Pressemitteilung | ZAW e.V. - Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft

"ZAW-Schwarzbuch" über Eingriffe in die Kommunikationsfreiheit der Wirtschaft

(Berlin) - National und europäisch baut sich eine Welle politischer Projekte gegen die Kommunikationsfreiheit der Wirtschaft auf. Sie hätte erhebliche Konsequenzen für Ökonomie und Gesellschaft. Insbesondere die Medien, die zu 70 Prozent von den Werbeausgaben in Deutschland profitieren, gerieten in existenzielle Probleme. Legt man die aktuell von Eingriffen in die Werbefreiheit bedrohten Produktgruppen zugrunde, müssten sie im Endstadium mit einem Verlust von rund 3,6 Mrd € oder fast 17 Prozent ihrer Netto-Werbeumsätze rechnen. Davor warnt der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) in einem am Dienstag, dem 27. August 2002 in Berlin vorgelegten "Schwarzbuch Werbeverbote – Deformation der Marktwirtschaft". Die Dachorganisation repräsentiert 22 Verbände der Medienbetreiber in Presse und Funk, der werbenden Firmen (11), der Werbeagenturen (1) sowie der Werbeberufe und Forschung (6).

Komplexes politisches Bedrohungspotential
Die Bedrohung der Werbefreiheit sei in zum Teil hochkomplexen Zusammenhängen enthalten, die in ihren einzelnen Projekten öffentlich nur schwer verständlich zu machen seien. Ein Teil politischer Vorgänge sei sehr nahe, ein anderer befände sich in der Phase der Weichenstellung oder Diskussion, erläuterte der Präsident des ZAW, Hans-Henning Wiegmann. So inszeniere die EU-Kommission gegenwärtig eine zukünftige Europäische Werberechtsordnung, die sich ausschließlich am lebensuntauglichen Konsumenten orientiere. Noch in diesem Jahr wolle die Kommission einen entsprechenden Richtlinienvorschlag publizieren. Brüssel arbeite nicht an der Beseitigung von Werbeverboten in den Mitgliedstaaten, sondern an deren Vergemeinschaftung. Nach Auffassung der Wirtschaft müsse dagegen der Werbemarkt dereguliert und entbürokratisiert werden sowie Verbraucherschutz angemessen und an der Lebenspraxis orientiert sein. Andernfalls würde der Wert der Werbung für die Firmen als betriebswirtschaftlichem Wettbewerbsinstrument immer weiter zurückgedrängt. Ein weiteres Projekt der Politik habe ebenso höchst grundsätzlichen Charakter: National und europäisch entstehe ein neues Politikinstrument unter den Stichwörtern "Co-Regulierung" oder "Regulierte Selbstregulierung". Beschrieben sei das System im Weißbuch der EU-Kommission unter dem Titel "Europäisches Regieren" sowie in der deutschen Studie, die der Bundesbeauftragte für Angelegenheiten der Kultur und der Medien kürzlich veröffentlichte unter dem Titel "Regulierte Selbstregulierung als Form modernen Regierens". Das angestrebte Politikinstrument verschafft den Bürokratien weitgehend Mitbestimmungsrechte in der Wirtschaft - unterhalb der demokratischen Kontrolle von Staatstätigkeit. Es sei absehbar, dass dadurch Werbung nicht gefördert, sondern immer weiter behindert würde.

Das neue Politikinstrument habe bereits seinen Niederschlag im Entwurf des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags der Länder gefunden. Außerdem liegen entsprechende Pläne im Bereich der bisher freiwilligen Selbstdisziplin der Werbung für alkoholische Getränke vor. Die Werbebranche lehnt die staatliche Exekutive als Teilhaber am nachweislich funktionierenden und angesehenen System freiwilliger Konfliktregelung insbesondere durch den Deutschen Werberat in ihrem Bereich entschieden ab. Ein konkretes Werbeverbot drohe erneut für Tabakwaren. Die EU-Kommission strebt dieses Ziel an, obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) den ersten Versuch der EU-Kommission anulliert habe. "Das Werbeverbot wäre wegen gesundheitspolitischer Wirkungslosigkeit unverhältnismäßig, es bricht europäisches Recht und entmündigt dadurch die nationalen Staaten in ihrer vertraglich zugestandenen Regelungskompetenz im Gesundheitsbereich." Der ZAW fordere die Bundesregierung zur erneuten Klage vor dem EuGH auf, sollten Europäisches Parlament und Ministerrat den von der Kommission gesteuerten Entwurf erneut verabschieden.

Massiv bedroht sei auf nationaler und europäischer Ebene auch die – ohnehin nur relative – Werbefreiheit der Markenanbieter alkoholischer Getränke. Die Projekte der Politik gingen davon aus, dass Kommunikationsverbote für diese Branche die individuellen Verzehrsgewohnheiten zu steuern in der Lage sind. Europäische Verbotspläne korrespondierten dabei mit nationalen Vorhaben. Offenkundiges Endziel sei ein totales Werbeverbot für diese Produktgruppe.Bereits vollzogen sei ein Werbeverbot im Kino bis 18 Uhr für alkoholische Getränke und Tabakwaren durch die Neuordnung des Jugendschutzes in den Medien nach der Gewalttat von Erfurt. Die Wirtschaft fordere von der Politik das Ende der Diskriminierung von Marktkommunikation auf diesem Sektor. Wissenschaftlich sei nachgewiesen, dass der Alkoholkonsum in Deutschland ständig rückläufig ist und die Ursachen des Missbrauchs in komplexen individuellen Ursachen der Menschen und nicht in der Werbung lägen.

Erheblich erschwert werden soll Werbung für Lebensmittel. Das sähen Pläne der Bundesregierung ebenso vor wie Projekte der Europäischen Union. Die Politik will die Hersteller von Lebensmitteln zunehmend aus ihrer Verantwortung für ein einwandfreies Produkt in Richtung Gesamtverantwortung auch für die Produktverwendung drängen. Die Folgen solcher politischen Projekte schränkten unverhältnismäßig und massiv die Werbefreiheit lebensmittelproduzierender Unternehmen ein. Ein von der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz in Brüssel ausgearbeiteter Verordungsentwurf verbiete unter vielen anderen allgemein gehaltene Ausagen zum körperlichen Wohlbefinden, wie beispielsweise "...hilft, die natürlichen Abwehrkräfte Ihres Körpers zu stärken".

Spezifische gesundheitsbezogene Werbeaussagen, also "Angaben bezüglich einer Wirkungsverbesserung" ("Kalzium verbessert die Knochendichte") und "Angaben bezüglich der Reduzierung eines Risikofaktors" ("Kalzium kann das Osteoporose-Risiko im Alter deutlich senken") seien nur nach Bewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit und anschließender Zulassung durch die EU-Kommission gestattet. Für dieses Genehmigungsverfahren werde eine Dauer von mindestens neun Monaten veranschlagt. "Die nationalen wie europäischen Projekte der behördlichen Werbezensur blähen nicht nur unnötig Steuergelder beanspruchende Apparate auf, sie behandeln auch den Bürger bei Erwerb und Verzehr von Lebensmitteln als inkompetent", sagte Wiegmann. Bereits heute steht die deutsche Lebensmittelkontrolle an der Weltspitze. Kriminelle Machenschaften steigerten zwar die öffentliche Erregbarkeit. Sie seien aber die Ausnahme und diskriminierten die verantwortungsvolle und seriöse Arbeit der meisten Lebensmittelproduzenten und -händler. Eine andere Variante von Werbeeinschränkungen beschneide die Kommunikationsfreiheit von Firmen. Der niedersächsische Justizminister verlange aus Jugendschutzgründen eine "Allianz der Wirtschaft gegen exzessive Gewalt im Fernsehen". Tatsächlich handele es sich um einen Aufruf zum Boykott bestimmter TV-Programmformate. Nach Auffassung des ZAW dürfe es Programmsteuerung durch Entzug von Werbeausgaben nicht geben - sie sei gesetzeswidrig.

Darüber hinaus werden in der EU Pläne diskutiert, Kinder vor sogenannter 'kommerzieller Ausbeutung' zu schützen. Unter anderem gebe es Pläne für ein Verbot der Werbung im Umfeld von TV-Kindersendungen. Dafür bestehe laut Wiegmann keinerlei Handlungsbedarf. Auf das tägliche Zeitbudget eines Kindes entfielen im Schnitt nicht einmal 2 Prozent für TV-Werbung. Wissenschaftlich belegt sei außerdem die früh anwachsende Werbekompetenz von Kindern sowie ihre sich rasch aufbauende kritische Position zur Werbung. Darüber hinaus existierten bereits rechtliche Beschränkungen der TV-Werbung im gesamten EU-Gebiet. Das Verbot der Werbung würde zu einem drastischen Abbau von Kinderprogrammen führen. Unter dem Vorwand von Umweltschutz und Verkehrssicherheit werde von europäischer Ebene aus gleichfalls die Automobilwerbung bedrängt.

Zunächst gebe es Eingriffe in die inhaltliche Gestaltung von Werbung. Erfahrungsgemäß folgten daraus quantitative Beschränkungen der Werbung. "Der ZAW wendet sich entschieden gegen jede Belastung der Werbung der Kraftfahrzeughersteller für politische Ziele", so Wiegmann. Ein weiterer Vorgang in Brüssel mache deutlich, dass selbst eine beabsichtigte europäische Liberalisierung des Werberechts das existierende nationale Werbeverbot verschärfen könnte. So wolle die EU-Kommission Werbebeschränkungen für frei verkäufliche Arzneimittel zwar aufheben. Liberalisiere aber der deutsche Gesetzgeber nicht im gleichen Umfang das bisher restriktive nationale Heilmittelwerbegesetz, verzerrten sich die Marktchancen zu Lasten der deutschen Arzneimittelhersteller. Nicht auszuschließen sei außerdem, dass die Debatte über das Brüsseler Liberalisierungsvorhaben ins Gegenteil umschlägt: In Wellen sei immer wieder die Forderung nach einem Werbeverbot für sämtliche Arzneimittel erhoben worden – also auch für frei verkäufliche Produkte. Besonder stark seien solche wettbewerbsfeindlichen Kräfte im Europäischen Parlament.

680.000 Seiten weniger redaktioneller Text
Hans-Henning Wiegmann zusammenfassend: "Unverhältnismäßige Verbote der Marktkommunikation mindern die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Firmen und Branchen, schwächen die Position der Konsumenten am Markt durch ausbleibende Informationen, vernichten gleichzeitig Einkommen von Arbeitnehmern, Umsätze in der Werbemittelproduktion und insbesondere bei den Medien." Lege man die aktuell von Werbeverboten bedrohten Produktgruppen zugrunde, wären beispielsweise im Jahr 2001 Einkommensverluste bei Werbefachkräften sowie bei Mitarbeitern in Zulieferbetrieben wie Druckindustrie oder Papierwirtschaft in Höhe von rund 320 Mio € entstanden und Umsätze bei der Werbemittelproduktion um 760 Mio € gesunken – also um insgesamt mehr als 1.080 Mio €. Allein die Druckindustrie sei zu zwei Dritteln vom Werbegeschäft abhängig.

Besonders folgenschwer seien die destruktiven Effekte bei den Medien. An den gesamten Investitionen in Werbung in Höhe von 31,5 Mrd € im Jahr 2001 hatten sie einen Anteil von rund 70 Prozent oder 21,7 Mrd €. "Werbeausgaben der Wirtschaft sind existenzielle Einnahmequellen für die Medien – bei den Zeitungen zu 63 Prozent, den Zeitschriften zu 66 Prozent, Kinos 12 Prozent, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten 9 Prozent sowie Privat-TV und Hörfunk rund 98 Prozent", sagte der ZAW-Präsident.

Käme es zu Werbeverboten in den politisch bedrohten Branchen, hätten die Medien Einnahmeverluste von rund 3,6 Mrd €. Die Höhe dieser Summe führe zwangsläufig zu zerstörenden Effekten. So verringere sich die Medienvielfalt nicht nur punktuell, sondern auch grundsätzlich. Es würden zahlreiche Zeitschriftentitel wegfallen, Tageszeitungen gefährdet werden und Sendeformate von Funkmedien nicht mehr finanzierbar sein.
Gleichfalls sei die Meinungsvielfalt von Substanzverlust bedroht. "Sinken die Werbeeinnahmen der Medien, wird Meinungsvielfalt abgebaut, es kommt zu Defiziten in demokratischen Meinungsbildungsprozessen." Fachleute rechneten vor dem Hintergrund des aktuellen Bedrohungspotentials durch Werbeverbote kalkulatorisch mit einem Verlust von fast 680.000 Seiten redaktionellem Text.

Werbeverbote vernichteten ebenso Arbeitsplätze in den Medien. Die aktuell konjunkturbedingte Werbeflaute 2001/02 habe die Zusammenhänge deutlich gemacht: Verringern sich die Werbeeinnahmen, schrumpft die Menge der Medien und damit der Bedarf an Journalisten, an Fachkräften in der Medienproduktion und im kaufmännischen Bereich. Allein im bisherigen Verlauf des Jahres 2002 (Stand: Anfang August) hätten nach ZAW-Analyse 4.183 der rund 45.000 fest angestellten Journalisten ihren Arbeitsplatz verloren. Hinzu käme die Dunkelziffer des offenkundig drastischen Rückgangs von Aufträgen für freie Mitarbeiter in Redaktionen bei Presse und Funkmedien. Wieviel Arbeitsplätze durch die gegenwärtig von der Politik bedrohten Werbeausgaben der Wirtschaft insgesamt verloren gehen würden, lasse sich seriös nicht abschätzen: Werbeverbote wirkten im Arbeitsmarkt schleichend destruktiv und selten sofort.

Der Blick auf den Beschäftigungsfaktor Werbung unterstreiche aber absehbare Schäden. Im Kernbereich der Werbewirtschaft arbeiteten gegenwärtig rund 360.000 Menschen, in den Medien 208.000 Publizisten, Dienstlei-ster und Techniker. Die von erfolgreicher Werbung abhängigen Arbeitsplätze in der Wirtschaft insbesondere bei Markenartiklern machten rund 17,8 Mio aus. Insgesamt hingen somit 18,3 Mio Angestellte und Arbeiter von den Investitionen der Firmen in ihre Marktkommunikation direkt oder indirekt ab. Partielle Werbeverbote lösten entsprechend eine Erosion der Menge von Arbeitsplätzen aus.


"Souveräner Wähler" gleichzeitig Konsumtrottel?
Werbeverbote stellen außerdem die Frage nach dem rechten Verhältnis von Bürger und Staat. Es gehört zu den latenten Widersprüchen der "Verbraucherschutz"-Politik, dass der Bürger einerseits als "Souverän" vor allem in Wahlkampfphasen belobigt werde, in Sachen Werbung aber letztlich die Karikatur des Konsumtrottels unterlegt sei. "Das ist ein janusköpfiges Verbraucher-Leitbild", kritisierte Wiegmann. Es widerspreche den höchsten Gerichten: Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof sowie der Europäische Gerichtshof gingen in ihren Urteilen in Zusammenhang mit Werbung längst von einer Mehrheit lebenskompetenter und damit vernünftig handelnder Menschen aus.


Deformation der Marktwirtschaft zur Markt-Regulierungswirtschaft
Die Soziale Marktwirtschaft sei ein komplexes System. Werde Werbung herausgebrochen, ergäben sich destruktive Dominoeffekte in vielen anderen Bereichen. "Additiv führen sie zur Deformation dieser effizientesten und effektivsten Wirtschaftsform: Aus sozialer Marktwirtschaft wird Markt-Regulierungswirtschaft", warnte Wiegmann.

Immer bedrohlicher wuchere im Bereich der Werbung vor allem die EU-Bürokratie – ein Apparat mit immerhin 20.000 Beamten. Noch nie in der Geschichte der Gemeinschaft habe sich die Kommission derart umfassend mit Eingriffen in Werbung befasst, wie gerade jetzt.

Wenn unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes die Flexibilität und Dynamik der Märkte durch Werbeverbote immer stärker eingeschränkt werde, sei dies nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein soziales Problem – siehe Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, Arbeitsmarkt, Medienabbau und verhinderte Kundeninformation.

Wiegmann: "Den Nachteil von Werbeverboten haben alle. Deshalb unser Appell an Politik und Gesellschaft: Setzen Sie sich mit politisch motivierten Projekten von Werbeverboten intensiv auseinander!"

"Schwarzbuch Werbeverbote – Deformation der Marktwirtschaft", Bezug: Verlag edition ZAW, Bonn 2002, kostenfrei, 200 Seiten. Telefax (02 28) 35 75 83.

Quelle und Kontaktadresse:
Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V. Villichgasse 17 53177 Bonn Telefon: 0228/820920 Telefax: 0228/357583

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