Die letzten Jahre brachten für die Anleger festverzinslicher Wertpapiere ausgesprochen gute Ergebnisse. Noch bis zum Herbst 2010 überwog auch wegen der europäischen Finanzkrise hoher Sicherheitsbedarf, wovon insbesondere Bundesanleihen und Pfandbriefe profitierten. Seit September 2010 kam es vor dem Hintergrund deutlich verbesserter Konjunkturdaten zu einem spürbaren Zinsanstieg. Trotzdem ist das Zinsniveau nach wie vor niedrig, und angesichts der Inflationsgefahren stellt sich die Frage, ob man wieder längerfristig anlegen kann, um ansprechende Renditen zu erzielen.
Die in den letzten Jahren durchgängig gestiegenen Renditen festverzinslicher Wertpapiere – also Kursentwicklung plus Zinserträge – machen die aktuelle Vermögensverwaltung keineswegs leichter. Das insgesamt sinkende Zinsniveau war zwangsläufig mit steigenden Kursen für Rentenpapiere verbunden. Beispielhaft: Für eine Bundesanleihe mit einer Restlaufzeit von etwa fünf Jahren und einer Verzinsung von dreieinhalb Prozent wird derzeit ein Kurs von rund 105 gestellt. Damit liegt die effektive Verzinsung der so zu erwerbenden Anlage bei lediglich knapp 2,4 Prozent. Zudem bewirken die fünf Prozent Kursaufschlag bis zur Rückzahlung zu 100 auch noch einen unschönen Abschreibungsbedarf in den Büchern. Hätte man das gleiche Wertpapier vor einigen Jahren zu einem deutlich günstigeren Kurs erworben, stünde man zudem vor dem Problem zu entscheiden, ob es nicht opportun wäre, den Kursgewinn zu realisieren und für die Wiederanlage auf steigende Zinsen zu warten.
Vor dem Hintergrund verbesserter Konjunkturdaten und wieder gestiegener Zinsen wird daher häufig „abwarten mit der Wiederanlage und im Zweifelsfall Kursgewinne realisieren“ als die sicherere und ertragreichere Alternative empfunden. Leicht übersehen wird hierbei, dass mit der „Parkstrategie“ relativ hohe Opportunitätskosten verbunden sind, selbst für den Fall, die Zinsen bleiben gleich und sinken nicht etwa wieder. Wenn man bei einem Anlagehorizont von insgesamt fünf Jahren für zwei Jahre Termingeld zu eineinhalb Prozent anlegt und dann bei ausbleibendem Zinsanstieg doch wieder zu drei Prozent anlegen muss, verliert man gut 20 Prozent der sonst möglichen Zinserträge. Das Zinsniveau müsste für die letzten drei Jahre schon auf über vier Prozent steigen, um diesen Effekt auszugleichen. Letztlich stellt auch vermeintlich sicheres Abwarten eine „Wette“ dar – eben auf steigende Zinsen.
Szenarien der Kapitalmarktentwicklung
Tatsächlich ist die Frage, ob man auf steigende Zinsen setzen soll, unverändert schwierig zu entscheiden – aus der aktuellen Problemsituation lassen sich sehr stark differierende Szenarien durchaus fundiert ableiten. Auch die beiden Extremszenarien – rasche Rückkehr hoher Inflationsraten und eher deflationäre Entwicklung – haben eine deutlich höhere Eintrittswahrscheinlichkeit als in weniger krisenbelasteten Zeiten. Schließlich würden sich die nachstehenden Impulse für die Realisierung der jeweiligen Situation im Zweifelsfall gegenseitig verstärken.
Inflationsszenario
In den USA kann die enorme Ausweitung der Geldmenge die Konjunktur so weit anschieben, dass sich das Beschäftigungswachstum hinreichend beschleunigt und nachhaltiges Wachstumsraten ermöglicht. Gleichzeitig kommt es zu einer befriedigenden Lösung der Eurokrise, die auch in Europa den Konjunkturaufschwung verlängert. Bei unverändert dynamischer Wirtschaftsentwicklung in den asiatischen und lateinamerikanischen Ländern würde dies im Zusammenspiel mit steigenden Rohstoffpreisen und der enormen Ausweitung der Zentralbankgeldmenge in den Industriestaaten zu hohen Inflationsraten sowie einer raschen und starken Zinserhöhung führen.
Die Handlungsempfehlung für den Anleger müsste lauten: möglichst viele flüssige Mittel halten, die Wiederanlage hinauszögern und kurze Laufzeiten und Unternehmensanleihen bevorzugen.
Deflationsszenario
Die monetären Impulse in den USA verpuffen, die Wachstumsraten entwickeln sich wieder rückläufig. Die riesige Menge an US-Dollars fließt in die neu industrialisierten Länder und bewirkt Währungskonflikte, Kapitalverkehrskontrollen und platzende Spekulationsblasen. Die europäischen Regierungen finden keine tragfähige Lösung für die Währungskrise, die Sparzwänge der Haushalte verstärken sich und es resultiert ein rezessiver Verlauf für die Weltwirtschaft. Zudem könnten auch politische Konflikte, Terrorismus und Naturkatastrophen die weltwirtschaftliche Entwicklung abrupt abbremsen.
Die zugehörige Handlungsempfehlung liegt konträr zum Inflationsszenario: möglichst alles, möglichst rasch, möglichst langfristig und in möglichst sicheren Wertpapierklassen anlegen.
Sukzessiver Zinsanstieg
Die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit dürfte aber bei einem mittleren Szenario liegen. Das Wachstum der Weltwirtschaft wird allein schon wegen des Wegfalls der Konjunkturprogramme und Aufholeffekte sowie öffentlicher Sparzwänge in den Industrieländern schwächer werden, aber deutlich positiv bleiben. Die Notenbanken der Industriestaaten werden zunächst weiter für günstige Finanzierungsbedingungen – also niedrige Zinsen – sorgen. Inflationstendenzen entstehen im ersten Schritt durch importierte Inflation. Die preistreibende Rohstoffnachfrage der Wachstumszentren in Asien und in Lateinamerika führt im Zusammenspiel mit dort steigenden Arbeitskosten und einer Aufwertung der Währungen zu höheren Importpreisen. Erst im zweiten Schritt entsteht Inflationsdruck auch endogen in den Industrieländern. Wieder höhere Lohnabschlüsse und Preissetzungsspielräume bei verbesserter Kapazitätsauslastung wären zu erwarten.
Die Handlungsempfehlung für den Anleger müsste lauten:
Die ganz langen Laufzeiten meiden und die durchschnittliche Laufzeit deutlich unter dem Richtwert von fünf Jahren halten.Rund zwei Drittel der Anlagen sollten in den nächsten fünf Jahren fällig werden. Unternehmensanleihen mit hoher Bonität können für kürzere und mittlere Laufzeiten ein relativ hohes Gewicht bekommen.
Bundesanleihen sollten unterproportional berücksichtigt werden; sie würden auf eine Entspannung der Finanzmärkte mit besonders deutlichen Kursabschlägen reagieren. Pfandbriefe können über das gesamte Laufzeitenspektrum als Sicherheitspuffer dienen.
Risiken bestimmen und zielgerichtet handhaben
Entsprechend den beschriebenen Szenarien sind auch aus Sicht der Finanzmarktteilnehmer die Risikopotenziale für die weitere Entwicklung sehr hoch. Deutlichster Indikator ist der Goldkurs, der in den letzten drei Jahren um 70 Prozent und allein 2010 um 33 Prozent gestiegen ist. Vergleichbares gilt für den Schweizer Franken. Die Schweizer müssen gegenwärtig nur noch unter 1,30 Franken für einen Euro bezahlen, vor drei Jahren waren es noch fast 1,70 SFR – also fast ein Drittel mehr. Unabhängig davon, welchen Entwicklungspfad man letztlich als handlungsleitend akzeptiert, ist es vor dem Hintergrund des ungewöhnlich hohen Maßes an Unsicherheit unerlässlich zu prüfen, welche Risiken vorhanden sind und wie man zielgerichtet damit umgehen will.
Transparenzrisiko
Voraussetzung für jegliche Risikobestimmung ist es, Transparenz für alle Verbandsanlagen herzustellen. Insbesondere strukturierte Produkte und gemischte Fonds sollten einer genaueren Analyse unterzogen werden. Transparenz sollte auch bezüglich der Bonität der investierten Papiere bestehen. Die Ratingdramen für Staatsanleihen der Euro-Krisenländer zeigen nur zu deutlich, dass es nötig ist, über die aktuelle Bonität der Emittenten informiert zu sein. Ist das Verbandsvermögen auf mehrere Depots verteilt, ist ein entsprechendes Reporting, welches das gesamte Vermögen umfasst, von besonderer Bedeutung, um einen Gesamtüberblick über Kurs- und Laufzeitenrisiken zu erhalten.
Kursrisiko
Auch sichere Rentenpapiere besitzen derzeit ein hohes Kursschwankungspotenzial. Auf Basis des niedrigen Zinsniveaus bewirken bereits absolut geringe Zinssteigerungen hohe relative Veränderungen – bei drei Prozent bedeutet bereits die Erhöhung um eineinhalb Prozent-Punkte eine Steigerung um die Hälfte. Relativ stark würden daher auch die Kurse der Anleihen reagieren. Sollte das Zinsniveau auf viereinhalb Prozent steigen, würde der Kurs einer zehnjährigen Bundesanleihe mit drei Prozent Kupon rechnerisch von rund 100 auf ca. 87, also um rund 13 Prozent, sinken. Wer außer in festverzinsliche auch in stark volatile Vermögenswerte, wie z. B. Aktien, investiert, wird dies ohnehin mit dem Bewusstsein tun, dass im Krisenfall auch 50 Prozent Kursverlust auftreten kann.
Risiko bei Liquiditätsbedarf
Festverzinsliche Wertpapiere werden im Regelfall zum Kurs von 100 zurückbezahlt. Sinkende Kurse sind daher eigentlich nur buchhalterisch interessant. Es sei denn, es besteht unerwarteter Liquiditätsbedarf und die an sich vorübergehenden Kursverluste müssen realisiert werden. Von daher kommt im Zusammenhang mit den Anlagerisiken auch der Liquiditätsplanung eine besondere Rolle zu. Bei Sozialverbänden gilt dies mit Blick auf die verbesserte wirtschaftliche Situation mehr und mehr auch für die Streikmittelvorsorge. Besondere Berücksichtigung verlangen in diesem Zusammenhang Fondsanlagen. Selbst relativ sichere Rentenfonds würden auf einen kräftigen Zinsanstieg mit Kursverlusten reagieren. Hier gibt es aber keine Fälligkeiten, weshalb der Anteil dieser Anlageform in der Planung gesondert betrachtet werden sollte.
Laufzeitenrisiko
In unsicheren Zeiten ist es besonders wichtig, die Reaktionsfähigkeit für die Kapitalanlage zu erhalten. Probates Mittel hierfür ist, strikt auf eine relativ gleichmäßige Staffelung der Laufzeiten zu achten, unabhängig davon, wie weit sich der Anlagehorizont in die Zukunft erstreckt. Sind einzelne Jahre nicht abgedeckt und/oder häufen sich Fälligkeiten zu bestimmten Terminen, besteht die Gefahr, dass man günstige Anlagesituationen nicht nutzen kann oder zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt hohen Wiederanlagebedarf hat.