Als Superwahljahr wird es wohl nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Trotzdem wird das Jahr 2014 für das Verbandslobbying wichtig und herausfordernd. Dies gilt auf drei politischen Ebenen: der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland und in den Bundesländern Hessen, Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Was zeichnet das Jahr 2014 aus und was macht es für die politische Arbeit der Verbände so besonders?
Europawahlen, neuer Deutscher Bundestag, Landtagswahlen
Auf europäischer Ebene stehen die Wahlen zum Europäischen Parlament an. Diese finden in Deutschland am 25. Mai statt, in anderen Mitgliedstaaten der EU zwischen dem 22. und 25. Mai 2014.In der Folge der Parlamentswahlen wird im Oktober zudem eine neue Europäische Kommission gebildet, unter der Leitung eines neuen Kommissionspräsidenten.
Auf Bundesebene beginnt der am 22. September 2013 gewählte neue Deutsche Bundestag nach der Weihnachtspause die operative Arbeit der 18. Legislaturperiode. Gleichzeitig nimmt die neue Bundesregierung ihre Arbeit auf.
Gleiches geschieht in Hessen, wo die ebenfalls am 22. September 2013 neu gewählten Abgeordneten am 18. Januar mit ihrer Arbeit beginnen und eine neue Landesregierung etabliert wird.
In drei weiteren Bundesländern, nämlich in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, werden die Landtage in diesem Jahr neu gewählt, beginnend im Sommer in Sachsen.
Neue Rahmenbedingungen
Was sich zunächst wie Routine anhört, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als völliger Neustart, und zwar sowohl aus administrativen wie auch aus politischen Gründen. Verbände tun gut daran, sich darauf einzustellen und ihre politische Kommunikation frühzeitig anzupassen und bei Bedarf neu auszurichten.
Europäische Union
Die Wahlen zum Europäischen Parlament finden erstmals in 28 Mitgliedstaaten statt, da 2013 Kroatien neu in die Europäische Union aufgenommen worden ist. Gewählt wird zudem ein Parlament, das mehr Einfluss auf die Geschehnisse in Europa haben wird als die Vorgänger. Bedingt durch den Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat, wählt das Europäische Parlament den Präsidenten der Europäischen Kommission auf Vorschlag des Europäischen Rates. Dieser wiederum
ist erstmals aufgerufen, bei seinem Vorschlag die Ergebnisse der Wahl zum Europäischen Parlament zu berücksichtigen. Bislang kamen die Vorschläge für den Kommissionspräsidenten ausschließlich aus dem Kreis der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten.
Für das Lobbying von nationalen und europäischen Verbänden gleichermaßen bedeutsam sind weitere Regelungen aus dem Vertrag von Lissabon, die dieses Jahr neu in Kraft treten. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Mehrheitsverhältnisse im Ministerrat, Stichwort doppelte Mehrheit.
Ab dem 1. November 2014 werden Entscheidungen, die der qualifizierten Mehrheit unterliegen – und dies ist die Regel –, mit 55 Prozent der Mitgliedstaaten (also mindestens 15 von 28 Ländern) getroffen, wenn diese mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. In einer Übergangszeit bis zum 31. März 2017, also innerhalb der neuen Legislaturperiode, kann jeder Mitgliedstaat bei Beschlussfassungen mit qualifizierter Mehrheit die Abstimmungen gemäß den im Vertrag von Nizza definierten Bestimmungen beantragen.
Lobbyaktivitäten, die auf den Rat zielen, müssen also künftig breiter angelegt werden. Es reicht nicht mehr aus, sich auf wenige stimmenstarke Mitgliedstaaten zu konzentrieren. Dies erfordert für Verbände eine Stärkung ihrer europäischen Basis und das Einbeziehen von Mitgliedsverbänden aus möglichst vielen Mitgliedstaaten. Die mit dem Vertrag von Lissabon gewollte breitere Einbeziehung aller Mitgliedstaaten in politische Entscheidungen hat somit für die Verbandsarbeit die gleichen Konsequenzen. Dies bedeutet nicht zwangsläufig die Notwendigkeit, europäische Verbände zu gründen, wohl aber, die Interessenvertretung über Allianzen breiter aufzustellen.
Politisch kommt den Europawahlen eine besondere Bedeutung zu, stehen doch die Zukunft der EU und die künftige strategische Ausrichtung zur Abstimmung. Während sich der Streit der Eliten in der Vergangenheit primär um die Frage drehte, ob sich die EU in Richtung eines europäischen Bundesstaates oder einer Föderation europäischer Staaten entwickeln sollte, gibt es jetzt in vielen Mitgliedstaaten politische Bewegungen, die die europäische Integration insgesamt infrage stellen. Diesen Kräften geht es nicht mehr darum, welche Souveränitätsrechte weiter von den Mitgliedstaaten an die EU übertragen werden sollen, sondern vielmehr um die Rückabwicklung bereits etablierter Inte-grationsschritte, nicht nur, aber beispielsweise, auch bezüglich der Gemeinschaftswährung Euro.
Für die Monate bis zur Europawahl sind Verbände gut beraten, die Kandidatenlisten der einzelnen Parteien auszuwerten und wichtige Kontakte schon im Vorfeld zu knüpfen. Erfahrungsgemäß tun sich Kandidaten für die Europawahl schwer, öffentliches und mediales Inte-resse zu gewinnen. Umso offener sind sie für Ansprachen und Kontakte. Verbände, die dies erfolgreich praktizieren, können davon während der gesamten kommenden fünf Jahre profitieren.
Deutscher Bundestag und Bundesregierung
Auch wenn sich auf der Berliner Ebene keine formellen Änderungen ergeben haben wie in Brüssel, stehen Verbände in Berlin sowohl beim parlamentarischen Lobbying als auch bei der Kommunikation mit Ministerien vor neuen und zum Teil anderen Herausforderungen. Dies liegt zum einen an einer neuen Regierungspartei, der SPD, und zum anderen an der völlig neuen Kräfteverteilung zwischen Regierungsfraktionen und der Opposition.
Wie in vielen Kommentaren zum Abschluss des Koalitionsvertrages und zur Bildung der neuen Bundesregierung zum Jahresende 2013 zu lesen war, hat sich die politische Akzentuierung der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen verändert. Sozialverbände, Gewerkschaften und manche NGOs werden sich leichter tun, Verbündete zu finden, Wirtschafts- und Unternehmerverbände schwerer. Für alle aber gilt bezüglich des parlamentarischen Lobbyings, dass die Dichotomie zwischen Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen völlig anders geworden ist. Die rein zahlenmäßige Schwäche der Oppositionsfraktionen und die Beschränkung auf Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke werden es für viele Verbände schwerer machen, über die Opposition Regierungshandeln zu beeinflussen. Stattdessen wird es darauf ankommen, einerseits unterschiedliche politische Strömungen innerhalb der Regierungsfraktionen zu identifizieren und zu nutzen und andererseits über Allianzen und Koalitionen außerhalb des Parlaments, auch mit NGOs, politischen Einfluss auszuüben.
Zudem müssen natürlich, wie nach jeder Wahl, neue Kontakte im Deutschen Bundestag aufgebaut und Netzwerke neu gebildet und stabilisiert werden.
Größere Veränderungen werden außer im Bundestag auch in den Ministerien erfolgen, wenngleich nicht alle sofort, mit Ausnahme des Zuschnitts der Ministerien. So wird die Energiekompetenz, die zuvor in verschiedenen Ministerien lag, in der 18. Legislaturperiode gebündelt im Wirtschaftsministerium angesiedelt. Zudem wurde die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz vom Landwirtschaftsministerium gelöst und dem Justizministerium zugeordnet.
Durch die Wechsel auf der Ministerebene haben eine größere Zahl von Häusern Minister bekommen, die einer anderen Partei als die Vorgänger angehören. Es gehört zum politischen Alltag in Berlin, dass die Neuen im Rahmen ihrer Möglichkeiten versuchen werden, sich mit Spitzenbeamten zu umgeben, die ihrer politischen Orientierung entsprechen. Unser Verfassungssystem und der Rechtsrahmen geben den neuen politisch Verantwortlichen dabei einen erheblichen Spielraum. Nicht nur können neue Minister ihren persönlichen Stab, also Büroleiter, persönliche Referenten und Pressesprecher, frei bestimmen, sondern auch die Staatssekretäre und Abteilungsleiter. Während parlamentarische Staatssekretäre, die der Unterstützung des Ministers insbesondere in der Kommunikation mit dem Parlament dienen sollen, ohnehin aus den Regierungsfraktionen neu zu berufen sind, sind die sogenannten politischen Beamten wie beamtete Staatssekretäre und Abteilungsleiter dem Minister zu besonderer Loyalität verpflichtet. Sie können deshalb von diesem jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Erfahrungsgemäß machen die meisten Minister von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Verbände müssen diese Entwicklung, über die nicht immer in den Medien berichtet wird, während der ersten Wochen und Monate der neuen Legislaturperiode aufmerksam beobachten und für sie wichtige Kontakte neu knüpfen. Dies gilt eingeschränkt auch für die Ebene der Referatsleiter. Diese sind zwar keine politischen Beamten und können deshalb nicht in den Ruhestand, wohl aber in andere Referate versetzt werden.
Bis Ostern werden von der Mehrzahl der Minister sicher eine konkrete Programmatik und ein erstes Aktionsprogramm vorliegen. Auf dieser Basis empfiehlt es sich für Verbände, frühzeitig den direkten Dialog sowohl auf Regierungsebene als auch in den Fraktionen zu suchen. Dies sollte unbedingt durch persönliche Gespräche geschehen, sei es als Zweiergespräch, sei es in Gesprächsformaten wie Fachgesprächen, parlamentarischen Abenden, parlamentarischen Frühstücken et cetera. Der zunehmende Handlungs- und Entscheidungsdruck von Politikern und die immer größere Informationsflut machen es, gerade im Zeitalter der sozialen Medien, wichtiger als je zuvor, Lobbying über persönliche Kontakte und Gespräche zu betreiben.
Hessischer Landtag/Landesregierung Hessen
In Wiesbaden, wo am 18. Januar eine neue Landesregierung ihre Tätigkeit aufnimmt, gibt es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in einem Flächenland eine Koalition von CDU und den Grünen (schwarz-grün). Dies ist nicht nur parteihistorisch interessant, es ändert auch die Ausrichtung der Politik grundsätzlich. Dies wurde schon in den Koalitionsverhandlungen deutlich.
Wie auf der Bundesebene führt auch hier das Ausscheiden der FDP aus der Regierung zu einer anderen politischen Akzentuierung und zu größeren personellen Umbesetzungen. Zwar sind die Möglichkeiten von Neubesetzungen in den Ministerien enger als in Berlin, Verbände sind aber auch hier gezwungen, die Veränderungen selbst aktiv zu beobachten und neue Kontakte aufzubauen.
Daneben gilt es, sich inhaltlich auf die geänderte politische Akzentuierung einzustellen und eigene Positionen und Argumentationen kritisch zu überprüfen und an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Dazu empfiehlt sich eine vertiefte Analyse des Koalitionsvertrages und der Wahlprogramme aus dem Wahlkampf im Herbst vergangenen Jahres.
Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg
Die anstehenden Landtagswahlen in den drei östlichen Bundesländern versprechen parteipolitisch spannend zu werden. In Sachsen regiert noch die letzte CDU/FDP-Koalition. Das Augenmerk vieler wird sich darauf richten, wie die FDP nach ihrem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag bei dieser ersten Landtagswahl abschneidet. Für die CDU und die SPD besteht die Herausforderung darin, vor den Wählern bezüglich der neuen Bundesregierung zu bestehen. Nicht selten werden ja die ersten Landtagswahlen nach Bildung einer neuen Bundesregierung zum Stimmungstest.
Dies gilt ganz besonders für Thüringen mit seiner CDU/SPD-Koalition. Hier wird die FDP versuchen, den Schwung der neuen Parteiführung in Stimmen umzusetzen, während es für die Linkspartei darauf ankommt, ihre neue Oppositionsführerrolle im Deutschen Bundestag in Abgeordnetenmandate zu verwandeln.
Unter besonderen Vorzeichen steht auch die SPD/Linke-Regierung in Brandenburg. Es wird spannend sein zu beobachten, ob die Wähler dieser Regierung ein neues Mandat erteilen, als Prototyp einer möglichen neuen Linksallianz im Bund, oder ob die SPD für die Große Koalition auf Bundesebene abgestraft wird.
In allen Ländern werden zudem die Piraten nach ihrem steilen Absturz nach Höhenflügen in Berlin und Nordrhein-Westfalen ein Comeback versuchen und die AfD wird alles tun, erstmals in die Landtage einzuziehen.
Weil es leicht ist, mögliche Szenarien zu beschreiben, aber unmöglich, Wahlergebnisse vorauszusagen, tun Verbände, die in den genannten Ländern aktiv sind, gut daran, sich im Vorfeld mit allen Parteien auseinanderzusetzen und deren Programmatik mit Blick auf die eigenen Interessen zu analysieren. Auch empfehlen sich Stake-holderanalysen im Vorfeld, um mögliche wichtige Entscheidungsträger frühzeitig zu identifizieren und erste Kontakte aufzubauen.
Lobbying muss politischer werden
Die jeweils nur kurz angedeuteten Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen, die unter anderem der komplexer und differenzierter werdenden gesellschaftlichen Situation, dem Aufbrechen fester Milieus und der geringeren Bindung an die Parteien geschuldet sind, haben grundsätzlich dazu zugeführt, dass das politische Lagerdenken der Vergangenheit angehört. Die natürlichen Gruppierungen CDU/FDP und SPD/Grüne bestehen nicht mehr. Heute legen alle Parteien großen Wert darauf, als eigenständige politische Kraft wahrgenommen zu werden und jeweils untereinander wechselseitig koalitionsfähig zu sein.
Dies hat außer den erwähnten taktischen auch grundlegende strategische Auswirkungen auf das Verbandslobbying. Es reicht nicht mehr aus, nur die Forderungen des eigenen Verbandes präzise, klar und deutlich zu formulieren und möglichst lautstark zu artikulieren. Zeitgemäßes Lobbying muss die Programmatik und Philosophie von Parteien bzw. Gruppierungen gedanklich erfassen und die eigenen Ziele und Interessen in angepasster Terminologie in unterschiedliche politische Kategorien einordnen. Nur so können Verbandslobbyisten angemessen mit der Politik ins Gespräch kommen und auf Augenhöhe mit politischen Entscheidern kommunizieren. Ziel eines jeden Verbandsrepräsentanten, egal ob Ehrenamtsvertreter oder Funktionär, sollte es sein, als Partner der Politik, nicht als Bittsteller gesehen und akzeptiert zu werden.
Tut man dies, können die eigenen Positionen je unterschiedlich klingen, je nachdem, wer Gesprächspartner ist und welche Partei er vertritt. Eine angemessene, an den Gesprächspartner und seine Politik angepasste Argumentation und Sprache hat nichts mit Anbiedern zu tun, sondern ist ein nötiges und wirksames Instrument, um dialogfähig zu werden.
Insgesamt gilt, dass die Chancen für das Lobbying von Verbänden nicht kleiner, sondern größer geworden sind. Dies geht allerdings einher mit gestiegenen Anforderungen. Verbände müssen sich mit einer größeren Zahl immer unterschiedlicher auftretenden politischen Parteien, Gruppierungen und Initiativen befassen und diese von den eigenen Anliegen überzeugen. Dies erfordert eine höhere Kompetenz des Personals in den Geschäftsstellen, einen größeren zeitlichen Aufwand und in der Konsequenz größere finanzielle Ressourcen. Verschärft werden diese Anforderungen noch durch die zunehmende Zersplitterung der Verbandslandschaft, da sich immer mehr Einzelinteressen in immer mehr Einzelverbänden organisieren und im Lobbying als Konkurrenten auftreten.