Zur Finanzsituation in der Rentenversicherung
(Frankfurt am Main) - Die konjunkturelle Entwicklung sei im letzten Jahr erneut deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben, mit Auswirkungen auch auf die Rentenversicherung. Diese Einschätzung traf der Vorstandsvorsitzende des VDR, Alexander Gunkel, auf der Mitgliederversammlung des Verbandes am 16. Juni 2004 in Bochum. Vor diesem Hintergrund habe die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten das Jahr 2003 mit Einnahmen in Höhe von rund 223,9 Mrd. Euro und Ausgaben in Höhe von rund 226,0 Mrd. Euro abgeschlossen. Per Saldo ergab sich ein Defizit von rund 2,1 Mrd. Euro nach einem fast doppelt so hohen Minus von rund 4,1 Mrd. Euro in 2002.
Obgleich für den Jahresverlauf 2004 eine Verbesserung der Beschäftigungssituation erwartet wird und sich ein Zuwachs der Pflichtbeiträge um gut 0,6 Prozent aus den Beschäftigungs- und Lohneinnahmen errechnen, konnte dieser Wert nach Gunkels Worten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres noch nicht erreicht werden. "Die Pflichtbeiträge liegen beitragssatzbereinigt bislang im Durchschnitt um knapp 0,7 Prozent unter dem Vorjahreswert", sagte Gunkel. Relativierend stellte er jedoch fest, dass sich aus diesen Ergebnissen noch keine Schlüsse für den weiteren Verlauf des Jahres ziehen ließen, da die Beitragseinnahmen von Monat zu Monat vergleichsweise stark schwanken. Er wies aber darauf hin, dass der finanzielle Spielraum auch in diesem Jahr eng sei und die Liquiditätssteuerung besonderer Anstrengungen bedürfe.
Für das Jahresende 2004 errechne sich nach der Finanzschätzung vom April eine Schwankungsreserve von nur noch 4,5 Mrd. Euro bzw. 0,28 Monatsausgaben. Die verfügbare Liquidität werde zu diesem Zeitpunkt in Höhe von 2,8 Mrd. Euro bzw. 0,18 Monatsausgaben erwartet. Den Tiefststand erreichten die verfügbaren liquiden Mittel in diesem Jahr voraussichtlich Ende Oktober mit 300 Millionen Euro. In beiden Werten sei allerdings noch nicht der Erlös des gegenwärtig von der BfA betriebenen Verkaufs der GAGFAH berücksichtigt.
An dieser Stelle betonte Gunkel, dass die Rentenversicherung am 6. Werktag eines Monats auch über Mittel in Höhe von durchschnittlich rund 1,5 Milliarden Euro zur Abführung von Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner sowie zur Durchführung des Risikostrukturausgleichs für die Krankenversicherung verfügen müsse. "Da in den ersten Tagen eines Monats regelmäßig nur wenige Beiträge eingehen, könnten hier im Verlauf des Jahres kurzfristige Überbrückungen durch vorgezogene Bundeszuschussraten erforderlich werden. Aber auch an dieser Stelle sei noch einmal ausdrücklich betont, dass hierdurch zu keinem Zeitpunkt die pünktliche Rentenzahlung in Frage gestellt ist", sagte Gunkel. In der weiteren Entwicklung des Jahres 2005 werde dann bei der Rentenanpassung erstmalig der Nachhaltigkeitsfaktor wirksam. Er dämpfe die Rentenanpassung nach gegenwärtigem Kenntnisstand um ca. 0,5 Prozentpunkte. Hinzu komme die Dämpfung der Anpassung um rund 0,6 Prozentpunkte durch den Altersvorsorgeanteil. Damit wird nach Gunkels Einschätzung im nächsten Jahr nur eine geringe Anpassung verbleiben. "Entscheidend für die Finanzentwicklung und damit für die Frage, ob der Beitragsatz im nächsten Jahr bei 19,5 Prozent stabil gehalten werden kann, wird - wie in den Vorjahren auch - die tatsächliche Arbeitsmarktentwicklung in diesem und dem nächsten Jahr sein", so Gunkel.
Kurzfristige Maßnahmen zur Stabilisierung der Rentenfinanzen
Gunkel betonte, dass mit den in weiten Teilen zum 1. April 2004 in Kraft getretenen kurzfristigen Maßnahmen zur Stabilisierung der Rentenfinanzen der Beitragssatz für das Jahr 2004 bei 19,5 Prozent stabilisiert werden konnte. Ohne diese Maßnahmen hätte sich für dieses Jahr ein Beitragssatzanstieg von 0,8 Punkten auf 20,3 Prozent ergeben.
Insbesondere im Hinblick auf die vollständige Tragung des Pflegeversicherungsbeitrags durch die Rentner hätten sich die Rentenzahlbeträge vermindert. Bis jetzt seien hierzu rund eine Million Widersprüche eingegangen. Allerdings gehe die gesetzliche Rentenversicherung davon aus, dass die Neuregelung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten wird. Zur Kanalisierung der Vielzahl von Widersprüchen hätten sich die Rentenversicherungsträger zur Führung von Musterklageverfahren bereit erklärt.
Gunkel nahm auch Stellung zu den jetzt eingehenden Widersprüchen gegen das Ausfallen der Rentenanpassung zum 1. Juli dieses Jahres. Er stellte fest, dass die politische Diskussion vom Spätherbst letzten Jahres durch die wirtschaftliche Realität zwischenzeitlich überholt worden sei.
Langfristige Stabilisierungsmaßnahmen
Gunkel befasste sich ferner mit den im Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz beschlossenen mittel- und langfristig wirkenden Maßnahmen zur Konsolidierung der Rentenfinanzen. Das Gesetz ziele auf eine langfristige Begrenzung des Beitragssatzes sowie - damit korrespondierend - eine langfristige Minderung des Rentenniveaus. Kernelement des Gesetzes sei die Ergänzung der Anpassungsformel um einen so genannten Nachhaltigkeitsfaktor. Mit Hilfe des Faktors würden nahezu alle gesamtgesellschaftlichen Veränderungen berücksichtigt, die für die finanzielle Situation der Rentenversicherung von zentraler Bedeutung sind. Als systematisch gerechtfertigt bezeichnete er es, dass die Rentenanpassung in Zukunft an die Entwicklung der versicherungspflichtigen Entgelte gebunden sei und somit die Entwicklung der Entgelte oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze oder der Entgelte von Personen, die nicht versicherungspflichtig beschäftigt sind, für die Rentenanpassung ohne Bedeutung bleiben. Auch sehe das neue Recht - anders als ursprünglich geplant - eine Niveausicherungsklausel vor.
Zu den übrigen Reformmaßnahmen des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes stellte Gunkel fest, dass die stufenweise Anhebung der Altersgrenze von 60 auf 63 Jahren für die frühestmögliche Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit zu einer Entlastung bei den Rentenfinanzen in Höhe von 500 - 750 Millionen Euro im Jahr 2011 führen soll. Allerdings sei hier zu beachten, dass der Entlastungseffekt im weiteren Zeitablauf immer geringer werde und sich langfristig sogar ins Gegenteil verkehre, weil bei späterem Renteneintritt Abschläge nicht oder nur in geringerem Maße anfallen und den Versicherten daher entsprechend höhere Leistungen zustehen.
Auch der kurzfristige finanzielle Effekt der Reformmaßnahmen bei den Ausbildungszeiten sei begrenzt, weil die Maßnahmen nur Wirkungen auf den Rentenzugang entfalten. Wenn nach Ablauf von rund 20 Jahren der Gesamtbestand der Rentner betroffen sei, ergäbe sich ein Einsparpotential von rund 2 Milliarden Euro. Dies entspräche einer Senkung des Beitragssatzes um etwa 0,2 Beitragssatzpunkte.
Rentenbesteuerung
Gunkel befasste sich auch mit der Neuregelung der Rentenbesteuerung im Alterseinkünftegesetz. Er betonte, dass sich für die Mehrzahl der Rentner durch die Neuregelung zunächst steuerlich insoweit nichts ändern werde, als die Freibeträge dazu führen werden, dass - jedenfalls in der Anfangsphase - weiterhin faktisch keine Steuer zu zahlen ist. Liegen keine steuerpflichtigen Nebeneinkünfte vor, wird der Rentner im Jahr 2005 erst steuerbelastet, wenn seine gesetzliche Bruttorente mehr als 18.665 Euro im Jahr beträgt. Im kommenden Jahr werden nach Gunkels Einschätzung 3,3 anstelle von bislang 2 Millionen Rentnerhaushalten Einkommensteuer zu zahlen haben. "Im Ergebnis werden damit im Jahr 2005 mehr als drei Viertel der Rentnerhaushalte keine Steuern zahlen müssen", so Gunkel.
Er hob allerdings auch hervor, dass die jüngeren Versicherten in ihrer späteren Rentenbezugsphase erheblich stärker belastet würden. Sie könnten ihre Rentenversicherungsbeiträge erst in 20 Jahren voll absetzen. Die Besteuerung der Renten sei darauf nicht hinreichend abgestimmt. Dadurch könne sogar die Situation eintreten, dass bereits versteuerte Beiträge im Alter zum zweiten Mal versteuert werden. Es seien im Verlauf der Gesetzgebung zwar einige Nachbesserungen erfolgt. "Dennoch kann es zu Zweifachbesteuerungen kommen, insbesondere bei Selbstständigen und freiwillig Versicherten", sagte Gunkel.
Einzug des Beitrags für Zahnersatz
Ab dem nächsten Jahr sollen die Versicherten neben dem Krankenkassenbeitrag einen zusätzlichen einkommensunabhängigen Beitrag zahlen, um die Kosten für den Zahnersatz zu decken. Gunkel machte deutlich, dass im Falle eines solchen Auftrags erneut über 16 Millionen krankenversicherungspflichtige Rentner angeschrieben und auf die erneute Kürzung des Rentenzahlbetrags hingewiesen werden müssten. "Der politische Schaden einer solchen erneuten Aktion könnte beträchtlich sein", konstatierte Gunkel. Sollte die Rentenversicherung trotz dieser Bedenken ab 2005 mit dem Beitragseinzug beauftragt werden, so wäre eine entsprechende gesetzliche Regelung unabdingbar.
Quelle und Kontaktadresse:
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