"Zuckerrübenernte - Nachschub für die Weihnachtsbäckerei / Züchtungserfolg: Mehr Zucker in der Rübe verändert den Lauf der Welt
(Bonn) - Von Mitte September bis kurz vor Weihnachten sind sie unterwegs - die Zuckerrübenvollernter und die großen Transportfahrzeuge, mit denen die Rüben zur Zuckerfabrik gefahren werden, um den Rohstoff für süßes Naschwerk noch rechtzeitig zu liefern. Weihnachtskekse und Zuckerwerk gehören für uns auf den Gabentisch. Wer denkt schon darüber nach wie es dazu kommt und welche Geschichte hinter der Ackerfrucht Zuckerrübe steckt? Die Zuckerrübe ist durch langjährige Züchtungsarbeit zu einer der ertragreichsten Kulturen in Deutschland und ganz Europa geworden. Bis zu 20 Prozent Zucker enthalten die weißen Knollen heute. Sie haben den Rohrzucker, der bis ins 20. Jahrhundert aus tropischen Regionen importiert wurde, nahezu verdrängt.
Unverzichtbare Zutat auf dem Weihnachtsteller
Heute ist Zucker aus dem Alltag - besonders in der Vorweihnachtszeit - nicht mehr wegzudenken und für jedermann verfügbar. Das war nicht immer so. Zucker war bis Mitte des 18. Jahrhunderts ein kostbares Süßungsmittel, das aus Rohrzucker gewonnen und aus Übersee importiert wurde. Nur wohlhabende Bürger konnten sich den Zucker täglich leisten. Mit dem wachsenden Appetit auf Rohrzucker in Europa war das zähe Ringen um Anbaugebiete - häufig in Kolonien - verbunden, die für den Zuckerrohranbau geeignet waren. Beispielsweise tauschten die Franzosen 1763 ganz Kanada gegen die kleinen Zuckerinseln Guadeloupe und Martinique mit den Engländern. Die Folge des steigenden Zuckerkonsums in Europa war vor allem der Einsatz von Sklaven, um genügend Arbeitskräfte für die arbeitsintensiven Zuckerrohrplantagen zu bekommen. Die Wende setzte 1747 mit der Entdeckung des Zuckers in der Runkelrübe durch den Berliner Apotheker Andreas Sigismund Marggraf ein. Der Naturwissenschaftler Franz Carl Achard entwickelte 1767 ein technologisches Verfahren zur Zuckergewinnung aus der Rübe. 1801 erbaute er die erste Zuckerfabrik der Welt in Schlesien. Mit dem Rückgang der Rohrzuckerimporte - vor allem durch die von Napoleon verhängte Kontinentalsperre - veränderte sich der Lauf der Geschichte. Ganze Handelsströme kamen zum Erliegen. Durch die darauf einsetzende züchterische Bearbeitung der Zuckerrübe und den daraus resultierenden steigendenden Zuckerertrag wurde Zucker aus der heimischen Rübe für einen großen Teil der Bevölkerung verfügbar.
Züchtungserfolg auf vielen Ebenen
Die Zuckerrübe ist wie die Futterrübe und die Rote Bete eine Kulturform der Wilden Rübe. Die Herausforderungen an die Züchtung zu Beginn des 20. Jahrhunderts lagen in dem geringen Zuckerertrag und den hohen Kosten der Handarbeit bei der Aussaat, Vereinzelung der Rübenpflanze, Unkrautregulierung und Ernte. Bis zu 600 Arbeitskraftstunden (AKh) pro Hektar waren nötig, um eine erfolgreiche Ernte einzufahren - heute sind es nur noch ca. 20 AKh. "Als Ergebnis langjähriger Züchtungsarbeit enthält die Zuckerrübe heute statt 5 Prozent bis zu 20 Prozent Zucker" erklärt Dr. Carl-Stephan Schäfer, Geschäftsführer im Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e. V. (BDP). "Ein weiterer Meilenstein in der Zuckerrübenzüchtung war die Entwicklung von Rüben mit genetisch monogermen (einkeimigen) Samen. Die erste deutsche monogerme Hybridsorte kam 1966 auf den Markt. Infolgedessen können die Samen einzeln und damit maschinell gesät werden. Auch das Vereinzeln der Rübenpflänzchen fällt weg."
Präzisionsarbeit für Innovation und Fortschritt
Standen früher vor allem Ertrag und Zuckergehalt im Vordergrund züchterischer Bemühungen, so sind heute die Verminderung unerwünschter Inhaltsstoffe, eine hohe Zuckerausbeute und verbesserte Resistenzen gegen Krankheiten wichtige Zuchtziele. Nicht zuletzt müssen sich Züchter auf den Klimawandel einstellen. Dazu ist erst einmal Handarbeit notwendig. "Die Blüte ist das Herzstück der Züchtung, denn hier beginnen die Kreuzungsprozesse. Die Zuckerrübenzüchter setzen auf die Hybridzüchtung. Das Prinzip der Hybridzüchtung beruht darauf, dass geeignete, in zeitaufwändigen Verfahren gezüchtete Zuckerrübenpflanzen einmalig miteinander gekreuzt werden", so Schäfer weiter. Die Nachkommen zeigen gegenüber der Elterngeneration ein üppigeres Wachstum und einen höheren Ertrag. Dieser Effekt wird in der Fachsprache als Heterosis bezeichnet.
Züchtung - die besondere Biologie der Zuckerrübe
"Ob im Gewächshaus, Labor oder Freiland: die Züchter kombinieren durch Kreuzungen die Eigenschaften von Pflanzen, um eine neue, verbesserte Sorte zu schaffen. Dabei ist die Biologie der Zuckerrübe ganz besonders: die Zuckerrübe ist eine zweijährige Pflanze, das heißt, sie bildet im ersten Jahr die Wurzel als Speicherorgan und Ernteprodukt. Erst im zweiten Jahr beginnt die Zuckerrübe mit der Bildung der Blütenstände und der für die Züchtung so wichtigen Samen", sagt Schäfer. Pflanzenzüchtung ist mit sehr hohem Arbeits- und Zeitaufwand verbunden. Nach zehn bis 15-jähriger Entwicklungszeit mit Kreuzung und Selektion erfolgen die Sortenzulassung und Saatgutproduktion. Viele aufwändige Schritte von der Vermehrung bis hin zur hochprofessionellen Beizung sorgen für hohe Saatgutqualität, die der Landwirt im April als Zuckerrübensaatgut aussäen kann.
Immer neue Absatzwege für Zuckerrüben und ihre Produkte
Die Zuckerrübe wird aber nicht nur als Zuckerlieferant im Lebensmittelbereich eingesetzt. Bei der Zuckerherstellung fallen Nebenprodukte an, die als Futtermittel verwendet werden. Auch für Arzneimittel in der Human- und Tiermedizin, für chemische und synthetische Stoffe, z. B. thermoplastische Kunststoffe, wird der Zucker aus der Zuckerrübe verwendet. In der Futtermittelindustrie für Zitronen- und Aminosäuren und als Fermentationsprodukte zur Hefeproduktion findet die Zuckerrübe ebenso Absatz wie als Rohstoff für die Ethanolproduktion. Eine völlig neue energetische Nutzung der Zuckerrübe konnte mit der Verwendung als Substrat für Biogasanlagen entwickelt werden. "Mit höchster Intensität stellen sich Züchter auf immer neue Absatzwege und Anforderungen der Umwelt ein. 108 zurzeit in Deutschland zugelassene Sorten machen ihre Innovationskraft deutlich. Schon heute arbeiten sie an Sorten, die den Anforderungen des Marktes in 2030 genügen", so Schäfer.
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