Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Wachstumsschwäche: Stolperstein Arbeitsmarkt

(Köln) - Die deutsche Wirtschaft ist in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre deutlich langsamer gewachsen als die der anderen EU-Staaten. Die Europäische Kommission macht dafür unter anderem die Lasten der Wiedervereinigung und die Krise am Bau verantwortlich. Wachstumsbremsen sehen die Brüsseler Beamten jedoch auch auf dem Arbeitsmarkt.

Fernab von Wahlkampfrhetorik und politischen Schuldzuweisungen hat die Europäische Kommission vor kurzem nüchtern festgestellt, dass Deutschland in Sachen Wachstum hinter seinen europäischen Nachbarn zurückbleibt – und das schon seit Mitte der neunziger Jahre: Zwischen 1995 und 2001 stieg das deutsche Bruttoinlandsprodukt im Schnitt jährlich um 1,6 Prozent – und damit um ein Drittel langsamer als im europäischen Durchschnitt.

Drei Bremsklötze hat die Brüsseler Behörde in ihrem Wachstums-Zeugnis besonders hervorgehoben:

1. Wiedervereinigung. Um die marode ostdeutsche Wirtschaft auf Vordermann zu bringen, überwies die Bundesregierung in den neunziger Jahren per annum rund 4 Prozent des westdeutschen Bruttoinlandsprodukts in die neuen Länder. Zunächst lieh sie sich das Geld – später waren Steuererhö-hungen unausweichlich.
Gleichzeitig schnellten die Sozialabgaben in die Höhe, weil viele Ostdeutsche im Zuge des wirtschaftlichen Umbruchs arbeits-los wurden und außerdem auch noch die Renten gezahlt werden mussten.

Die Mischung aus steigenden Steuern und Sozialabgaben hat nach Ansicht der Kommission rund ein Drittel der Wachstumslücke zwischen Deutschland und der übrigen EU verursacht. Die Unternehmen hierzulande hätten sich nämlich in Anbetracht sinkender Nettogewinne und höherer Lohnkosten mit Investitionen merklich zurückgehalten.

2. Bauwirtschaft. Auf die Goldgräberlaune kurz nach der Wiedervereinigung folgte in der ostdeutschen Bauwirtschaft die Katerstimmung:

Die Bauinvestitionen in den neuen Ländern sanken zwischen 1995 und 2001 von rund 76 Milliarden Euro auf fast 49 Milliarden Euro. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre hatten sie sich real noch mehr als verdoppelt. Doch danach schrumpften die öffentlichen Investitionen und großzügige Steuervergünstigungen liefen aus.

Erschwerend kam hinzu, dass die Bauwirtschaft zugleich im Westen kriselte: In den alten Bundesländern wurde in den Jahren nach dem Fall vieler kommunistischer Regierungen vor allem für Zuwanderer aus Süd- und Osteuropa Wohnraum geschaffen. Doch als sich die Neu-Bundesbürger häuslich eingerichtet hatten und staatliche Förderungen ausliefen, wurden die Richtfeste seit Mitte der neunziger Jahre immer seltener. Im Jahr 2000 entstanden 115.000 neue Mehrfamilienhäuser – 1995 waren es noch mehr als doppelt so viele.

3. Arbeitsmarkt. Bei dem aktuellen Reizthema hat die Kommission den größten Reformbedarf ausgemacht. Während viele andere europäische Staaten ihren Arbeitsmarkt flexibler gestalteten, habe Deutschland den Jobmotor mit zusätzlichen Regulierungen gebremst, moniert der EU-Bericht. Die Bezugsdauer der staatlichen Unterstützung sei ferner zu lang und die gezahlten Beträge seien zu hoch, um einen echten Arbeitsanreiz zu bieten. Zudem hätten die Löhne – vor allem in Ostdeutschland sowie auf dem Jobmarkt für Geringqualifizierte – in vielen Fällen die Produktivität überstiegen, also das, was der Einzelne erwirtschafte.

Bei der Rezeptur, wie die schwächelnden Wachstumskräfte Deutschlands aufgepäppelt werden könnten, setzten die Brüsseler Fachleute aber nicht nur auf Arbeitsmarktreformen. So müsste ihrer Ansicht nach unter anderem auf zwei Tätigkeitsfeldern ehemaliger Staatsmonopolisten stärker für Wettbewerb gesorgt werden:

- Telekommunikation. Im Gegensatz zu Ferngesprächen können die Bundesbürger bei Ortsgesprächen nur selten einen anderen Anbieter als die Deutsche Telekom wählen – der Bonner Konzern hat auf diesem Gebiet derzeit einen Marktanteil von 97 Prozent. Eine EU-Richtlinie zur weiteren Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes müsse daher zügig umgesetzt werden.

- Postdienste. Der lukrative Postmarkt für Briefe, der im Jahr 2001 ein Volumen von rund 11 Milliarden Euro erreichte, sollte möglichst bald Konkurrenten der Deutschen Post vollständig offen stehen.



Quelle und Kontaktadresse:
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