Verbändereport AUSGABE 7 / 2011

Am Erfolg sind Haupt- und Ehrenamt beteiligt

Eine Gesprächsreihe mit Experten: Wolfgang Drechsler, Unternehmerverbände Südhessen

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Kein Zweifel: Berlin ist ein überragender Verbändestandort geworden. Im Gespräch mit Wolfgang Drechsler, dem Geschäftsführer der Unternehmerverbände Südhessen mit Sitz in Darmstadt, ging es um zwei Thesen, die die Berlinbedeutung relativieren. Erstens: Große Verbände ziehen ihre Stärke aus ihrer regionalen Verankerung. Zweitens: Innovation ist kein Privileg der Zentralen. In Darmstadt hat der Verband neu gebaut. Richtig angefasst, ist das für einen Verband eine große Chance. In Darmstadt, Berlin und anderswo. Die Fragen stellte Henning von Vieregge.

Verbändereport: Wir sitzen hier in Darmstadt im Haus der Wirtschaft Südhessen. Herr Drechsler, für wen ist das Haus da?

Drechsler: Bauherr ist der Verband der Metall- und Elektro-Unternehmen, Nutzer sind die Mitglieder der Bezirksgruppe Darmstadt und Südhessen von HessenMetall, der Geschäftsstelle Darmstadt und Südhessen der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände und der Unternehmerverband Südhessen. Alle unsere Mitglieder sind freiwillig in unseren Verbänden organisiert.

Verbändereport: Ein hiesiges Unternehmen kann also Mitglied sein, wenn es tarifgebunden ist, und auch, wenn es nicht tarifgebunden sein will ...

Drechsler: Genau. Diese Möglichkeit gibt es in der hessischen Metall- und Elektro-Industrie seit Ende der Neunzigerjahre.

Verbändereport: In der Mitgliederwerbung wird der Tarifvertrag als Qualitätssiegel guter Betriebsbeziehungen gepriesen.

Drechsler: Das liegt daran, dass wir es mit der IG Metall gerade in den letzten Jahren geschafft haben, ein modernes Tarifwerk zu vereinbaren: ERA (Entgelt-Rahmen-Abkommen) ist ein Tarifvertrag, der die unterschiedlichen Regelungen für Angestellte und Lohnempfänger zusammengeführt hat. Dieser Tarifvertrag ist attraktiv, sodass wir damit auch bisher nicht organisierte Firmen für den Verband werben können. Mit ihm lassen sich viele komplizierte einzelvertragliche Regelungen in den Griff bekommen, nicht nur in großen Unternehmen.

Verbändereport: Planungssicherheit durch Tarifbindung, geht es darum?

Drechsler: Und um Rechtssicherheit. Das Unternehmen muss nicht immer in den jeweiligen Einzelvertrag hineinschauen, hat nicht viele unterschiedliche Regelungen, sondern ein Tarifwerk.

Verbändereport: Herr Drechsler, Sie sind nicht nur Geschäftsführer zweier Arbeitgeberverbände, sondern als Repräsentant der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) auch Vertreter aller Arbeitgeber vor Ort. Was bedeutet das?

Drechsler: Als Geschäftsstelle Darmstadt und Südhessen der VhU vertreten wir in der Region über 60 unterschiedliche Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, die in unserer Landesvereinigung organisiert sind. Vertreten heißt: Wir halten Kontakt, führen Gespräche mit den Abgeordneten auf Landes- und Bundesebene, den Landkreisen, Krankenkassen, Arbeitsgerichten und auch der Agentur für Arbeit. Wir sind das Sprachrohr der Unternehmen in der Region.

Verbändereport: Hier sind Ehren- und Hauptamt gleichermaßen gefordert.

Drechsler: Am Erfolg sind Haupt- und Ehrenamt beteiligt. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit ist ein Maßstab, auf den wir vor Ort sehr stolz sind. In der Geschäftsstelle beschäftigen wir 18 Mitarbeiter, einige davon in Teilzeit. Darunter sieben Rechtsanwälte, alles Fachanwälte für Arbeitsrecht, die sich ständig weiterbilden und so unsere 325 Mitgliedsfirmen in allen Instanzen bis hin zum Bundesarbeitsgericht vertreten.

Verbändereport: Vor 30 Jahren hat man in der Region mit der Presse-, Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit angefangen. Mit einer Person. Viel Inves-tition und Innovation also in diesem Sektor.

Drechsler: Durch unsere Öffentlich-keitsabteilung mit fünf Mitarbeitern werden viele Bereiche abgedeckt: von den Arbeitskreisen Schule-Wirtschaft, Hochschule-Wirtschaft bis hin zu eigenen Instrumenten der Nachwuchs-akquise wie der Organisation von Ausbildungsinfotagen, den Hochschulinfotagen, der Nacht der Ausbildung und vielem mehr. Darüber hinaus wird aber auch am Unternehmerimage, unserer Internetpräsenz, dem Markenwert des Verbandes oder auch der Nachhaltigkeitskommunikation gearbeitet.

Verbändereport: Es ist durchaus nicht verbandsüblich, dass Juristen Weiterbildungen anbieten. Auch hier sind Sie in Darmstadt innovativ.

Drechsler: Das stimmt. Für unsere Mitgliedsfirmen bieten wir parallel zum Seminarprogramm des Bildungswerks der Hessischen Wirtschaft ein betriebsnahes Weiterbildungsprogramm im Personalmanagement, Arbeits- und Sozialrecht und in Kommunikationsfragen an mit Weiterbildungsveranstaltungen, Workshops und Foren. Unsere Juristen führen aber auch In-House-Seminare durch. Wir haben in der Rechtsabteilung ein neues Instrument entwickelt, den Compliance-Check, mit dem die Einhaltung von gesetzlichen Regelungen und Vorgaben überprüft wird.

Verbändereport: Auf Ihrer Website stellen Sie die wiederholte Zertifizierung – nach DGVM ZERT – des Verbandes heraus. Auch hier ist der südhessische Verband Vorreiter. Lohnt sich der Aufwand?

Drechsler: Ja, in vielerlei Hinsicht. Wir verbessern kontinuierlich unsere eigenen Prozesse, stellen uns dem Wettbewerb professioneller Dienstleister, bieten unseren Mitgliedern Impulse für Innovation und Risikomanagement und zeigen, dass wir den Wettbewerb mit Dritten nicht scheuen.

Verbändereport: Reden wir über den Neubau. Auch bei diesem Projekt waren Sie durchaus ehrgeizig.

Drechsler: Ja, wir wollten beispielhaft vorangehen. Energie gewinnen wir aus der Erde, wir haben ein Gründach, sind nahezu CO2-neutral und selbstredend auch barrierefrei. Damit zeigen wir, dass Investitionen in Nachhaltigkeit in der Wirtschaft einfach dazugehören.

Verbändereport: Gab es nicht Gegenwind? Argumente wie „So ein Projekt passt nicht in die Landschaft“ bieten sich doch geradezu an.

Drechsler: Unsere Geschäftsstelle war seit 1948 an acht verschiedenen Standorten in Darmstadt untergebracht. Etwas Passendes zu finden war schwierig. Wir entschieden uns zu bauen und dann kam 2009 die große Krise. Es wurde geprüft, das Ganze auf Eis zu legen. Aber wir setzten ein Zeichen und waren optimistisch.

Verbändereport: Optimistisch?

Drechsler: Dass erstens die Krise überwunden wird und zweitens die Mitgliedsunternehmen das Haus so annehmen, wie es gedacht ist: nicht nur als Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter, die Mitglieder und das Ehrenamt, sondern auch als Angebot zur Weiterbildung, zum Erfahrungsaustausch und als Symbol der Firmen, die bei uns freiwillig organisiert sind.

Verbändereport: Und die Reaktionen?

Drechsler: Unsere Interpretation des Bauhausstils mit zeitlosen und klassischen Materialien wie Mainsandstein, Glas, Stahl, Aluminium und Holz und geraden Linien kommt gut an. Bei der komplexen Technik im Haus sind wir noch in der Feinjustierung. Fachleute meinen, dabei könnten bis zu zwei Jahre vergehen. Aber wir hoffen, auch hier neue Maßstäbe setzen zu können.

Verbändereport: Dennoch: So ein Haus traut sich nicht jeder Verband.

Drechsler: Ich denke, wer als Unternehmer tätig ist, muss immer auf der Höhe der Zeit sein, das gilt auch für einen Verband. Auch ein Verband muss vorbildlich sein. Wir haben eine ganz heterogene Mitgliederstruktur und wir als Verband sind der gemeinsame Nenner.

Verbändereport: Ich frage trotzdem nochmals nach: Wie haben Sie die Gratwanderung geschafft, sich nicht zu klein zu machen, aber sich auch nicht zu sehr aufzuspielen? Mitglieder können empfindlich reagieren. Das ist doch keine leichte Sache.

Drechsler: Das Spannungsverhältnis haben wir von Anfang an gesehen. Deshalb muss so ein Hausbau kommunikativ begleitet werden. Wir haben alle Mitgliedsfirmen permanent informiert. Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir haben bis heute von keinem einzigen Mitglied Klagen über Ablauf, Gestaltung und Kosten gehört. Im Gegenteil, es gab viel positives Feedback.

Verbändereport: Also konnte der Verband durch den Neubau einen Reputationsgewinn bei den Mitgliedern und in der Öffentlichkeit erzielen?

Drechsler: Das war und ist unsere Absicht. Wir waren vorher in einer Darmstädter Nebenstraße untergebracht. Viele Mitgliedsfirmen waren erstaunt oder sogar geschockt, dass ihr Verband unter diesen Bedingungen arbeiten musste. Jetzt sieht das anders aus. Das Haus ist solide, nicht luxuriös, aber funktional. Das trifft den Geschmack unserer Mitglieder. Die können sich mit diesem Gebäude identifizieren.

Verbändereport: Man ist, wenn man es so macht, nicht gezwungen, durchschnittliche Architektur zu wählen?

Drechsler: Dafür hatten wir ein besonderes Gremium, einen Bauausschuss, der bestand aus acht Vertretern aus Firmen und dem Verband. Wir haben uns mit unseren Planern, den Architekten und Projektsteuerern immer wieder zusammengesetzt und dieses Ergebnis in teilweise kontroversen Diskussionen erreicht. Es ist ein guter Kompromiss geworden.

Verbändereport: Sie sind seit 17 Jahren Geschäftsführer. Wenn Sie damals einen Trend-Workshop über die Zukunft des Verbandes gemacht hätten, wo hätten Sie falschgelegen?

Drechsler: Falsch in der Einschätzung der Schnelligkeit der Strukturveränderungen in der Region, gerade im Bereich der M+E-Industrie. Produktionsbetriebe, die 1994 noch Tausende von Mitarbeitern beschäftigt haben, sind mittlerweile verschwunden. Das habe ich so nicht kommen sehen.

Verbändereport: Die Industrie ist hier in der Region aber nicht verschwunden, oder?

Drechsler: Nein, aber ein Teil der Arbeitsplätze schon. Dafür gibt es neue Firmen in Nischen, neue Spezialisten. Viele wollten lange Zeit auf eine Mitgliedschaft im Verband verzichten, da sie den Nutzen für sich nicht gesehen haben. Keiner wird Mitglied, weil wir vielleicht nette Menschen sind.

Verbändereport: Aber die reine ökonomisierte Nutzenargumentation bindet doch auch nicht, oder? Ist es nicht ein Mix aus fachlicher und menschlicher Qualität, die überzeugt?

Drechsler: Ich denke schon. Wir können nur anbieten, was genutzt wird, entscheidet jedes Mitglied selbst. Die arbeitsrechtliche, sozial- und tarifrechtliche Beratung und Vertretung bilden die Kernkompetenz eines regionalen Arbeitgeberverbandes. Natürlich ist für die Mitglieder auch das landesweite und bundesweite Netzwerk, in dem wir verankert sind, wichtig. Hervorragende Kontakte zu allen wirtschaftlich relevanten Gruppen, unsere Fähigkeit, auch Kontakte zu anderen Unternehmen, auch zu Konkurrenten, herzustellen – das ist viel wert. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, ist die Gewähr dafür hoch, dass wir im Wettbewerb mit Externen bestehen. Eine Garantie gibt es aber nicht.

Verbändereport: Garantie gibt es nur bei Pflichtmitgliedschaft. Täusche ich mich oder kämpfen Sie gern um den Erfolg bei Freiwilligkeit der Mitgliedschaft?

Drechsler: Genau das tue ich. Man darf nicht versuchen, es allen recht zu machen. Das schafft niemand. Aber mein Team hat den Ehrgeiz, jedem Unternehmen, das wir als Mitglied haben oder gewinnen wollen, den spezifischen Nutzen einer Mitgliedschaft bei uns aufzuzeigen.          

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Autor/in

Henning von Vieregge

ist u. a. Buch- und Hörbuchautor, Blogger (www.vonvieregge.de), Lehrbeauftragter an der Universität Mainz sowie Verbändecoach. Von Vieregge war viele Jahre Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Kommunikationsagenturen (GWA).

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