachte Zeit ist in doppelter Hinsicht gut investiert: Zum einen gewinnt man einen unverfälschten Einblick in die sich entwickelnde Programmatik, unterstützt von einem Stimmungsbild; zum anderen sind Parteitage hervorragende Möglichkeiten zur Netzwerkpflege und zum Neuaufbau von Kontakten. Der Zugang zu den Parteitagen ist in der Regel für jeden offen. Es empfiehlt sich eine vorherige Akkreditierung als Gast über die Homepage der jeweiligen Partei.

Parteien bieten zur Kostendeckung ihrer Parteitage Verbänden und Unternehmen die Möglichkeit, ähnlich wie bei Messen Flächen anzumieten und mit einem Stand zu bestücken. Ob dies den Interessen des Verbandes entspricht, muss je nach Thematik und Interessenlage abgewogen werden. Für einen Stand spricht in jedem Fall, dass Verbände damit erweiterte Möglichkeiten haben, ihre Anliegen gegenüber der Politik zu präsentieren. Dies gelingt umso besser, je interaktiver und anschaulicher die Informationsvermittlung am Stand gestaltet wird. Stände, die nur Displays zeigen und Broschüren verbreiten, wirken kaum.

Um die aufgewendeten Kosten zu rechtfertigen, ist es darüber hinaus wichtig, möglichst viele Politiker zu einem Standbesuch zu motivieren. Dabei sollte man sich nicht auf die offiziellen „Rundgänge“ verlassen, sondern Abgeordnete, Parteifunktionäre und Minister gezielt zu einem Besuch einladen, schriftlich im Vorfeld und mündlich während des Parteitages. Am Stand sollte den Besuchern kurz und knapp in mündlicher Form das Anliegen des Verbandes mit Bezug zum Wahlprogramm vorgetragen werden, ohne Übergabe von Broschüren oder Positionspapieren. Diese sind während der Veranstaltung nur hinderlich und werden nicht beachtet. Ein Nachversand ist jedoch sinnvoll. Fotos mit den Besuchern dienen sowohl zur internen als auch zur externen Kommunikation.

Für die inhaltliche Arbeit der Verbände sind die Koalitionsverhandlungen und die Arbeit an den Koalitionsverträgen die wichtigste Phase. Besonders für diese Zeit gilt es, ausreichend Ressourcen einzuplanen. Grundlage der Koalitionsverhandlungen sind natürlich die Wahlprogramme, deren genaue Kenntnis Voraussetzung ist, will man als Gesprächspartner akzeptiert werden. Der Koalitionsvertrag wird in Arbeitsgruppen durch die Fachpolitiker vorformuliert, gegliedert nach den klassischen Politikfeldern. Daher gilt es, die persönlich bekannten oder im Vorfeld der Wahl kontaktierten Politiker persönlich anzusprechen. Je besser die Kontakte sind, umso leichter wird es fallen, die eigenen Verbandspositionen an die Verhandlungsführer heranzubringen. Dabei ist es wichtig, sich in die Interessenlage des jeweiligen Adressaten hineinzuversetzen (politische Gesamtsituation, Parteizugehörigkeit, Gruppierung innerhalb der Partei, persönliche Interessen) und die eigenen Verbandsanliegen entsprechend zu formulieren. Nicht plumpe Verbandsprogrammatik ist gefragt, sondern sensibles Einfühlen in die jeweilige politische Gemengelage, inhaltlich und persönlich.

Koalitionsvertrag und Verbandsprogrammatik

Nachdem der Koalitionsvertrag steht und verabschiedet ist, gilt die alte Fußballerweisheit: „nach dem Spiel ist vor dem Spiel“. Zwar sind jetzt die Grundlagen des kommenden Regierungshandelns fixiert, jedoch auf einer sehr grundsätzlichen und globalen Ebene. Während die verantwortlichen neuen Minister in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen aufgerufen sind, die Programmatik des Koalitionsvertrages in konkrete Gesetze umzusetzen, gilt es für die Verbände, sich eben darauf frühzeitig und professionell einzustellen. Die Verantwortlichen in den Geschäftsstellen tun gut daran, auf Basis des Koalitionsvertrages Szenarien zu entwickeln, wie Gesetzgebungen in den kommenden vier Jahren aussehen könnten und dazu bereits frühzeitig Verbandspositionen zu entwickeln. Je zügiger nach der Wahl dies geschieht und je fester alle Gremien eingebunden werden, umso besser ist ein Verband für die kommende Legislaturperiode gerüstet. Dies gilt inhaltlich, aber auch für die Planung von Personal, Budget und sonstiger Ressourcen. Auch die Bildung von Lobbying-Allianzen kann auf dieser Basis bereits vorbereitet werden.

Kontakt- und Einladungsmanagement

Natürlich gehört es zur ersten Pflicht von Geschäftsführung und Präsidium, den neu gewählten Abgeordneten und Funktions- und Mandatsträgern zeitnah und angemessen zu gratulieren. Über welche Kommunikationskanäle dies geschieht, muss jeder Absender selbst entscheiden. Die Erfahrung zeigt aber, dass auch im Zeitalter elektronischer Kommunikation der persönlich unterschriebene, konventionelle Brief noch immer eine hohe Wertschätzung des Adressaten signalisiert und entsprechend wahrgenommen wird.

Unmittelbar nach der Wahl beginnt für die gewählten Abgeordneten ein neuer Wahlkampf, nämlich der um einflussreiche und lukrative Posten in der Fraktion oder – bei den Koalitionsparteien – in der Regierung. Auch hier empfiehlt sich für die Verbände eine aktive Begleitung. Glückwunschschreiben an die für den eigenen Verband wichtigen Gewählten sind Pflicht, verbunden mit Angeboten an fachlicher Unterstützung und ggf. auch schon Bereitstellung von gezielten Materialien. In den Fraktionen werden unter anderem die Posten im Fraktionsvorstand (Vorsitzende/-r, Stellvertreter) sowie die Positionen  der parlamentarischen Geschäftsführer, der Arbeitsgruppenvorsitzenden, der fachpolitischen Sprecher sowie der Obleute in den Ausschüssen vergeben. In der Regel erfolgt die Neuaufstellung der kommenden Oppositionsfraktionen schneller, da in den Regierungsfraktionen die diffizile Balance auch mit Regierungsämtern gefunden werden muss. Möglichst nicht direkt mit dem Glückwunschschreiben, aber zeitlich danach und gegebenenfalls schon angekündigt, sollten Gesprächswünsche artikuliert und Termine angefragt werden. Erfahrungsgemäß bekommt man einen Termin mit einem neu gewählten Mandatsträger anfangs sehr zügig, nach Beginn der Parlamentsroutine jedoch nur mit längerem Vorlauf.

Aus dem gleichen Grund empfiehlt es sich, die Planungen von Veranstaltungen wie etwa parlamentarischen Frühstücken oder parlamentarischen Abenden frühzeitig anzugehen.  Entsprechende Einladungen oder Anfragen zu Reden von Politikern auf Verbandsveranstaltungen sollte man kurz nach der Regierungsbildung und der Konstituierung des Deutschen Bundestages versenden.

Wie gegen Ende der vergangenen Legislaturperiode ist es auch zum Beginn der neuen ein absolutes Muss, die Personalpolitik in den Ministerien aufmerksam zu beobachten. Nicht nur  besetzen Minister üblicherweise ihren persönlichen Stab (Büroleiter, persönlicher Referent, Pressesprecher) neu, auch bei den politischen Beamten (Staatssekretäre und Abteilungsleiter) sind parteipolitisch motivierte Änderungen üblich. Politische Beamte müssen das besondere Vertrauen des jeweiligen Ministers besitzen, dies wird häufig mit der Zugehörigkeit zur gleichen Partei verknüpft.

Während Glückwunschschreiben an neu gewählte Abgeordnete bei vielen Verbänden zum Standard gehören, sind persönliche Briefe an die Ausgeschiedenen eher selten. Dabei kommt auch diesen eine große Bedeutung zu. Zunächst ist es ein Zeichen von Stil und persönlicher Wertschätzung, sich für die Zusammenarbeit in der Vergangenheit zu bedanken. Zum anderen sind ehemalige Spitzenpolitiker häufig im Hintergrund noch einflussreich. Da erfolgreiche politische Interessenvertretung nicht zuletzt auf einem stabilen Vertrauensverhältnis beruht, das sich nur über Jahre und personenübergreifend entwickeln lässt, kommt den „Ehemaligen“ beim Übergang auf die Neuen eine besondere Bedeutung zu.

Resümee und Ausblick

Die Bundestagswahl stellt Verbände vor große Herausforderungen, die trotz geringerer sachpolitischer Arbeit während des Wahlkampfes Ressourcen erfordern und Kapazitäten binden. Sie bietet aber auch herausragende Chancen, die politische Kommunikation zu intensivieren und zu verbessern. Dies gilt auch für diejenigen Verbände, die der Interessenvertretung ihrer Mitglieder in der Vergangenheit weniger Aufmerksamkeit gewidmet haben. In der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages werden neue Inhalte von neuen  Verantwortlichen vertreten werden. Erfolge in der Vergangenheit, aber auch Fehler und Versäumnisse werden dadurch relativiert. Es gilt, den eigenen Verband neu aufzustellen und die Interessen der Mitglieder ziel- und erfolgsorientiert zu vertreten; denn dies ist schließlich eine der Hauptaufgaben für Verbände.           

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Autor/in

Hubert Koch

ist Public-Affairs-Experte und Lobbyist.  Dr. Koch war selbst zehn Jahre Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Präsidiums eines Industrieverbandes. Mit der Dr. Koch Consulting e.K. unterstützte er viele Jahre Verbände bei der Entwicklung und Durchführung von Lobbyprojekten auf nationaler und europäischer Ebene.

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