Weniger Kinder brauchen mehr Bildung / Wie Kommunen bei sinkenden Bevölkerungszahlen in Zukunft investieren können / Gemeinsame Veranstaltung von IAT und FES thematisiert die demographische Entwicklung als Herausforderung für die Bildungspolitik
(Gelsenkirchen) - Sinkende Kinderzahlen in Kindergärten und Klassenzimmern lassen manchen Kommunalpolitiker auf kräftige Einsparungen für die Stadtkasse hoffen doch die Rechnung geht nicht auf: Um dem künftig drohenden Mangel an qualifizierten Nachwuchs-Arbeitskräften gegenzusteuern werden Bildung und Qualifizierung immer wichtiger. Die Kommunen tun gut daran, sich frühzeitig auf den demografischen Wandel einzustellen und Ressourcen zu bündeln, um Erziehung, Bildung, Aus- und Weiterbildung zu gestalten und zu verbessern. Das zeigte jetzt (9. März 2006) eine Veranstaltung von Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und Institut Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen.
Bis 2020 sinken die Kinderzahlen bereits um mindestens 15 Prozent, bis 2050 um mindestens 20 Prozent, lassen die Prognosen erwarten. Wie Tobias Terpoorten vom Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) an der Ruhr-Universität Bochum darstellte, trifft der Bevölkerungsrückgang besonders die Ruhrgebietskommunen. Nach der Prognose für das Jahr 2020 ist für Städte wie Hagen, Gelsenkirchen, Essen und Duisburg mit Bevölkerungsrückgängen von 10 bis 16 Prozent zu rechnen, während die Kreise in den ländlichen Regionen Zuwächse zu verzeichnen haben. In den Kernstädten des Ruhrgebiets liegt der Bevölkerungsanteil der unter 14-Jährigen heute bereits unter 13,5 Prozent, im Münsterland sind es dagegen 16,45 Prozent und mehr. Vor allem aber, so Terpoorten, werden wir andere Kinder haben mehr Kinder mit Migrationshintergrund und mehr Kinder aus bildungsarmen Familien: Diese Kinder gilt es zu fördern, wenn wir in der Zukunft qualifizierte Arbeitskräfte haben wollen.
Susanne Tatje, Demographiebeauftragte der Stadt Bielefeld, demonstrierte, wie dort der Demographische Wandel angegangen wird und wie auch andere Kommunen Bildung und Betreuung zu einer demographiepolitischen kommunalen Strategie entwickeln und damit auf den Wandel reagieren können. Denn Bildungsdefizite haben schwerwiegende Folgen: Je niedriger der Bildungsabschluss, desto höher das Risiko von Arbeitslosigkeit und Armut. Besonders betroffen sind Kinder aus Migrantenfamilien. Selbst von den hier geborenen Zuwandererkindern verlassen nur 40 Prozent die Schule ohne oder nur mit Hauptschulabschluss. In der Folge sinkt auch die Ausbildungsbeteiligung nur 38 Prozent können eine berufliche Ausbildung vorweisen, gegenüber 68 Prozent bei den deutschen Jugendlichen. Bis 2050 wird der Anteil der Migranten weiter steigen und der Anteil der jüngeren Altersgruppen in den Großstädten noch erheblich höher sein. Der demographische Wandel erfordert also dringend mehr Integrationsangebote in Bildung, Ausbildung und Beruf.
Kommunen, die im demographischen Wandel ihre Attraktivität als Wirtschaftsstandort verbessern wollen, müssen umdenken, meint Susanne Tatje. Denn bei den so genannten weichen Standortfaktoren zeichnet sich eine neue Entwicklung ab: Heute sind es oft auch Faktoren wie hochwertige Bildungs- und Betreuungsangebote für die Kinder im Umfeld des Unternehmens, die über die Zusage von Spitzenkräften entscheiden - weniger der große Firmenwagen.
Kommunale Politik, die sich auf den Schwerpunkt Bildung festlegt, kann in Verbindung mit einer durchdachten Familienpolitik und attraktiven Wirtschaftsförderungspolitik die Entwicklung der Städte positiv beeinflussen, zeigte die Expertendiskussion bei der Veranstaltung. Eine zukunftsorientierte kommunale Bildungspolitik sorgt z.B. für ein gutes Schulangebot vor Ort, entwickelt gemeinsam mit der Jugendhilfe flexible Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten und Ganztagsangebote an Schulen, kümmert sich um die frühe Förderung von Kindern und bietet Sprachförderung für Kinder aus Migrationsfamilien an. Ziel muss sein, für breite Bevölkerungsgruppen einen hohen Bildungsstand zu erreichen.
Die Kommunen müssen noch viel stärker zum Akteur der Bildungspolitik werden, so fasste IAT-Forschungsdirektorin Dr. Sybille Stöbe-Blossey ein Ergebnis der Podiumsdiskussion zusammen, und dazu brauchen sie Freiräume und Ressourcen. Gleiches gilt für die einzelne Einrichtung ob Schule oder Kindergarten. Mehr Selbstständigkeit kann hier Engagement freisetzen, um auf die örtlichen Probleme angemessen zu reagieren. Aber nicht jeder soll das Rad neu erfinden: Gefragt ist auch ein verstärkter Austausch über geeignete Konzepte.
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