Buchverlage und Buchhandel sind von der Digitalisierung besonders betroffen. Sie haben im Netz mächtige Konkurrenten erhalten, vorneweg Amazon. Mit welchen Argumenten sollen Preisbindung und Urheberrechte bewahrt werden? Was macht die aktuelle Werbung für das Buch erfolgreich? Henning von Vieregge fragte Alexander Skipis, den Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels.
VR: Ich frage mal ein bisschen großartig: Was sollte jeder Deutsche von euch wissen?
Skipis: Wir vertreten das Buch in der Gesellschaft. Wir sind ein Kultur- und Wirtschaftsverband, der 1825 gegründet worden ist, sind also einer der ältesten Verbände überhaupt. Und, das ist eine große Besonderheit: Wir vertreten fast die gesamte Wertschöpfungskette des Buches, vom Verleger über den Zwischenbuchhändler und Buchhändler ist der gesamte Vertrieb mit dabei.
VR: Warum so früh und warum alle unter einem Dach?
Man traf sich in Leipzig schon im 18. Jahrhundert zur sogenannten Bücherbörse. Da kamen die Verleger und haben nicht die bereits gebundenen Bücher, sondern die gedruckten Seiten in Fässern auf den Marktplatz gerollt und haben mit den Buchhändlern gehandelt. Dann wurde verkauft. Das funktionierte alles sehr gut, aber man hat sich dann überlegt: Wir müssen einiges untereinander regeln, die Zusammenarbeit, das Verhalten miteinander, Abrechnungsfragen usw. Wie können wir das organisieren? Da kam man auf den Gedanken, den Börsenverein des Deutschen Buchhandels zu gründen, der sich dann auch für bestimmte Rahmenbedingungen, die für das Buch als notwendig erachtet worden sind und bis heute weitergelten, einsetzen sollte. So hat man sich praktisch wie natürlich als Verbündete zu diesem Verband zusammengefunden.
VR: Der Verband sorgte für die Rahmenbedingungen, in die sich der jeweilige Einzelfall einpassen konnte?
Ja, es ging um Marktbedingungen, die das sensible Kulturgut Buch braucht, um sich in seiner Vielfalt und Qualität entfalten zu können. Es ging auch damals schon um eine Außenwirkung, nämlich das Geschäft mit dem Buch auch nach außen, vor allem in die Politik, zu vertreten.
VR: Und von Anfang an die Werbung für das Buch.
Im Vergleich zu heute war das Buch fast ein kommunikativer Solitär. Film, Musik, Kino, die ganzen technischen Möglichkeiten, das alles hat sich stark entwickelt.
VR: Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sind nie unter einem Verbands-Dach gewesen, oder?
Nein.
VR: Gibt es ausländische Beispiele?
Meines Wissens nicht. Wir sind eher die Ausnahme. In den meisten Ländern sind Buchhändler und Verleger getrennt organisiert.
VR: Welche Gruppe stellt den Präsidenten?
Das ist nicht gesetzt, zurzeit ein Verleger. Es ist in unserer Satzung klar geregelt, in welcher Parität der Vorstand insgesamt zu besetzen ist. Es gab in der Vergangenheit immer mal einen Wechsel zwischen Buchhändler, Verleger und Zwischenbuchhändler an der Spitze. In der letzten Zeit haben die Verleger dominiert, aber auf der Hauptversammlung im Juni dieses Jahres wurde der Buchhändler Heinrich Riethmüller als Vorsteher gewählt. Bei uns heißt der Präsident übrigens Vorsteher.
VR: Auch in diesem Wirtschaftszweig ist das Geschäft komplexer geworden, allein durch die Digitalisierung. Führt dies zu einer neuen Balance zwischen Haupt- und Ehrenamt?
Ja. Die Buchbranche steht zz. in einem Veränderungsprozess, der, aber das werden wir erst in der Zukunft wissen, vielleicht die Dimension erreichen könnte wie die Erfindung der Buchdruckkunst durch Gutenberg. Bei uns verändern sich Wertschöpfungsketten, kulturelles Wissen wird schneller überall verfügbar. Es gibt neue Vertriebswege und neue Formen Bücher zu produzieren. Das bedeutet, dass das Ehrenamt sehr stark in Anspruch genommen ist, seine eigenen neuen Geschäftsmodelle zu entwickeln, und da muss der Verband an dessen Seite sein und seine Struktur und sein Dienstleistungsangebot sehr kritisch überprüfen. Da bewährt sich jetzt bei uns die Fähigkeit, zwischen Ehrenamt und Hauptamt eine effektive und schnelle Zusammenarbeit zu organisieren. Das bedeutet auch, dass dem Hauptamt eine größere Bedeutung beikommt.
VR: Lange hieß es, das eigentliche Business, das die Mitglieder in Konkurrenz zueinander betreiben, sei kein Thema des Verbandes. Nur das Drumherum. Ändert sich das gerade? Auch bei Ihnen?
Absolut! Beispiel: Wir haben ein Format erfunden, „protoTYPE“ heißt das, mit dem wir Menschen innerhalb der Branche, aber auch außerhalb der Branche zusammenführen und stimulieren, Geschäftsmodelle bis zu einem Prototypenstadium zu entwickeln. Diese werden am Schluss der Branche zur Verfügung gestellt. Jeder kann aus diesem Geschäftsmodell dann etwas machen. Ein Beispiel dafür ist „emotional booksearch“. Da kam eine Gruppe auf den Gedanken, eine Buchsuche nicht nach Titel, Verlag und Autor zu strukturieren, sondern nach emotionaler Befindlichkeit – so wie Käufer oft in den Laden kommen und sagen, ich möchte gerne einen Abenteuer- oder Liebesroman. Mal sehen, wie weit dieses Projekt in der Realität kommen wird. Also: Wir fassen uns schon als Innovator auf oder besser als Innovationsermöglicher, weil wir entsprechende Plattformen dafür bieten, um so etwas zu erarbeiten. Das bedeutet nun nicht, dass wir bei den herkömmlichen Aufgaben in unserer Leistung nachlassen dürfen.
VR: Stichwort „Neue Formate“. Gibt es da noch mehr?
Wie kommen wir zu gemeinsamen Positionen? Das ist bei der großen Bandbreite der Interessen zwischen Buchhändlern und Verlegern keine einfache Sache. Hinzu kommt, dass sich der Anspruch an die ehrenamtliche Tätigkeit verändert. Früher hat man aus Gründen der Ehre und der Selbstdarstellung ehrenamtlich in einem Verband mitgearbeitet. Viele Dinge spielten da neben der sachlichen Arbeit eine Rolle. Heute steht meistens die sachliche Arbeit im Vordergrund. Gerade bei den jüngeren Leuten ist es eine Zeitfrage, inwieweit sie sich in einem Verband engagieren. Wir wählen immer mehr Formate und Besprechungsrhythmen, in denen wir zu ausgewählten Themen oder Projekten einladen, um dann punktuell eine Sache zu besprechen und eben nicht endlose Tagesordnungen abzuarbeiten. Man will sich zu einem interessierenden Thema treffen, Inputs geben, diskutieren und dann wieder gehen. Ich nenne als Beispiel das Buchcamp. Das funktioniert genau nach diesem Schema, mit einer Dauer von immerhin zwei Tagen und einem großen Zulauf engagierter Menschen.
VR: Wie passt das zusammen: die Forderung nach projektbezogenem zeitlich eng kalkulierbarem Arbeiten einerseits und andererseits nach dem Verband als emotionaler Heimat?
Sehr gut sogar. Menschen haben Bedürfnisse, gegen die man auf Dauer nicht verstoßen kann. Bei aller Sachlichkeit und Ökonomisierung unserer Welt wollen die Menschen sich sehen, miteinander sprechen usw. So glaube ich, dass das Thema „Heimat“ ein tiefes inneres Bedürfnis anzeigt, nämlich zu etwas dazugehören, Identifizierung und Identität zu haben. Das muss ein Verband auch leisten.
VR: Wie bedient ihr dieses Bedürfnis?
Das Wichtigste ist die Herstellung von Nähe zum Mitglied. Und diese Nähe erreichen Sie nur schwer durch Newsletter und Blog-Beiträge, sondern durch persönliche Kontakte. Daher gehen wir nun wieder stärker auf die direkte Kommunikation face to face und laden unsere Mitglieder zu sog. Regionaltreffen ein. Diese Treffen, die meist abends stattfinden, kommen sensationell gut an; da ist plötzlich der Verband erlebbar. Man merkt, da geht es um Menschen, die haben eine Meinung, man kann was diskutieren. Da bedienen wir das Bedürfnis Nähe, Heimat, da sind sie zu Hause und gleichzeitig gibt es konzentriert Informationen. Eine andere Art von Veranstaltungen sind z. B. der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und der Deutsche Buchpreis. Solche Ereignisse schaffen hohe Identität und Zugehörigkeitsgefühl.
VR: Gibt es etwas Wirksameres als den Besuch beim Mitglied?
Ich erwarte von meiner Geschäftsleitung, dass sie auf jeder Dienstreise mindestens ein Mitglied besucht. Das führt zu einer deutlichen Erdung des Hauptamtes, aber auch zur Inspiration für die tägliche Arbeit. Diese Besuche, die ich ebenso mache, sind für mich persönlich aufschlussreich, weil ich dort aus erster Hand erlebe, welche Sorgen und Nöte man hat, aber auch welche Ideen und Wünsche.
VR: Wohl dem Verband, in dem die Mitglieder das noch sagen! Laufen die Gespräche nach gewissen Leitfäden?
Unsere Fragen sind immer ähnliche: Warum ist man im Verband; wie viel bekommen Sie von unserer Kommunikation mit; was sind die Kommunikationskanäle, mit denen wir Sie erreichen; welche Leistungen würden Sie sich wünschen; welche halten Sie für überflüssig ...?
VR: Zwei Fragen als Zwischenbilanz dieses Gesprächs. Erstens: Was sind in den acht Jahren Ihrer Tätigkeit die größten Veränderungen?
Die Themen Digitalisierung, Internet, neue Vertriebswege.
VR: Und zweitens: Was sind die drei bis vier wichtigsten Themen mit der Politik?
Wir fassen uns als einen Kultur- und Wirtschaftsverband auf, weil wir mit einem Wirtschaftsgut handeln, das aber auch Kulturgut ist. Deswegen spielten bei uns Kultur und Kulturarbeit eine extrem große Rolle. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, Deutscher Buchpreis, Vorlesewettbewerb, mit dem wir allein 700.000 Schüler/-innen jährlich berühren. Wir sind der Meinung, dass das Buch zur Entwicklung einer freien Gesellschaft einen enormen Beitrag leistet, und das wollen wir verdeutlichen. Eine solche Kulturarbeit braucht flankierende Rahmenbedingungen, Schutzräume wie die Preisbindung, reduzierter Mehrwertsteuersatz und Urheberrecht. Das sind die wichtigsten politischen Themen, wozu auch die Bekämpfung des Diebstahls geistigen Eigentums gehört.
VR: Führt eine solche Argumentation in der Konsequenz zu einer niedrigeren Mehrwertsteuer und zur Festpreisbindung?
Ich will nicht verhehlen, dass unser Standing und das Image dieser Branche entsprechend geprägt sind. Wir machen das zwar aus dem inneren Antrieb überzeugter Kulturmenschen, aber dieses alles führt auch dazu, dass wir in der politischen Arbeit gehört werden und anerkannt sind.
VR: Es geht wohl eher um europäische als um deutsche Schutzräume?
Zwar sind die einzelnen Märkte schon aus sprachlichen Gründen noch stark abgegrenzt, die Regelung der „Schutzräume“ wird aber mehr und mehr eine europäische.
VR: Beispielsweise Festpreise.
Die Preisbindung ist ganz wesentlich. Sie gewährleistet gerade die Vielfalt sowohl in den Buchhandlungen als auch in den Verlagen. In allen Ländern, in denen es die Preisbindung nicht gibt, kann man sehr gut besichtigen, was das bedeutet. In den USA beispielsweise gibt es reihenweise Städte, in denen keine Buchhandlungen mehr existieren. Man könnte meinen, das ist erst mal nicht so schlimm, weil man die Bücher anders bestellen kann. Aber der Buchhändler vor Ort bietet Orientierung. Er ist zudem der Partner von kleinen und mittleren Verlagen, die ihre kleinen, aber sehr speziellen, interessanten Produktionen über diesen Vertriebskanal vertreiben können. Die Vielfalt des Buchangebots stirbt mit dem Verschwinden der Buchhandlungen.
VR: Was soll Politik tun, um diese Vielfalt bewahren zu helfen?
Flankierende Schutzmaßnahmen, wie z. B. die Preisbindung, erhalten und nicht etwa im Rahmen der Verhandlungen um das Freihandelsabkommen zur Disposition stellen. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz ist auch ein sehr wichtiger Punkt. Es ist völlig uneinsehbar, warum E-Books nicht auch den reduzierten Mehrwertsteuersatz haben sollten. Die Umsätze mit E-Books sind noch gering, ein reduzierter Mehrwertsteuersatz würde den Umsatz enorm stimulieren, d.h., es wäre sogar für den Finanzminister eine Chance, mehr Steuern einzunehmen. Auch ein starkes Urheberrecht ist Grund für die Vielfalt der Buchkultur.
VR: Geht es um die Urheberrechte im Netz oder generell?
In der Regel im Netz. Piraterie ist ein romantisierender Begriff. Da gibt es auf der einen Seite kriminell organisierte Plattformen, die Inhalte kostenlos anbieten – wie bei Film und Musik, das waren die ersten Branchen, die betroffen waren. Die kriminellen Plattformen müssen in aller Härte verfolgt werden. Bei den Kunden setzen wir eher auf Aufklärung. Wir würden gerne – das wird zz. von der Bundesregierung blockiert – mit einem Warnhinweis jeden aufmerksam machen, der illegal downloadet, dass es nicht o. k. ist, was er da tut.
VR: Warum ging die europäische Richtlinie ACTA derart schnell baden?
ACTA war eine Regelung, die Standards weltweit setzen sollte, die in Deutschland längst gelten. Deswegen war die Aufregung so absurd. Die Internet-Gemeinde meldete sich gegen ACTA massiv zu Wort. Da ist die ganze Bundesregierung gleich umgefallen und hat das Thema ACTA beerdigt. Die Diskussion darüber hat sich jetzt versachlicht und beruhigt, trotzdem gibt es immer wieder diese Forderungen „freien (kostenlosen) Zugang zu sämtlichem Wissen“ etc.
VR: Wie schafft man es, dass Netzpolitiker der Parteien mindestens alle Argumente kennen und durchdacht haben?
Das ist überhaupt die Grundlage unserer politischen Arbeit. Uns geht es um Information, d. h. um eine objektive Darstellung der Konsequenzen bestimmten staatlichen Handelns. Die Politik muss entscheiden, ob sie diese Konsequenzen erreichen will oder eben nicht. Unsere Aufgabe ist es, darauf hinzuweisen, welche Kausalität mit bestimmten gesetzlichen Veränderungen in Gang gesetzt wird.
VR: Sie kennen das politische Geschäft aus eigener Anschauung. Was ist Ihr Rat an die Verbandskollegen?
Es stimmt, wenn man schon mal auf der anderen Seite des Schreibtisches saß, dann weiß man ziemlich genau, wie man ein Gespräch einzuschätzen oder zu führen hat. Der Politiker ist darauf angewiesen, informiert zu werden, es kann niemand Fachmann in allen verwinkelten Fragen eines Marktes sein. Aber kann er sich auf den Informanten verlassen? Mit Überredungen und sonstigen Maßnahmen versuchen, Wirkung zu erzielen, halte ich komplett für aussichtslos. Meiner Meinung nach kommt es darauf an, in hohem Maß glaubwürdig und authentisch zu sein und belegbare Informationen zur Verfügung zu stellen über die Konsequenzen eines bestimmten politischen Handelns im Markt.
VR: Schriftlich oder mündlich, ausführlich oder kurz?
Das Gespräch ist besonders wichtig. Dann kann man das zur Vertiefung nochmals schriftlich darstellen. Zu lang oder zu kurz? Unsere Themen sind schon sehr komplex, mit langen Kausalitätsketten. Das bedarf eines bestimmten Raumes, aber grundsätzlich gilt natürlich schon: je kürzer, desto besser.
VR: Und dann gibt es immer die Frage: Mit wem redet man eigentlich? Mit Politikern, mit Beamten, mit dem Referenten, dem Abteilungsleiter, dem Staatssekretär oder zählen nur die Minister? Auch das ist sicher von Fall zu Fall unterschiedlich, oder?
Man muss die Entscheidungs- und Meinungsbildungsprozesse in der Politik kennen, um den oder die richtigen Gesprächspartner zu identifizieren. Dafür gibt es kein Patentrezept, das ist je nach Sachlage sehr unterschiedlich. Dabei darf man die Referententätigkeit in der Bürokratie auf keinen Fall unterschätzen.
VR: Was kann man als deutscher Verband eigentlich machen, wenn einem ein Wettbewerber wie Amazon zuwächst?
Amazon wird auf Dauer Kultur vernichten. Es geht dabei nicht nur darum, dass Amazon seine Steuern so gut wie nicht in Deutschland bezahlt, mit seinem Geschäftsmodell zur Verödung der Innenstädte beträgt und Arbeitsbedingungen für seine Angestellten hat, die mehr als kritikwürdig sind. Es geht darüber hinaus um eine Zerstörung der filigranen Buchhandelskultur in Deutschland, in deren Folge die kleineren und mittleren Verlage kaum mehr eine Chance haben werden, mit ihren Programmen öffentliche Sichtbarkeit zu erzielen. Denn gerade die kleinen und mittleren Buchhandlungen sind diejenigen, die sehr sorgfältig besondere Verlagsprogramme auswählen. Verlage überhaupt werden zunehmend in die Bredouille kommen, von einem Quasi-Monopolisten Konditionen diktiert zu bekommen, die sie schlussendlich nicht mehr gewähren können.
Auf diese Kausalzusammenhänge machen wir nicht nur politisch aufmerksam, sondern versuchen auch in der Öffentlichkeit dafür Verständnis zu erzielen. Am Ende ist es der Verbraucher, der Leser, der Kulturinteressierte, der mit seiner Kaufentscheidung darüber auch die Entscheidung trifft, wie in Zukunft der Buchmarkt aussehen wird. Wir scheinen mit dieser Form der Aufklärung Erfolg zu haben. Der Umsatz von Amazon im Buchbereich sinkt zugunsten des stationären Sortiments in Deutschland.
VR: Ja und? Was kann man jetzt sonst machen?
Man kann nur in diesem Wettbewerb Entsprechendes entgegensetzen. Der Buchhandel muss seinen USP, die Beratung, Nähe zum Kunden, ausspielen. Jeder Buchhändler kann mehr als Amazon. Amazon hat stupide Algorithmen, die viel gelobt werden, die aber nicht das Gespräch mit einem qualifizierten Buchhändler ersetzen können. Wenn ich frage, kannst du mir was empfehlen, dann bekomme ich bei Amazon zu lesen: wer das und das liest, der liest auch das und das, aber will ich dies als Kunde wirklich wissen? Solche selbstreferentiellen Algorithmen führen nur dazu, dass ich immer wieder dasselbe lese. Da ist der Buchhandel mit seiner persönlichen Beratung im Vorteil. Er muss sich aber deren bewusst sein und sie entsprechend seinen Kunden anbieten.
VR: Ich kann auch bei meinem lokalen Buchhändler per Netz bestellen. Ich kann das Buch dann morgen in Geschenkpapier verpackt abholen. Ist es eine Verbandsaufgabe, diese Möglichkeit den Käufern ins Bewusstsein zu rücken?
Selbstverständlich und dringend nötig. Erstens wissen relativ wenige Leute, dass es eine Preisbindung gibt, d. h. dass ein Buch überall gleich kostet. Zweitens hat jeder Buchhändler eine Website, wo jeder bestellen kann und das Buch genauso schnell wie bei Amazon geliefert bekommt. Drittens bestellt jeder Buchhändler über Nacht und liefert dem Kunden auch nach Hause, wenn dieser es will. D. h. diese Vorteile kann auch jeder Buchhändler vermitteln. Dies müssen wir, das ist eine Bringschuld von uns, kommunizieren.
VR: Wir, das wäre im Idealfall der Börsenverein und seine Mitglieder ...?
Genau so funktioniert unsere Buchmarketing-Kampagne, mit der wir in Deutschland eine Bewegung für das Buch und für den stationären Buchhändler auslösen, gestartet in Leipzig am 13. März mit einem unglaublichen Anfangserfolg, einem Riesenimpuls, der da gegeben worden ist, den wir jetzt in der Breite umsetzen. Diese Kampagne lebt davon, dass wir Kommunikationsereignisse schaffen, die das Buch, das Lesen, den Vorzug des örtlichen Buchhändlers thematisieren. Wir regen Leser an, sich mit dem Buch zu beschäftigen und in die Buchhandlung zu gehen. Die Kampagne ist erkennbar in den Buchhandlungen, Plakaten, Give-aways, Werbemitteln usw. Der Kern der Kampagne ist das Schaffen von Kommunikationsereignissen, die dazu führen, die Menschen in die Buchhandlungen zu bringen, und das ist sehr spannend. Wir haben als eine von vielen Maßnahmen eine kleine Umfrage gemacht: „Wo liest Deutschland?“, „Was sind die beliebtesten Leseorte?“
VR: Und wo liest Deutschland?
Auf dem Sofa, am Strand, in öffentlichen Verkehrsmitteln usw. Allein eine solche Meldung hat in über 400 Medien zur Berichterstattung geführt. D. h. wir haben enorm viele Menschen mit diesem Thema berührt. Das Thema Buchlesen ist plötzlich im Gespräch, dann begegnet man der Kampagne auf Plakatwänden, im Buchhandel und in den Medien. Der Buchhändler vor Ort hat mit eigenen Aktionen die Möglichkeit, die Kampagne zu unterstützen. So haben wir z. B. übergroße Buchmodelle gebaut, die jedem Buchhändler zur Verfügung stehen, diese Modelle sind Blickfang für die Buchhandlung. Passanten und Kunden können sich von diesem Buch fesseln und sich fotografieren lassen. Beim Start unserer Kampagne auf der Leipziger Buchmesse hat sich dies als außerordentlich erfolgreiche Idee gezeigt und viele Prominente wie z. B. Kulturstaatsminister Bernd Neumann, Jürgen Trittin, Hellmuth Karasek, José Gonzáles etc. haben sich fesseln und fotografieren lassen. Die Bilder gingen durch ganz Deutschland.
VR: Werbung und PR kombiniert. Ihr wollt Ereignisse machen und Bilder schaffen. Dann muss also das einzelne Mitglied der eigentliche Träger der Kampagne sein.
Das ist die große Aufgabe, die Mitglieder von der Kampagne zu begeistern und ihnen zu vermitteln, dass es nicht nur darauf ankommt, ein Plakat aufzuhängen. Die Kampagne ist das kommunikative Räderwerk für solche Ereignisse. Und das setzen wir gerade in Gang.