Pressemitteilung | Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) e.V.

Wir alle wollen viel mehr Güter auf der Schiene - aber auf welchen Schienen? / Regierung scheint drastische Unterfinanzierung des Netzausbaus fortsetzen zu wollen

(Berlin) - Die aktuelle schwarz-rote Bundesregierung hat ihren Entwurf des Bundeshaushalts 2022 samt mittelfristiger Finanzplanung bis 2025 beschlossen. Gegen Ende des Jahres wird er im Bundestag von einer neuen Mehrheit beraten. Eine der wichtigsten Kennzahlen für den Ausbau der Schiene löst bei den Güterbahnen große Enttäuschung und Fragen an die Parteien zu ihren Zukunftsplänen aus.

"Den von der Regierung immer wieder beschworenen und notwendigen Investitionshochlauf sehen wir nicht", kommentiert Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen, die Tatsache, dass die Regierung die Ausgaben für den "Bedarfsplan Schiene" von 2022 bis 2025 praktisch unverändert lassen will. "Und das mit nur zwei Milliarden Euro pro Jahr auf einem viel zu geringen Niveau", ergänzt er. Dabei vergleicht er die zwei Milliarden Euro sowohl mit den Ausgaben für Fernstraßen als auch mit den vom Bundestag beschlossenen Schienenplanungen. "Selbst der Schienenwert für 2023 liegt noch 17 Prozent unter den Ausgaben für Neubau und Erweiterungen allein von Autobahnen und Bundesstraßen des Jahres 2020. Bei der letzten Aktualisierung des maßgeblichen Bedarfsplans Schiene 2016 hat der Bundestag in 64 Einzelpositionen Schienenvorhaben mit Kosten von über 48 Mrd. Euro in Auftrag gegeben, von denen das Gros bis 2030 in Betrieb sein sollte." Von 2016 bis 2020 stellte der Bund für ihre Realisierung aber nur 7,3 Mrd. Euro bereit. Mit dem jetzt beschlossenen Haushaltsentwurf könnte der Wert bis 2025 auf 17 Mrd. Euro steigen. Eine bisher nicht veröffentlichte Liste zusätzlicher Maßnahmen für die Umsetzung des Deutschlandtakt-Konzepts ist dabei allerdings ebenso wenig berücksichtigt wie Baukostensteigerungen.

Westenberger: "Wenn es so weitergeht, könnte vielleicht ein Drittel des Volumens realisiert werden. Die Stagnation bei diesem Haushaltsansatz setzt die langjährige Unterfinanzierung des Bedarfsplans Schiene gnadenlos fort und widerspricht dem parteipolitischen Konsens, die Schiene aufzuwerten und ihren Anteil an den Verkehrsmärkten zu steigern. Wir fordern, dass der Bundestag einen schnellen und nachhaltigen Mittelzuwachs in einem langfristig angelegten Infrastrukturfonds sicherstellt. Noch vor 2025 müssen mindestens 3 Mrd. Euro pro Jahr bereitstehen, die bis auf 6 Mrd. Euro zum Ende des Jahrzehnts gesteigert werden müssen."

Die Bedarfsplanfinanzierung ist für die Güterbahnen eine der wichtigsten Kennzahlen, weil das Schienennetz an vielen neuralgischen Punkten dem zunehmenden Verkehr nicht mehr gewachsen ist, während es jahrzehntelang rückgebaut und dies auch durch die wenigen realisierten Neubauten nicht ansatzweise kompensiert wurde. Nur mit Bedarfsplangeldern kann zusätzliche Kapazität für Züge geschaffen werden. Westenberger: "Es geht vor allem um zusätzliche Gleise und Terminals, über die mehr Verkehr als heute gefahren werden kann. Und nicht um den Ersatz baufälliger, weggeschwemmter oder gerammter Brücken, den Ersatz von Bahnübergängen oder eine neue Leit- und Sicherungstechnik. Auch das sind unstrittig notwendige Bundesaufgaben, mit denen allerdings nur die vorhandenen Verkehre weitergefahren werden können."

Der Bund stellt seit vielen Jahren zu wenig Geld zur Verfügung, um die Schieneninfrastruktur entsprechend den Vorgaben des Bundestages zu erweitern. Über einen langen Zeitraum waren es nur zwischen einer und 1,3 Mrd. Euro. Der absolute Tiefpunkt lag 2015 bei 1,04 Mrd. Euro, der bisherige Höchstwert 2019 bei 1,64 Mrd. Euro. So wird bei der mehrmonatigen Sperre der überlasteten Strecke Hamburg-Berlin wegen Sanierungsarbeiten im September wieder besonders das Gewürge um die in der Nachwendezeit zu gering dimensionierte Wiederherstellung der Schieneninfrastruktur zwischen Uelzen und Stendal für die Eisenbahnen spürbar werden - vom Güterzug aus dem Hamburger Hafen bis zum ICE. Bis heute ist diese Strecke des sogenannten Ostkorridors weitgehend eingleisig geblieben. Weiter südlich im Ostkorridor gibt es Jahre nach der erstmaligen Aufnahme einer Elektrifizierung von Hof bis Regensburg in den Bundesverkehrswegeplan noch immer keinen Fahrdraht.

Im "Masterplan Schienenverkehr", den Verkehrsminister Scheuer im Juni 2020 vorgestellt hat, waren im Mittelfristzeitraum mindestens 3 Mrd. Euro und "anschließend noch spürbar ansteigende Jahresraten" für den Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur vorgesehen. Westenberger: "Der Haushaltsentwurf könnte ein Fehlstart mit Langzeitwirkung werden. Er muss korrigiert werden. Eine Verkehrswendepolitik muss Priorität auf die Schiene legen." Dass Länder und Kommunen in erheblichem Umfang in Straßen, aber kaum in Schienenwege investieren, ist beim Vergleich der Güterbahnen noch nicht einmal berücksichtigt.

Was mit 2 Milliarden Euro machbar ist, zeigt sich an zwei aktuellen, eher kleinen Ausbaubeispielen. Der Neubau einer 5,6 Kilometer langen Verbindungskurve nördlich von Kassel soll 200 bis 225 Mio. Euro kosten, der zweigleisige Ausbau der Verbindung von Rotenburg nach Verden mit 25 Kilometern Länge 916 Mio. Euro. Beide Projekte liegen damit bei einem Kilometerpreis von rund 40 Mio. Euro und beanspruchen rechnerisch bereits 1/8 bzw. die Hälfte der geplanten Bundesmittel eines Jahres.

Auch einige Wahlprogramme der Parteien machen trotz der Einigkeit, dass der Schiene dringend Priorität eingeräumt werden muss, wenig Mut. In einer Bewertung der eisenbahnpolitischen Themen musste das NEE feststellen, dass nur Linke und Grüne genaue Zahlen nennen, um dem Bedarf der nächsten Jahre auch nur annähernd zu entsprechen. Das Unionsprogramm - und auch das separate CSU-Programm - schweigen sich zu den Schieneninfrastrukturinvestitionen aus, die SPD bekennt sich allgemein: "Hierfür werden wir investieren: in den Aus- und Neubau des Schienennetzes". Westenberger: "Die Schiene will die Erwartungen aus der Politik sehr gerne erfüllen. Allerdings fragen wir uns immer drängender, auf welchen Schienen die Züge fahren sollen, die in neun Jahren 25 Prozent am Güterverkehr ausmachen und zugleich doppelt so viele Reisende im Personenverkehr transportieren sollen", so Westenberger abschließend. Möglichst noch vor der Bundestagwahl muss sich nach Auffassung der Güterbahnen die Politik ehrlich machen.

Quelle und Kontaktadresse:
Netzwerk Europäischer Eisenbahnen e.V. Peter Westenberger Reinhardtstr. 46, 10117 Berlin Telefon: 030 53149147-0, Fax: 030 53149147-2

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