Im März 2011 wurde das Europäische Parlament von einem einzigartigen Korruptions- und Manipulationsskandal erschüttert. Reporter der britischen Zeitung Sunday Times haben sich als Lobbyisten für Finanzinvestoren ausgegeben ohne die Auftraggeber genauer zu nennen. Sie haben Sondierungsgespräche mit EU-Parlamentariern geführt und diese mit verdeckter Kamera aufgezeichnet. In diesen Gesprächen haben sie die Bereitschaft der Parlamentarier ausgelotet, gegen hohe Geldzahlungen auf laufende Gesetzgebungsverfahren einzuwirken.
Konkret sollten sie sogenannte Änderungsanträge einbringen und bei anderen Parlamentariern für die nötige Mehrheit für diese Änderungen im Interesse der fiktiven Auftraggeber werben. Abgeordnete verschiedener Parteien und verschiedener Nationalitäten sind auf diese Angebote eingegangen. Nachdem das britische Fernsehen die entsprechenden Berichte ausgestrahlt hat, sind die meisten der Beschuldigten zurückgetreten oder haben auf massiven Druck ihre Fraktionen verlassen.
Was bedeutet dieser Skandal für das Lobbying von Verbänden in Brüssel? Viel, weil es Lobbying in einem schlechten Licht erscheinen lässt und viele bekannte Vorurteile zu bestätigen scheint. Wenig, weil die beteiligten Journalisten und Abgeordneten die Grundregel professionellen Lobbyings außer Acht gelassen haben. So gehört es zur Standesehre von Lobbyisten, sei es als Verbandsvertreter, sei es als freier Lobbyist oder Vertreter einer Public-Affairs-Agentur, jeweils zu Beginn eines jeden Gespräches klar den Auftraggeber zu benennen. In gleicher Weise lehnen Abgeordnete in der Regel jede Gesprächsanfrage ab, wenn sie die Identität des Gegenübers und seinen Auftraggeber nicht kennen.
Änderungsanträge zu Richtlinien oder Verordnungen, konkret zum Berichtsentwurf des zuständigen Rapporteurs, sind ein Grundinstrument der Arbeit des Europäischen Parlaments. Sie stellen ein wesentliches Gestaltungsmittel für jeden Abgeordneten dar und sind ein wichtiges und legitimes Instrument der politischen Einflussnahme und des Interessenausgleichs. Im vorliegenden Fall liegt der Skandal also nicht darin, dass Abgeordnete diese Änderungsanträge gestellt oder zugesagt haben, sondern darin, dass dies gegen eine hohe Geldzahlung und noch dazu für einen völlig unbekannten Auftraggeber erfolgen sollte. Was können Verbandsvertreter aus diesem Fall lernen, um einerseits nicht in falsches Licht zu kommen und andererseits trotzdem die Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen und vertreten zu können?
Die wichtigste Schlussfolgerung aus meiner Sicht ist, sich um höchstmögliche Transparenz zu bemühen. Dazu gehört zunächst die Registrierung im Lobbyregister der Europäischen Kommission. Auch wenn man gegen die Form durchaus Vorbehalte haben kann, ist dieses Register grundsätzlich zu begrüßen. Es macht für jeden öffentlich klar, welche Verbände in Brüssel aktiv sind und sich – völlig legal – um Einfluss auf politische Entscheidungen bemühen. Da das Register freiwillig ist, zeichnen sich die Verbände, die sich darin eintragen, positiv aus und heben sich von anderen ab.
In naher Zukunft wird ein gemeinsames Register von Kommission und Parlament eingeführt werden, gegebenenfalls unter späterer Einbeziehung des Ministerrates. Ob, und auch diese Bestrebungen gibt es, aus dem freiwilligen ein verpflichtendes Register werden muss, ist umstritten. Ich persönlich halte ein freiwilliges Register für ausreichend, da die Akzeptanz nicht eingetragener Lobbyisten bei der Politik automatisch sinken wird und es sich insofern kaum jemand leisten kann, dauerhaft außen vor zu bleiben.
Ein weiterer Schritt, größtmögliche Transparenz zu erreichen, ist die Beantragung eines Hausausweises für das Europäische Parlament. Dazu muss eine formale Prozedur durchlaufen werden, die die Beibringung eines polizeilichen Führungszeugnisses des Heimatlandes für den Ausweisinhaber einschließt. Des Weiteren empfehle ich Verbandsrepräsentanten, alles zu vermeiden, was zu falschen Verdächtigungen führen kann. Dazu kann schon die Einladung für Abgeordnete oder Kommissionsmitarbeiter in besonders exklusive oder teure Restaurants zählen. Auch „konspirative“ Treffen außerhalb der Öffentlichkeit, zum Beispiel an entlegenen Ferienorten oder in Privathäusern von Verbandsvertretern, sollten vermieden werden.
Nicht erwähnenswert, weil selbstverständlich, sollte es sein, jeweils schon bei der Kontaktaufnahme den Namen des Verbandes und, falls es sich daraus nicht ergibt, die betroffene Branche sowie Namen und Funktion des Verbandsrepräsentanten zu benennen.
Wenn man so vorgeht, wird man zumindest auf der Parlamentsseite keine Schwierigkeiten haben, sich mit den gewünschten Gesprächspartnern zu verabreden und seine Anliegen vorzutragen.