Zahn und Psyche - warum die Psychosomatik in der Zahnmedizin und die Zähne in der Psychotherapie eine große Rolle spielen
(München) - Schätzungen zufolge vermeiden rund fünf bis zehn Prozent aller Deutschen aus Angst vor dem Zahnarzt notwendige Behandlungen. Darüber hinaus sind 20 Prozent der Patientinnen und Patienten, die mit Beschwerden in die Zahnarztpraxis kommen, psychisch beeinträchtigt. Schmerzen im Mund-, Kiefer-, Gesichts- und Zahnbereich können oft psychosomatische Ursachen haben. Der Beziehung zwischen Zahnarzt und Patient kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Der Zahnarzt sollte psychosomatische Ursachen erkennen können und betroffene Patienten behutsam auf die Möglichkeit einer Psychotherapie hinweisen. Psychotherapeuten sollten umgekehrt im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung auch Zahnprobleme ansprechen, die den Psychotherapeuten veranlassen, dem Patienten einen Zahnarztbesuch dringend zu empfehlen.
"Jeder Zahnarzt sollte in der Lage sein, gemeinsam mit einem Psychotherapeuten ein Behandlungskonzept zu entwickeln", betont Michael Schwarz, Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK), anlässlich der Fortbildungsveranstaltung "Zahn und Psyche", die Anfang Februar gemeinsam mit der Europäischen Akademie für zahnärztliche Fort- und Weiterbildung der BLZK GmbH (eazf) und der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PTK Bayern) in München organisiert wurde. "Wenn der Zahnarzt seinen Patienten darüber informiert, dass sein Krankheitsbild bekannt ist, auch andere Menschen darunter leiden und dass eine unterstützende psychotherapeutische Behandlung gute Erfolge hat, dann ist diese Information für die meisten Patienten enorm entlastend", so Dr. Nikolaus Melcop, Präsident der PTK Bayern. "Angesichts der Bedeutung der sprechenden Medizin ist nicht nachvollziehbar, dass diese sowohl bei Zahnärzten als auch bei Psychotherapeuten nach wie vor nicht angemessen honoriert wird", so Michael Schwarz, Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer.
In der Kindheit steht der Mundraum im Zentrum von Wahrnehmung und Kommunikation. Frühe Lernerfahrungen sind an orale Empfindungen gekoppelt und können im Erwachsenenalter zu funktionellen Störungen im Mundbereich führen. Der Mundraum ist die empfindlichste Region für Sinnesreize, keine Körperregion ist motorisch komplexer gesteuert. Er ist einer der intimsten Zonen des menschlichen Körpers. Alltagsstress löst muskuläre Reaktionen im Gesicht aus, die sich zu Fehlfunktionen entwickeln können und in chronische Schmerzzustände münden. In Alltagsformulierungen wird ständig ein Zusammenhang zwischen Funktionen des Mundes und des Kauapparats und seelischen Reaktionen hergestellt: "Ich habe an etwas zu kauen", "ich will nicht mehr alles schlucken", "sie knirscht vor Wut mit den Zähnen."
Bei Zahnbehandlungsangst und einer Spritzenphobie - an letzterer leiden zwei bis drei Prozent aller Deutschen - kann eine spezielle Psychotherapie helfen. "Die direkte, behutsame Konfrontation mit der Spritze, Entspannungsverfahren und Methoden der psychotherapeutischen Hypnose haben hier schon bei wenigen Sitzungen eine hohe Erfolgsquote", erklärt Dr. Melcop. Mit Hilfe von psychotherapeutischer Hypnose kann die Dosis der Medikamente bei zahnärztlichen Eingriffen um bis zu 75 Prozent reduziert werden, so z.B. bei Narkoseunverträglichkeit.
Bei chronischen Schmerzen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich handelt es sich um somatoforme Störungen, wenn neurologische, HNO-ärztliche und orthopädische Ursachen ausgeschlossen wurden. Es gibt zur Behandlung solcher Beschwerden ebenfalls bewährte psychotherapeutische Verfahren, die sich aus der psychologischen Schmerztherapie herleiten. Nicht selten steht hinter beklagten Schmerzen auch eine Depression, die einer adäquaten psychotherapeutischen Behandlung bedarf. Umgekehrt werden Zahnprobleme von einigen Patienten erstmalig beim Psychotherapeuten angesprochen, die den Zahnarztbesuch langfristig meiden.
"Die Zahnärztinnen und Zahnärzte müssen sich für ein längeres biopsychosoziales Anamnesegespräch Zeit nehmen und ausreichend informieren und aufklären", fordert Michael Schwarz. "Steht nach der gründlichen organmedizinischen Diagnose fest, dass psychosomatische Ursachen für die Zahnbeschwerden vorliegen könnten, ist wichtig, den Betroffenen behutsam zu einem Psychotherapeuten zu überweisen", so der Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer. Dass solche Therapiekonzepte nicht mehr umgesetzt werden können, wenn weiterhin Pauschalhonorare und wissenschaftlich nicht nachvollziehbare Zeitrelationen neue Gebührenordnungen prägen sollen, darüber sind sich die beiden Präsidenten einig.
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