Pressemitteilung | Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. (BVE)

Werbefreiheit für Lebensmittel in Gefahr / EU-Verordnungsentwurf über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel ein ordnungspolitischer Irrweg

(Berlin) - Der Verordnungsentwurf der EU-Kommission über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel verfolgt - im Prinzip durchaus zu Recht - das Ziel, diese Aussagen in Bezug auf Lebensmittel zu harmonisieren. In der Praxis ist dabei ein Projekt herausgekommen, mit dem der Ernährungsindustrie - und insbesondere der Lebensmittelwerbung - der alleinige schwarze Peter für das gesundheitspolitische Problem Übergewicht zugeschoben wird.

Die EU-Kommission scheint davon auszugehen, dass Werbung irreführt, dass Werbung missverstanden wird und dass zuviel Werbung zu einem Mehrverzehr führt. Selbst die Bundesregierung kommt in ihrem Ernährungsbericht aus dem Jahr 2000 zu dem Ergebnis, dass kein Zusammenhang zwischen der Intensität der Werbung für bestimmte Lebensmittel und der Häufigkeit des Konsums jener Lebensmittel besteht.

Da die Lebensmittel und erst recht nicht einzelne Produktkategorien nicht oder nur in sehr untergeordneter Rolle für das Übergewicht verantwortlich sind und die Werbung den Konsum der Lebensmittel insgesamt nicht erhöht, ist der Verordnungsentwurf schon im Ansatz verfehlt. Die Kommission beabsichtigt, Nährwertprofile festzulegen, die Lebensmittel in positiver Weise aufweisen müssen, um nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben tragen zu dürfen und diskriminiert bestimmte Lebensmittel so ohne Not.

Die Nährwertprofile sollen unter Berücksichtigung von Fett/ gesättigten Fettsäuren/ Transfettsäuren, Zucker und Salz/Natrium festgelegt werden. Bei "ungünstigem Nährwertprofil" sollen nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben verboten sein, selbst wenn sie zutreffend und nicht irreführend sind.

Nährwertprofile: ein Irrweg
Schon ernährungspolitisch ist die Aufstellung von Nährwertprofilen ein Irrweg. Warum soll für ein Produkt, das ein "ungünstiges Nährwertprofil" aufweist, nicht geworben werden dürfen? Es kommt nicht auf das einzelne Produkt an, sondern auf die Gesamternährung und den Lebensstil, wenn es um das Thema Übergewicht geht. Wollte man Nährwertprofile für Äpfel und Salate aufstellen, könnten diese nur ungünstig ausfallen, weil z.B. das Fett fehlt, das der Mensch schließlich auch braucht. Ein ungünstiges Nährwertprofil in Bezug auf Äpfel und/oder Salate wäre aber unsinnig, weil sich niemand nur ausschließlich von Äpfeln oder Salaten ernährt. Es kommt auf die Mischkost an, nichts Anderes gilt z.B. in Bezug auf Schokoladenriegel. Richtig ist, dass es nur gute oder schlechte Lebensstile und Ernährungsweisen gibt, nicht aber gute oder schlechte Lebensmittel.

EU überschreitet Kompetenzen
Es bestehen auch juristische Bedenken. Art. 4 des Verordnungsentwurfs soll das Ernährungsverhalten der Bevölkerung steuern, es geht um die Durchführung ernährungspolitischer und gesundheitspolitischer Maßnahmen. Es geht nicht nur um eine Harmonisierung innerhalb der Europäischen Union, wozu die Kommission sich auf Art. 95 EGV berufen könnte, es geht vielmehr um gesundheitspolitische Fragen, wofür die EU-Kommission nach Art. 152 Abs. 4 EGV keine Kompetenz hat.

Im Übrigen lässt der Verordnungsentwurf den Inhalt der Nährwertprofile im Einzelnen völlig offen. Damit können die betroffenen Unternehmen überhaupt nicht erkennen, welche Verpflichtungen und welche Verbote genau auf welche Lebensmittel zukommen. Die Kommission gibt sich eine Kompetenz, ohne dass in dem Verordnungsentwurf hinreichend deutlich bestimmt wäre, wie diese Nährwertprofile aussehen sollen.

In einem Europa, das demnächst von Estland bis Portugal und von Finnland bis Malta reicht, sind Nährwertprofile für einzelne Lebensmittel ohnehin sinnlos. Es gibt keinen einheitlichen europäischen Verbraucher, es gibt keine einheitlichen europäischen Verzehrsgewohnheiten und der relative Beitrag, den ein einzelnes Lebensmittel in jedem einzelnen Land zur Gesamternährung leistet, ist aufgrund unterschiedlicher Verzehrsgewohnheiten in der EU keineswegs gleich.

Informationsverbot für einzelne Lebensmittel droht
Damit noch nicht genug. Nach Art. 4 Abs. 4 soll es erlaubt sein, in einem vereinfachten Ausschussverfahren bei bestimmten (noch näher zu definierenden) Lebensmitteln oder Kategorien von Lebensmitteln jegliche gesundheitsbezogene Angabe und praktisch jegliche nährwertbezogene Angabe völlig zu verbieten, unabhängig von einem Nährwertprofil. - Diese Gesamtschau zeigt, dass damit ein Informationsverbot geschaffen werden soll, obwohl wahre und nicht irreführende Angaben in Bezug auf solche Lebensmittel durchaus möglich wären.

Art. 11 des Verordnungsentwurfes sieht vor, dass bestimmte gesundheitsbezogene Angaben überhaupt nicht zulässig sein sollen, weil sie nicht konkret genug sind. Wem hat aber die Werbebotschaft: "Esst mehr Obst und Ihr bleibt gesund" geschadet? Missbräuchen kann mit dem allgemeinen Irreführungsverbot begegnet werden.

Weiterhin sieht Art. 11 ein Verbot für Angaben vor, die sich auf psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beziehen. Schon immer wurde darauf hingewiesen, dass beispielsweise Tee und Kaffee eine aufmunternde Wirkung haben. Die Verbraucher werden weder irregeführt noch ist die Aussage falsch. Dass sie nicht konkret genug ist, kann nicht zu einem Verbot führen, denn ein solches Verbot wäre unverhältnismäßig.

Falsches Verbraucherleitbild
Diese Beispiele zeigen bereits, dass man nicht nur eine völlig unangemessene Einteilung in "gute und schlechte Lebensmittel" vornehmen will, sondern dass man auch den vom EuGH geschaffenen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abschaffen oder zumindest in seiner Begrifflichkeit zurückfahren will. Leitbild soll offenbar wieder der "flüchtige Durchschnittsverbraucher" sein, der von der Rechtsprechung gerade abgelehnt wird. Die Kommission will der Ernährungsindustrie ganz offensichtlich für diesen Typ des unmündigen Verbrauchers die Verwendungsverantwortung aufbürden. Offenbar reicht es nicht, dass die Ernährungsindustrie bereits die Herstellungsverantwortung trägt. Es ist eine ordnungspolitisch verfehlte Entwicklung, der es zu begegnen gilt. Staatliche Ernährungslenkung und Bevormundung der Verbraucher passen nicht in unser Wirtschaftssystem.

Wenn es Defizite bei den Verbrauchern gibt, sind diese bei den Verbrauchern zu beheben (Förderung der Bewegung, Verstärkung der Information über gesunde Lebensstile, Information über die Ernährung). In Bezug auf nährwertbezogene Angaben (z.B. fettarm, energiereduziert) ist zu kritisieren, dass solche Angaben nur gemacht werden dürfen, wenn sie der Verordnung entsprechen und zusätzlich die in einer geschlossenen Liste festgelegten Bedingungen erfüllen. Man fragt sich, weshalb auch nicht weitere nährwertbezogene Angaben, die nicht in der Liste aufgeführt sind, ebenfalls gemacht werden dürfen, wenn sie wahr und nicht irreführend sind.

Bürokratischer Popanz für Werbeaussagen
Gänzlich inakzeptabel und überzogen bürokratisch ist auch das vorgesehene Verfahren bei gesundheitsbezogenen Angaben. Solche Angaben sollen nicht schon möglich sein, wenn das Lebensmittel ein "positives Nährwertprofil" hat, vielmehr muss ein höchst aufwendiges Genehmigungsverfahren durchlaufen werden. Seit Jahrzehnten kennen wir die Werbung bei Hustenbonbons: "Wohltuend für Hals und Rachen". Eine solche Aussage (z.B.) wäre nur nach Stellung eines schriftlichen Antrags bei der Lebensmittelbehörde möglich. Die Behörde müsste alle Mitgliedstaaten unterrichten und ihnen alle vom Antragsteller vorgelegten Informationen zur Verfügung stellen. Ferner wäre eine Zusammenfassung dieser Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dem Antrag wären (z.B.) Studien, wissenschaftliche Untersuchungen, eine Zusammenfassung des Dossiers und ein Vorschlag für die Werbeformulierung (in allen Gemeinschaftssprachen) beizufügen. - Die Lebensmittelbehörde hätte dann ein Gutachten zu erstellen, sie würde eine Formulierung gesundheitsbezogener Angaben in allen Gemeinschaftssprachen empfehlen und die Behörde würde ihr Gutachten der Kommission, den Mitgliedsstaaten und dem Antragsteller übermitteln. Auch der Öffentlichkeit würde ein Gutachten zugänglich gemacht. - Ist die Genehmigung einmal erteilt, kann diese Genehmigung auf Antrag eines Mitgliedsstaates, der Kommission oder auf eigene Initiative der Behörde in einem entsprechenden Rückabwicklungsverfahren widerrufen werden. Das ganze Verfahren steht in keinerlei Verhältnis zu der geplanten Aussage. Wiederum wird gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Derartige Verfahren wären von mittelständischen Unternehmen praktisch nicht durchführbar.

Weitere Mängel offensichtlich
Der Verordnungsentwurf enthält weitere Mängel, auf die an dieser Stelle nur noch beispielhaft eingegangen werden kann. So ist die Forderung in Art.6 des Verordnungsentwurfs, dass nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben "sich auf allgemein akzeptierte wissenschaftliche Daten stützen und durch diese abgesichert sein müssen", völlig überzogen. Insofern hat sich die deutsche Regelung bewährt, dass solche Angaben "wissenschaftlich hinreichend gesichert" sein müssen. Alles Andere ist eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Neben den dargelegten Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht bestehen auch innerstaatlich verfassungsrechtliche Bedenken. So ist es mit der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG nicht zu vereinbaren, wenn wahre, nicht irreführende Werbeäußerungen unterdrückt werden sollen. Es ist selbstverständlich, dass die Verbraucher vor irreführenden Angaben geschützt werden müssen, dieses Ziel kann aber durch bestehende gemeinschaftsrechtliche und nationale Regelungen ohnehin erreicht werden.

Werbeverbote sind keine Lösung
Dem Problem des Übergewichts kann nicht mit Werbeverboten begegnet werden, es werden dadurch nur Informationsrechte der Verbraucher und verfassungsrechtlich garantierte Meinungsäußerungen der Hersteller verkürzt. Innovationen bei der Lebensmittelherstellung werden verhindert, denn wer Vorteile seines Produktes nicht mehr erwähnen darf, wird auch nicht über Neuformulierungen in der Rezeptur nachdenken.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. (BVE) Godesberger Allee 142-148, 53175 Bonn Telefon: 0228/308290, Telefax: 0228/3082999 Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an: Prof. Dr. Matthias Horst Telefon: 0228/8199321 Telefon am Stand Grüne Woche:(030) 3038-84062

NEWS TEILEN: