Verbändereport AUSGABE 2 / 2014

Das Ehrenamt in zehn Jahren

Ist es wirklich so, dass der demografische Wandel die Gewinnung und Bindung von geeigneten Vertretern im Ehrenamt so viel schwieriger macht?

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Verbände sind auch Mitmach-Organisationen und setzen mit der Möglichkeit, dass Freiwillige im Ehrenamt aktiv an der Verbandsarbeit teilhaben können, Maßstäbe. Was passiert aber, wenn sich in den nächsten zehn Jahren die Demografie-Pyramide zu einem Trichter gewandelt haben wird, wenn vielen Senioren nur noch wenige Junge gegenüberstehen? Spielt der demografische Wandel auch für Verbände eine Rolle? Ist eine Überalterung des Ehrenamtes zu befürchten? Wie reagieren die Betroffenen darauf? Fragen, die wir einigen hauptamtlichen Entscheidern gestellt haben.

Die demografische Veränderung macht es schwierig, überhaupt Personen für das Ehrenamt zu gewinnen – geschweige denn geeignetes Personal, das gemeinsam mit dem Hauptamt den Verband voranbringt.“ Mit dieser These konfrontierten wir einige Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von Verbänden.

Ist es wirklich so, dass der demografische Wandel die Gewinnung und Bindung von geeigneten Vertretern im Ehrenamt so viel schwieriger macht? Natürlich gibt es nicht nur eine Antwort auf die These. Wohl aber ist „generell feststellbar, dass es zunehmend schwieriger wird, Menschen für ein Ehrenamt im Verband zu gewinnen“, sagt Dr. Elmar Witten von der AVK – Industrievereinigung Verstärkte Kunststoffe. „Das liegt vor allem an der gestiegenen Belastung der Mitarbeiter in den immer spezialisierteren und komplexeren Unternehmensorganisationen. Umso mehr wird vom Verband und von den Hauptamtlichen erwartet, die im Verband erarbeiteten und anstehenden Aufgaben – die früher von Ehrenamtlern gemacht wurden – zu übernehmen“. Daher sei es fraglich, „ob der demografische Wandel hier eine Rolle spielt, in unserem (Wirtschafts-) Verband“.

Auch für Eugen Pink, Geschäftsführer beim Bundesverband Deutscher Postdienstleister BvDP, stimmt dem zu: „Ein demografisches Problem sehen wir aktuell noch nicht. Gerade im Ehrenamt zählen Erfahrung und Standing, das trifft doch gerade auf ältere Anwärter/-innen zu.“

Eine Untersuchung zur Stimmung in den Verbänden (siehe Verbändereport Ausgabe 01/2014) ergab, dass ein Viertel aller befragten Verbandsvertreter das Thema Ehrenamtsgewinnung als sehr wichtig einstufen. Dabei sehen die überwiegend als Personenverband organisierten Befragten darin eine deutlich geringere Herausforderung, als es die als Institutionenverband konstituierten Mitglieder erkennen!

Die Gewinnung von geeigneten Vertretern für das Ehrenamt ist zudem nicht nur eine demografische Fragestellung. Aus Sicht von Philipp Krupke vom CDH im Norden – Wirtschaftsverband für Handelsvermittlung und Vertrieb in Hamburg (CDH) – gehört die Arbeit im Ehrenamt generell professionalisiert sowie verschlankt: „Die Gremien des Verbandes werden kleiner und also weniger Ehrenamtsträger benötigt als früher. Diese werden jedoch mehr eingebunden und arbeiten enger mit dem Hauptamt zusammen.“

Neben der möglichen demographischen Entwicklung, die vor allem perspektivisch wahrgenommen wird, „haben die wirtschaftliche Situation, daraus folgend die Zahl der Mitarbeiter und natürlich der sich ergebende Mangel an außerbetrieblicher ‚Freizeit‘ einen Einfluss auf die Ausübung eines Ehrenamtes“, gibt Peter Kupczyk vom Südwestdeutschen Augenoptiker-Verband zu bedenken.

Doch nicht nur für den eigenen Verband kann die Personalsituation durch eine demografische Brille brisant ausschauen. Auch im Hinblick auf die Mitglieder ergibt sich Handlungspotenzial für den Wirtschafts- und Berufsverband. „Die demografischen Veränderungen eröffnen neue Arbeitsgebiete für Selbstständige und Angestellte, die es zu besetzen gilt“, beschreibt Dr. Elvira Krebs vom Verband der Oecotrophologen e.V. (VDOE) die Situation der durch den Verband vertretenen Branche. „So wird der Bedarf für die Sicherstellung der Versorgung älterer Menschen mit hauswirtschaftlichen Diensten im privaten und institutionellen Umfeld immens steigen. Es gilt entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, die es Menschen – auch bei Einschränkung der körperlichen  Leistungsfähigkeit – ermöglichen, gesunde Lebensstile zu realisieren. Da wird viel oecotrophologischer Sachverstand gebraucht.“ Da eröffnet der demografische Wandel neue Handlungsfelder für den Verband.

Für einige Geschäftsführer ist der demografische Wandel ein Thema der täglichen Arbeit, für andere wird er in Zukunft wichtiger werden. „In Deutschland ist das Ehrenamt die Grundlage der Verbändelandschaft. Die Veränderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt, werden selbstverständlich auch das Ehrenamt und die Möglichkeiten ehrenamtlichen Engagements in Verbänden und Vereinen beeinflussen“, zeigt Hendrik A. Kilp vom Landesinnungsverband Elektro- und Informationstechnik Schleswig-Holstein die langfristige Perspektive auf.

Dieses Jahr feiert der geburtenstärkste Jahrgang in der bundesrepublikanischen Geschichte seinen 50. Geburtstag und die Babyboomer-Generation fängt an, in den beruflichen Ruhestand zu gehen. Dass damit Verwerfungen verbunden sind, kann nicht bezweifelt werden. Einige Verbände spüren diese Veränderung bereits und erarbeiten Ideen oder verschlanken Gremien, um in Zukunft weiter genauso gut aufgestellt zu sein, wie das heute der Fall ist. Denn wer heute schon an morgen denkt, der blickt gewappnet in die Zukunft. (TR)

 

Statements: Das Ehrenamt in zehn Jahren

„Ja, die demografische Veränderung macht es schwierig, überhaupt und vor allem geeignete Personen für das
Ehrenamt zu gewinnen. Und das wird die mit Abstand größte Herausforderung in den nächsten Jahren sein!“

Dirk Swinke, SoVD-Landesverband Niedersachsen e.V.

 

„Wir haben grundsätzlich genügend qualifiziertes Personal im Ehrenamt, sind aber – wie viele Verbände – nur mit wenigen Personen unter 40 Jahren besetzt. Dies liegt allerdings in der zeitgeistigen Natur der Sache, denn neben einer hauptverantwortlichen Einbindung ins Unternehmen akzentuieren diese in der Freizeit hauptsächlich familiäre und freizeitorientierte Themen. Aufgrund des harten Wettbewerbs in der Baustoffbranche ist die Bereitschaft, für andere, die einem sonst das Leben schwer machen, Dinge voranzubringen, merklich gesunken.“

Dr. Ulrich Lotz, BetonBauteile Süd 

 

„Der Trend geht dazu, den Vorstand in der Personenzahl kleiner zu halten, als in der Vergangenheit. Dieses liegt zum einen daran, dass sich weniger Menschen für die Ämter zur Verfügung stellen, zum anderen aber auch daran, dass ein kleineres Gremium als flexibler und schlagkräftiger empfunden wird. “

Constance Nolting, ZAEN e.V. 

 

„Wir finden auch weiterhin überzeugende Persönlichkeiten, die durch ihr ehrenamtliches Engagement das Netzwerk des Verbandes stärken.“

Volker Tschirch, AGA Unternehmensverband

 

„Für einen vornehmlich ehrenamtlich geführten Verband ist der gesellschaftliche Wandel eine große Herausforderung. Vor allem durch die Veränderung der Berufswelt wird es immer schwieriger, Nachwuchskräfte für das Freiwilligenamt im Sport zu gewinnen. Unsere Aufgabe wird es sein, durch verstärkte Qualifizierung die Arbeit der vielen Tausend ehrenamtlich Tätigen in den Vereinen zu stärken.“

Thomas Kern, Bayerischer Landes-Sportverband

 

„Die demografische Veränderung macht es nur bedingt schwieriger, geeignete Personen für die Mitarbeit zu
gewinnen. Ehrenamt gibt es, jedoch verlangt es zunehmend Effizienz seines Einsatzes bzw. der dazugehörigen Rahmenbedingungen (Zeitmanagementsystem, Kommunikation etc.) und auch eine angemessene Entschädigung des Einsatzes.“

Dr. Frank Schoppa, Gartenbauverband Nord e.V.

 

„Wir haben auch in der Praxis kein Problem, geeignete Ehrenamtsvertreter zu finden. Im Gegenteil sind wir überzeugt, dass der höhere Anteil älterer Menschen, die fit und leistungsfähig sind und der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen, die Besetzung von Ehrernämtern erleichtert.“

Franz J. Grömping, AGEV e.V. 

 

„Die demografische Veränderung ist kein Hindernis bei der Gewinnung von Personen für das Ehrenamt, nur eine modische Ausrede. Es gab noch nie einen Andrang geeigneter Personen für diese Ämter. Schon immer ergab sich entweder ein starker Charakter für die Präsidentschaft, oder es musste/muss von Haupt- und Ehrenamt gezielter Aufbau betrieben werden. Mancher Präsident wurde zu einem guten erst im Amt.“

Gisela Kempny, Bundesverband Deutscher Pathologen e.V. 

 

„Neben unserer Kernaufgabe, der arbeits- und sozialrechtlichen Beratung und Vertretung unserer Mitgliedsunternehmen, bringen wir auch im Jahr 2014 wieder Schulen, Hochschulen und Unternehmen zusammen und ermutigen jeden Schulabgänger: Starte deine Karriere in Südhessen! In unserer Region, die hinsichtlich Wirtschaftskraft, Dynamik und Lebensqualität inzwischen deutschlandweit eine Spitzenposition einnimmt, gibt es viele innovative und attraktive Arbeitgeber. Wir sorgen dafür, dass ihnen der Nachwuchs an motivierten und qualifizierten Fachkräften nicht ausgeht, zum Beispiel durch unsere ‚i-zubi‘-App. Sie informiert über freie Ausbildungsplätze, duale Studiengänge und Praktika in der Region und enthält zudem mehr als 1.500 Berufsprofile.“

Wolfgang Drechsler, Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) 

 

„Die demografische Veränderung ist zurzeit kein Thema für uns. Bisher war die Gewinnung von Personen für Ehrenämter (insbesondere Vorstand) grundsätzlich gut lösbar.“

Jan Peilnsteiner, Verband Deutscher Kühlhäuser und Kühllogistikunternehmen e.V. (VDKL) 

 

„Bislang stellt uns die demografische Veränderung zum Glück nicht vor besondere Herausforderungen in unserem Verband – und wir hoffen natürlich, dass dies so bleibt.“

Thomas Kern, Bayerischer Landes-Sportverband

„Wenn man darauf wartet, dass sich engagiertes und vor allem qualifiziertes Ehrenamt von alleine meldet, dann hat der Verband früher oder später ein echtes Problem. Ungeeignetes Ehrenamt gepaart mit geringer Handlungskompetenz beim Hauptamt führt unweigerlich zu einer Abwanderung von hoch qualifiziertem Hauptamt. Das ist der Beginn einer Abwärtsspirale. Wenn man die Gewinnung von Ehrenamtlichen aber als kontinuierliche Aufgabe betrachtet und schon sehr früh und bei jungen Mitgliedern ansetzt, dann haben wir ein tolles Potenzial. In dieser Beziehung sehen wir optimistisch in die Zukunft.“

Dr. Hansjörg Weber, Landesverband der Maschinenringe in Baden-Württemberg e.V.

 

„Weniger die demografische Veränderung ist die Ursache für die Schwierigkeit, Unternehmer für ein ehrenamtliches Engagement zu begeistern, sondern die massiv gestiegenen Anforderungen an die Unternehmer in ihren Betrieben einerseits und vielmehr der gesamtgesellschaftliche Rückgang der Anerkennung dieses persönlichen Einsatzes andererseits. Wenn Unternehmerinnen und Unternehmer beispielsweise im Gastgewerbe heute mindestens über 40 gesetzliche Vorschriften in ihrem Betriebsalltag beachten müssen und sich der daraus resultierenden Bürokratie zu widmen haben, fehlt es ganz einfach am Faktor Zeit.“

Julius Wagner, Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Hessen e.V.

 

„Insbesondere die Nachwuchsförderung in unserer Juniorenorganisation stellt für uns ein erhebliches Problem dar und hier müssen wir unsere Bemühungen in den Schulen für Physiotherapie und den Studiengängen intensivieren. Erste Projekte sind auf den Weg gebracht worden.“

Jürgen Querbach, Deutscher Verband für Physiotherapie-Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.

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