Zeitgemäße Regeln zur Handy-Auswertung benötigt
(Berlin/Stuttgart) - Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert die uferlose und zu schwach regulierte Auswertung von Beschuldigten-Handys. So gebe es weder Voraussetzungen zur Anlasstat oder Verdachtsschwere noch ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten für Betroffene. Auch der Deutsche Juristentag (djt) beschäftigt sich in der Abteilung Strafrecht in den nächsten Tagen mit diesem Thema.
„Handys sind heute längst nicht mehr nur Kommunikationsmittel, sondern Teil des Alltags“, betont Rechtsanwältin Gül Pinar, Mitglied des Ausschusses Strafrecht des DAV. „Messengerdienste, Kalender, Zahlungsdienste, Social Media, Reisebuchungen, Fotos – wer sein Mobiltelefon schon mal verlegt hat, kennt die Panik, weil buchstäblich das halbe Leben da drinsteckt.“ Diese Entwicklung bilde sich in den bestehenden Regeln zur Auswertung von Handy-Daten im Ermittlungsverfahren jedoch überhaupt nicht ab.
Die Praxis gehe viel zu weit: „Bei nahezu allen Beschuldigten werden mittlerweile standardmäßig die Mobiltelefone zur Durchsicht sichergestellt – und dabei gibt es keine gesetzlichen Einschränkungen zur Mindestschwere der Anlasstat oder zum Verdachtsgrad. Es gibt nicht einmal den Ausschlussgrund der mutmaßlichen Erfolglosigkeit der Durchsicht“, kritisiert Pinar. „Bei einem derart umfassenden Einblick in hochpersönliche Informationen ist das inakzeptabel.“
Hier wären folgende rechtliche Stellschrauben notwendig: Bereits für die Durchsicht des Handys sollte zumindest ein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten bestehen. Soll das Telefon überdies für längere Zeit zur Auswertung beschlagnahmt werden, muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen, dass dies bei der Aufklärung der Tat hilft. Die Dauer der Beschlagnahme braucht eine Höchstgrenze, um Betroffene nicht unnötig vom sozialen Leben auszuschließen.
Nachbesserungsbedarf auch bei den Verteidigungsrechten
„Die Durchsicht des Mobiltelefons ist rein rechtlich betrachtet eine Fortsetzung der Durchsuchung“, mahnt die Rechtsanwältin. „Der Rechtsbeistand der beschuldigten Person hat also eigentlich ein Anwesenheitsrecht.“ Überdies müsse die Verteidigung im Sinne des fairen Verfahrens nicht nur Zugriff auf – interpretierte, gefilterte und damit ggf. verzerrte – Ergebnisse der Auswertung erhalten, sondern auch auf alle Suchbegriffe und -parameter sowie auf die entsprechende Software.
Beim Deutschen Juristentag in Stuttgart referiert Rechtsanwältin Gül Pinar in dieser Woche zum Thema „Beschlagnahme und Auswertung von Handys, Laptops & Co. – Sind beim offenen Zugriff auf Datenträger die Persönlichkeitsrechte angemessen geschützt?“
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV), Littenstr. 11, 10179 Berlin, Telefon: 030 7261520