Wegen Corona-Krise: Lebensmittelüberwachung in Deutschland massiv eingeschränkt - Ernährungsministerin Julia Klöckner wirbt für weniger Kontrollen in den Betrieben
(Berlin) - Die Lebensmittelkontrollen in Deutschland sind infolge der Corona-Krise massiv eingeschränkt. Nach Informationen der Verbraucherorganisation foodwatch haben die zuständigen Behörden ihre regelmäßigen Routinekontrollen in Unternehmen ebenso wie geplante Probenanalysen größtenteils ausgesetzt. Weil Personal ausfällt oder zum Beispiel in den Gesundheitsämtern aushilft und die Laborkapazitäten für Corona-Analysen benötigt werden, finden derzeit fast nur noch anlass- und verdachtsbezogene Prüfungen statt. Zahlreiche Hygienekontrollen und Untersuchungen etwa der Keimbelastung von Lebensmitteln fallen dagegen weg.
Statt ein Konzept zur Beseitigung der Engpässe anzustoßen, hat Bundesernährungsministerin Julia Klöckner den Verzicht auf Kontrollen selbst vorgeschlagen - nicht jedoch zur Entlastung der Behörden, sondern der Lebensmittelbranche. Das geht aus einem Schreiben Julia Klöckners an Kanzleramtschef Helge Braun vom 27. März hervor, das foodwatch an diesem Mittwoch veröffentlichte. Darin bittet die Ministerin das Kanzleramt um Unterstützung gegenüber der Europäischen Kommission für den Vorschlag einer "Reduzierung der vorgeschrieben [sic] Mindestkontrolldichte von vor Ort-Kontrollen durch Agrar- und Veterinärbehörden". Sie argumentiert, dass solches "Verwaltungshandeln" in der "systemrelevanten" Land- und Ernährungswirtschaft zu Verzögerungen in Produktion und Logistik führen könne. Allerdings hatte die Ministerin öffentlich stets betont, dass die Lebensmittelversorgung gesichert sei.
foodwatch forderte Bundes- und Landesregierungen auf, ein Konzept vorzulegen, wie Betriebskontrollen und Laboranalysen von Lebensmitteln schnellstmöglich wieder hochgefahren werden können, um die Bevölkerung vor zusätzlichen Gesundheitsgefahren zu schützen. "Nicht nur die Lebensmittelwirtschaft, sondern auch wirksame Lebensmittelkontrollen sind systemrelevant. Gerade jetzt muss die Einhaltung von Hygienestandards durchgesetzt werden, damit zusätzlich zu Corona keine lebensmittelbedingten Gesundheitsgefahren hinzukommen. Das ist keine überflüssige Bürokratie, sondern effektiver Gesundheitsschutz", sagte Martin Rücker, Geschäftsführer von foodwatch. Natürlich müsse der Bekämpfung der Corona-Pandemie Priorität eingeräumt werden. Massive Einschränkungen bei der Lebensmittelüberwachung könnten jedoch nur für äußerst kurze Zeit hingenommen werden. Auf keinen Fall dürfe die Krise als Vorwand dienen, die Kontrollen dauerhaft zu reduzieren und bereits vor Corona bestehende Mängel zu rechtfertigen.
foodwatch verwies darauf, dass die jetzige Situation auch darauf zurückzuführen sei, dass kaum eine der fast 400 deutschen Kontrollbehörden über ausreichend Personal verfüge und die Länder in den vergangenen Jahren vielerorts Laborkapazitäten ab- statt aufgebaut hätten. "Länder und Kommunen haben die Lebensmittelüberwachung lange Zeit heruntergewirtschaftet. Das rächt sich jetzt", so Martin Rücker. foodwatch forderte von Bundesländern und kommunalen Behörden ein Umdenken sowie eine umfassende Transparenz darüber, welche Einschränkungen es bei den Kontrollen gibt und wann die Kontrollziele wieder erfüllt werden können.
Nach Informationen der Verbraucherorganisation können viele Behörden derzeit nur noch auf einen konkreten Verdacht hin Kontrollen durchführen oder Proben nehmen. Aus Sicht von foodwatch sind jedoch die regelmäßigen Routinekontrollen in den Betrieben ebenso wie die Analyse von Stichproben unerlässlich, um Lebensmittelsicherheit durchzusetzen. Oft würde erst dadurch zum Beispiel eine Keimbelastung von Lebensmitteln bekannt. Dass es sich dabei nicht um ein Luxusproblem handelt, belegt die Zahl der Infektionen mit typischen Keimen, die über Lebensmittel übertragen werden. So gebe es jährlich rund 60-70.000 gemeldete Erkrankungen durch Campylobacter, etwa 15.000 durch Salmonellen und etwa 300 bis 600 durch Listerien.
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