Zeitvergütung bei der Pflege
(Worms) - Seit 1989 kämpft die DGVP - als unabhängiger, gemeinnütziger Verein - für ein effektiveres, besseres und bezahlbares Gesundheitssystem in Deutschland, das Bürgern und allen Akteuren im Gesundheitswesen zu Gute kommt. Ein Kampf, in dem "dicke Bretter gebohrt werden müssen" - denn hier stehen sich viele gegensätzliche Interessen im Weg und verhindern ein für alle Beteiligten effektives Gesundheitswesen.
Heute ein Thema, das sehr aktuell ist: Was bringt die mögliche Umstellung auf Zeitvergütung bei der Pflege?
Das Pflegeneuordnungsgesetz ist zum 1. Januar 2013 in Kraft getreten. Einige Aspekte sind darin gut, andere nur halbherzig und wenig durchdacht.
Problematisch ist jedoch die Möglichkeit der Abrechnungsform: der Pflegebedürftige kann nun wählen, ob er, neben Betreuung und Hauswirtschaft, auch die Grundpflegeleistungen nach Zeit oder wie bisher in Form von Leistungskomplexen vom Pflegedienst in Anspruch nehmen will. Bei der Zeitabrechnung bestimmt allein der Pflegebedürftige, welche Leistungen vom Pflegedienst erbracht werden sollen und wie viel Zeit dafür zur Verfügung gestellt wird.
In den Anfängen der Pflegeversicherung gab es bspw. in Hessen diese Zeitabrechnung bereits einmal. Die Erfahrungen haben damals aber gezeigt, dass die Pflegebedürftigen bzw. Angehörigen dem Pflegepersonal aus Kostengründen dann nicht mehr die erforderliche Zeit für die notwendige und mittlerweile sehr aufwendige Pflegedokumentation zur Verfügung gestellt haben. Auch an der Anleitung, Beratung und Durchführung der Prophylaxen wurde gespart.
In der Vergangenheit gab es bei diesen Abrechnungsmodellen Fälle, in denen die Pflegekräfte eines Pflegedienstes regelrecht gegeneinander ausgespielt wurden. Die Kunden wünschten sich die Pflegekraft, die schlicht schneller - und damit kostengünstiger - war. In den allermeisten Fällen haben die Pflegekräfte ohnehin schon wenig Zeit, die Behandlung nach ihren eigenen Qualitätsansprüchen und denen des Pflegebedürftigen auszuführen. Sie arbeiten schlicht am Limit. Werden dann noch Zeitwettbewerbe nötig, so ist das weder im Sinne einer fachgerechten Arbeit, einer zufriedenstellenden Arbeitsleistung des Pflegemitarbeiters noch trägt es zur Versorgung des Patienten bei.
Was wird die Folge der neuen Abrechnung sein? Pflegedienste sind zu einer bestimmten Qualität verpflichtet - jedoch werden sich auch die Anbieter der ambulanten Pflege zwangsläufig mit den angebotenen Zeiten für die Pflege unterbieten, da durch die Pflege nach Zeitabrechnung ein neues Konkurrenzmittel entsteht. Es wird schneller gearbeitet werden müssen - wodurch die Fehlerhäufigkeit steigen kann. Um Kosten zu sparen, werden wahrscheinlich mehr ungelernte oder angelernte Kräfte für die Pflege eingesetzt werden.
Problematisch sind in diesem Zusammenhang auch die Vergütungsangebote der Pflegekassen. Das ist natürlich etwas, von dem die Pflegebedürftigen und deren Angehörigen so nichts mitbekommen. In einzelnen Bundesländern gibt es Pflegekassen, die Betreuungsleistungen zu 16 EUR/ Stunde (bspw. in Hessen) oder Pflegeleistungen zu 26 EUR/ Stunde (bspw. in Nordrhein-Westfalen) anbieten. Aufwändige Leistungen wie z.B. die Wundversorgung, die 20-30 Minuten in Anspruch nehmen können, werden mit 6-8 EUR abgerechnet. Alles in allem ergeben sich für die Pflegedienste Stundenverrechnungssätze von unter 20 EUR - bei hochqualifizierter Arbeit.
Wenn man sich überlegt, dass bspw. Reinigungsunternehmen oder Umzugs-Speditionen mit ungelernten Arbeitskräften einen Stundenverrechnungssatz von 30-35 EUR ansetzen, muss man sich wundern - hier geht es schließlich um die Pflege von Menschen.
Aufgrund des damit verschärften wirtschaftlichen Drucks müssen dann wohl zahlreiche Pflegedienste aufgeben. Das bedeutet für die Patienten, dass weniger Pflegedienste zur Verfügung stehen und die Versorgung gefährdet wird. Ohnehin gibt es schon einen Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal - und angesichts der Vergütung und des enormen persönlichen Einsatzes wollen auch immer weniger Personen in diesem Bereich arbeiten: die Zahl der Auszubildenden sinkt kontinuierlich, die Zahl der Aussteiger nimmt zu.
Pflege ist teuer, das darf an dieser Stelle nicht beschönigt werden. Und natürlich soll jeder Pflegebedürftige auch das wählen könne, was er für richtig hält. Doch ist eine fachgerechte und qualitative Pflege im Interesse des Pflegebedürftigen und seiner Angehörigen. Sparen an der falschen Stelle hat keinen Sinn - es besteht die Gefahr von Folgeschäden - und damit Folgekosten! - und die Lebensqualität des Pflegebedürftigen wird noch mehr beeinträchtigt.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten e.V. (DGVP)
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