Verbändereport AUSGABE 3 / 2013

Der dynamische Verband

Logo Verbaendereport

Unternehmerisches Denken und Handeln ist nicht nur den Profit-Unternehmen vorbehalten, sondern auch in Verbänden ist ökonomisches Denken und Handeln angesagt. Der Transfer moderner Management-Konzepte aus den Unternehmen auf Verbände ist notwendig, um eine nachhaltige Effektivität und Effizienzverbesserung dieser sogenannten Non-Profit-Organisationen zu erreichen. Denn die Übernahme etablierter und moderner Managementkonzepte und -instrumente aus dem strategischen Management, dem Controlling, dem Benchmarking und eine leistungsorientierte Vergütung sowie vieles mehr tragen zur Professionalisierung von Non-Profit-Organisationen bei. Diese Professionalisierung der Verbandsarbeit ist eine aktuelle und ständige Herausforderung.

Werden Verbände wie Unternehmen geführt, heißt das nicht im gleichen Atemzug, dass nun die Kapitalmarktlogik einzieht und die gesamte Verbandsausrichtung ausschließlich der Gewinnorientierung oder Maximierung untergeordnet wird. Trotz eines unternehmerischen Denkens und einer Ausrichtung nach wirtschaftlichen Prinzipien und Grundsätzen, stehen die gesellschaftliche Auseinandersetzung und die Interessenintegration bei Verbänden im Vordergrund.

Für Non-Profit-Organisationen stellt sich die Frage, welche Konfigurationen sind innerhalb der Verbandswelt geeignet, über einen längeren Zeitraum das Überleben eines Verbandes zu gewährleisten. In Anlehnung an die wissenschaftliche Diskussion können Lebenszykluskonzepte, wie von Cuno Pümpin (siehe Literaturhinweise) in seinem St. Galler Managementkonzept, welches auch die dynamische Dimension der Unternehmensentwicklung berücksichtigt, für Verbände übernommen werden. So wie das dynamische Unternehmen als ideale Unternehmenskonfiguration gesehen wird, muss der dynamische Verband als Idealmodell betrachtet werden.

Das Konzept des Lebenszyklus beschreibt Entwicklungen in Organisationen und Unternehmen in Analogie zu biologischen Vorgängen. Das Zyklusmodell zeigt, wie Organismen entstehen, wie sie wachsen, sich verändern und vergehen. Ein solcher Entwicklungsprozess wird durch verschiedene Kräfte gesteuert.

Lebenszyklus für Verbände

In der Betriebswirtschaftslehre finden solche Lebenszykluskonzepte eine Reihe von Anwendungen, beispielsweise bei Produkt-, Technologie-, Branchen- oder Nutzen-Potenzial-Lebenszyklus, neben dem Zyklus der Unternehmensentwicklung selbst. Solche Lebenszyklusmodelle sind auch auf Verbände anwendbar (siehe Abbildung 1).

Für Verbände stellt sich beispielsweise die Frage, wie sich ein lebensbedrohender Abwärtstrend in der Wendephase des Verbands-Lebenszyklus vermeiden lässt. Doch bevor ein Verband die kritische Phase des Abwärtstrends erreicht, ist zunächst der Übergang von der Wachstums- zur Reifephase zu meistern. Ein vorausschauendes Verbandsmanagement muss alles daransetzen, den Übergang von der Reife- zur Wendephase zu vermeiden. Das Management muss die Verbandsentwicklung so ausrichten, dass die Nutzenpotenziale für die Mitglieder zyklisch überarbeitet und neue Potenziale entdeckt werden.

Dem Verband ist zu empfehlen, gegen Ende der Wachstumsphase wieder pionierhafte Grundsätze einzuführen. Treiber für eine solche Entwicklung sind ganz klar, Nutzenpotenziale für die Mitglieder zu entdecken und umzusetzen. Hierbei ersetzen kreatives und intuitives Denken verkrustetes Festhalten an altbewährten Mustern.

Im theoretischen Modell des dynamischen Verbandes wird genau jene Kombination aus Pionier- und Wachstumsverband gelebt. Die Schlüsselfaktoren in diesem Modell sind pionierhafte Eigenschaften, angefangen von der Experimentierfreude bis zur unternehmerischen Hingabe an die neuen Herausforderungen.

Führungsziele eines dynamischen Verbandes

Die daraus resultierenden Führungsziele eines dynamischen Verbandes sind gleich dreifacher Natur:

  • Die Tendenz in Richtung Reife und Wendeverband soll mit allen Mitteln abgewendet oder durchbrochen werden.
  • Für die „reifen“ und somit zurückgehenden Nutzenpotenziale für die Mitglieder sind neue, im Trend der Zeit liegende Nutzenpotenziale zu erschließen. Dazu sind pionierhafte Züge erforderlich.
  • Die neu erschlossenen entwickelten Nutzenpotenziale sind multiplikativ zu nutzen. Eine Eigenschaft, die der typische Wachstumsverband perfekt beherrschen muss.

Folgt die Verbandsgeschäftsführung diesen modellhaften Ansätzen oder Empfehlungen hin zu einem dynamischen Verband, lassen sich die motivierenden und pionierhaften Treiber mit Stärken eines Wachstumsverbandes kombinieren. Eine wesentliche Fähigkeit beruht in diesem Modell darauf, den Gefahren von Bürokratie, Machtkämpfen und anderen internen Obstruktionen zu widerstehen. Ein solch dynamisches Modell eines Verbandes setzt die dauerhafte Zufuhr neuer Ideen und somit geistiger, schöpferischer Energie voraus.

Dynamik durch attraktive Nutzenpotenziale

Im Modell des dynamischen Verbandes lenkt und konzentriert das Führungs- oder Managementteam seine Kräfte auf neue, attraktive Nutzenpotenziale. Der dynamische Verband sucht permanent nach neuen Nutzenpotenzialen für seine Mitglieder, entwickelt diese weiter und baut somit sein Alleinstellungsmerkmal, seine Marke weiter aus. Diese Suche, die anschließende Entwicklung sowie der spätere Ausbau erfolgten innerhalb der Leitplanken einer klar definierten, visionären Verbandsstrategie. Um den Nutzen glaubhaft und vor allem nachhaltig darzustellen und zu festigen, ist eine dauerhafte Interaktion mit allen relevanten Zielgruppen, das heißt den Mitgliedern, notwendig. In diesem Prozess werden die entdeckten und entwickelten neuen Nutzenpotenziale durch qualitative und quantitative Befragungen evaluiert und empirisch ausgewertet.

Hat nun ein Verband ein attraktives Nutzenpotenzial entdeckt und die Mitgliederbefragung zeigt das Interesse der Akteure, ist das Management- oder Führungsteam gut beraten, keine Zeit verstreichen zu lassen. Es gilt das identifizierte Potenzial beim Schopfe zu packen und die verfügbaren Managementressourcen konsequent auf das geweckte Interesse der Mitglieder auszurichten. Vergleichbar mit der strategischen Positionierung klassischer Profitunternehmen, in der identifizierte Marktnischen besetzt werden, haben Verbände wie gesagt bei konsequenter Weiterentwicklung der Potenziale sogar die Chance, die Meinungsführerschaft zu übernehmen und somit zum Trendsetter in der Gesellschaft zu werden.

Neben den Chancen im Außen und den Stärken einer aufgeschlossenen Organisation besteht eine grundlegende Problematik des dynamischen Verbandes darin, dass das Management zwei von Natur aus unterschiedliche Kulturen parallel entwickeln muss.

Auf der einen Seite erfordert die Suche nach neuen Nutzenpotenzialen eine Pionierkultur, bei der Kreativität, Inspiration und Flexibilität eine tragende Rolle spielen, In der Individualismus und Intrapreneurship wichtige Aspekte dieser Kultur sind. Auf der anderen Seite, nahezu gegensätzlicher Natur, fordert die multiplikative Erschließung attraktiver Nutzenpotenziale eine Kultur, die stringent auf die Realisierung, auf die Umsetzung der Potenziale und Mitgliederinteressen ausgerichtet ist. In diesem Umsetzungsanspruch spielt der Faktor Zeit eine wichtige und wesentliche Rolle. Somit bleibt für individuelle Gestaltungsräume wenig Spielraum. Hier ist der Macher gefragt, der ohne große schöpferische Ambitionen die bereits entwickelten Lösungen übernimmt und rigoros implementiert.

Widersprüche können auftreten

Soll das Modell des dynamischen Verbandes mit all seinen Facetten und Potenzialen in der praktischen Verbandswelt umgesetzt werden, besteht die berechtigte Gefahr, dass zwischen den beiden doch sehr gegensätzlichen Kulturen beachtliche Widersprüche auftreten können. Um diesen, doch sehr realen Widerständen zu begegnen, sollte das Management ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der unterschiedlichen Kulturen schaffen. Erst dann können sich im Anschluss und in Anlehnung an diesem schöpferischen Bewusstseinsprozess im Idealfall Pionier- und Wachstumsdenken ergänzen. Konkret kann das heißen, dass zunächst die kreativen Köpfe, die ideenreichen Denker neue Nutzenpotenziale entwickeln. Dann kommen die Macher zum Zuge. In der Übergangsphase von der Entstehung oder Entwicklung der Nutzenpotenziale zur Wachstumsphase werden die möglichen, auftretenden Probleme und ihre Lösungen an die Macher übergeben. Denn sie übernehmen oder tragen die Verantwortung für die langfristige Überlebensfähigkeit oder das Wachstum eines Verbandes.

Zentrale Aufgaben des Topmanagements

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass unternehmerisches Denken und Handeln die entscheidende Rolle im dynamischen Verband spielt. Auf allen Management- oder Führungsebenen gilt es Eigeninitiative zu entfalten und die daraus hervorgehenden Ideen und nicht selten anspruchsvollen Ziele umzusetzen. Ganz besonders gefordert ist das Topmanagement. Von hieraus sollte die überlebensnotwendige Dynamik gefördert werden. Motivation, ganz im Sinne eines Peter Drucker, wird zur zentralen Aufgabe des Topmanagements. Zu diesem Zweck schafft das Topmanagement die erforderlichen kulturellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Unternehmerische Werte und zugleich Verbandswerte, wie Eigeninitiative, Wettbewerbsgeist, stete Unzufriedenheit mit dem Erreichten, das Streben nach ständiger Verbesserung, konsequente Nutzenorientierung für die Mitglieder sind gezielt zu fördern.

Um nun bei all den Erwartungen und Forderungen an das Management nicht der Gefahr einer Verbandsblindheit zu unterliegen, kann eine zusätzliche Außenperspektive helfen, den „Blinden Fleck“ zu überwinden. Im angemessenen Umfang können ernst gemeinte Querdenker, keine opportunistischen „Jasager“ oder konstruktive bis kritische Berater frisches Blut in die interne Diskussion bringen. Pertubation oder anders ausgedrückt Störung von außen sorgt für Diskontinuität und beugt einer zu hohen Konformität im Denken und Handeln vor. Sie hilft somit, die Gefahr einer „Überbürokratisierung“ zu vermeiden, und kann als Impulsgeber Verkrustungen aufbrechen, zugleich Mut geben, die eingefahrenen Strukturen und Wege zu verlassen.

Was ist nun für einen Verband in diesem Modell und unter diesen zuvor diskutierten Erwartungen wichtig?

Um es vorwegzunehmen, es gibt nicht nur die eine Wahrheit oder nur die eine Antwort auf die Frage. Es ist die Summe der Ideen, Eigenschaften, Maßnahmen oder Initiativen, die einen dynamischen Verband auszeichnen. Der Verband sollte in der Lage sein, eine überlebensnotwendige Dynamik zu entwickeln, gesellschaftliche Entwicklungen und Problemstellungen zu antizipieren, vorzudenken, was kommt auf uns zu, Trends zu erkennen, politische Entscheidungsprozesse vorzudenken, mögliche Rahmenbedingungen vorauszuschauen und Radars zu entwickeln, die Gefahren erkennen, Problemstellungen frühzeitig sehen, Strömungen antizipieren. Zu guter Letzt spielt bei den zuvor genannten Anforderungen an den dynamischen Verband der Zeitfaktor eine entscheidende oder sogar erfolgskritische Rolle. Zeitorientiertes und -sensibles Management ist ein wichtiges Merkmal dynamischer Verbände.

Auch bei noch so großer Anstrengung lässt sich der Anspruch an Dynamik und Antizipation nicht ohne eine strategische Personalentwicklung umsetzen. Höher- und Weiterqualifizierung der Mitarbeiter, die Suche nach neuen, jungen Talenten und die damit verbundene Entschlackung verkrusteter Strukturen werden zu Schlüsselthemen in der Verbandsentwicklung. Mittels dieser permanenten Energiezufuhr kann der Verband seine Kompetenz auf höchstem Niveau halten und weiter ausbauen.

Fazit

Zusammenfassend kann zur Führung oder zum Management von dynamischen Verbänden gesagt werden, dass ganz spezifische Fähigkeiten sowie strategische Erfolgspositionen zu entwickeln sind. Zu nennen sind hier etwa:

  • neue Nutzenpotenziale zu entdecken
  • attraktive Nutzenpotenziale zügig und zielstrebig zu erschließen
  • differenzierte Kulturen zu entwickeln und nahezu konfliktfrei miteinander zu verbinden
  • flexible Verbands- und Verfassungskonzepte zu implementieren
  • das Schaffen einer fundierten Vertrauensbasis
  • eine offene Kommunikation im gesamten Verband
  • umfassende Mitarbeiterentwicklung
  • flexible Anreizsysteme (Prämiensystem)
  • gemeinsame und sinnvolle Ziele vermitteln, für die es sich einzusetzen lohnt

All dies verlangt nach einer flexiblen Struktur- und Prozessorganisation. Tendenziell geht das dynamische Modell von kleinen, dezentralen und somit flexiblen Einheiten oder Projektgruppen aus. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Effekt im dynamischen Modell ist dauernde Anpassung und zum Teil radikale Neugestaltung der Organisation.       

Artikel teilen:

Das könnte Sie auch interessieren: