Pressemitteilung | Mehr Demokratie e.V. - Bundesverband

Volksbegehrens-Bericht 2000 / "Fehler der Länder nicht im Bund wiederholen"

(Hamburg/Bremen) - Die direkte Demokratie ist in Deutschland weiter auf dem Vormarsch. 27 Mal haben sich die Bürgerinnen und Bürger im vergangenen Jahr über Volksinitiativen und Volksbegehren in die Landespolitik eingemischt. Dies gab die Bürgeraktion Mehr Demokratie e.V. bekannt, die heute auf einer Pressekonferenz in Hamburg den “Volksbegehrens-Bericht 2000" vorstellte. Vorstandssprecherin Claudine Nierth erklärte: “Diese Praxis liefert wertvolle Hinweise für die aktuelle Debatte über bundesweite Volksentscheide. Die Fehler der Länder, wo der Volksentscheid aufgrund der hohen Quoren und der Themenverbote meist nur ein zahnloser Papiertiger ist, dürfen im Bund nicht wiederholt werden."

Wichtigstes Anliegen der Bürger war im letzten Jahr die Stärkung der Demokratie mit 12 Initiativen, gefolgt vom Erziehungs- und Bildungsfragen (10) sowie Wirtschafts- und Verkehrspolitik (5). “Jeder Antrag hat berechtigte Interessen artikuliert" sagte Nierth, “oft geht es um zentrale Fragen der Landespolitik." Die meisten Verfahren wurden von Bürgerinitiativen, oft im Bündnis mit Verbänden und Oppositionsparteien, eingeleitet.

Das Engagement der Bürger werde jedoch nur selten von Erfolg gekrönt. Wie schon 1999 kam es auch im letzten Jahr in keinem Bundesland zum Volksentscheid. 1998 hatten noch vier Volksbegehren den Weg an die Urne geschafft.

Lediglich zwei indirekte Erfolge wurden erzielt. Die hamburgische Bürgerschaft gestand den Videotheken die Öffnung an Sonntagen zu. Und ein Brandenburger Volksbegehren erreichte trotz seines Scheiterns am Eintragungsquorum eine bessere Finanzierung der Musikschulen.

Die Hälfte aller beantragten Initiativen wurde schon im Vorfeld für unzulässig erklärt. Sieben Mal kam es zum Volksbegehren. Lediglich in einem Fall gelang es, das Quorum zu überspringen. Das Thüringer Volksbegehren für mehr direkte Demokratie lag mit 387.000 Unterschriften überraschend deutlich über der vorgeschriebenen 14-Prozent-Marke. In Sachsen-Anhalt läuft noch bis zum 10. März ein Begehren gegen Kürzungen im Kita-Bereich.

Fünf weitere Volksbegehren scheiterten. So blieb in Bayern “Die bessere Schulreform" ebenso auf der Strecke wie die Forderung nach einem neuen Richterwahlrecht. Erfolglos war auch das sächsische Begehren “Pro kommunale Sparkasse", das allerdings nur hauchdünn an der gesetzlichen Hürde von 450.000 Stimmen scheiterte. Am Ende fehlten ganze 534 Unterschriften. Die Initiatoren klagen gegen das Ergebnis, weil ihnen über 100.000 Stimmen aberkannt wurden.

Mehr Demokratie-Sprecherin Nierth zeigte sich besorgt über die hohe Zahl unzulässiger Volksbegehren. "Politiker und Gerichte sind oft misstrauisch gegenüber den Bürgern. Positive Erfahrungen mit der direkten Demokratie aus dem In- und Ausland werden bei der Ablehnung von Volksinitiativen vernachlässigt." So sind in Niedersachsen und Brandenburg - anders als in Sachsen-Anhalt - Anträge zur Kinderbetreuung trotz großer Unterstützung aus der Bevölkerung gestoppt worden, weil sie sich im Erfolgsfall auf den Haushalt auswirken würden. Dabei fordern die Antragsteller nur die Rücknahme der von den Landtagen beschlossenen Kürzungen.

Als ermutigendes Zeichen wertete Nierth das Engagement der ostdeutschen Bevölkerung. "552.000 Sachsen für das Sparkassen-Volksbegehren, 387000 Thüringer für mehr direkte Demokratie sowie 147.000 Brandenburger und schon 130.000 Sachsen-Anhaltiner gegen hohe Kita-Gebühren. Das ist ein regelrechter Aufschwung Ost in Sachen direkte Demokratie. In diesen Ländern haben die Volksbegehren lebhafte Diskussionen ausgelöst und das Wissen der Bevölkerung über das jeweilige Thema vertieft." Im Jahr 2001 könnte es damit erstmals in Ostdeutschland zu einer volksinitiierten Abstimmung kommen. Beste Aussichten bestehen derzeit für das Thüringer Begehren.

Nierth forderte die Länder auf, eine zweite Reformwelle für faire Direktdemokratie einzuleiten. "Nach der Wiedervereinigung haben viele Länder die Volksgesetzgebung neu eingeführt oder reformiert. Sie wurde flächendeckend verankert. Ein Jahrzehnt später muß man sagen: Die Volksrechte versprechen zwar die Mitmach-Demokratie, doch sie bringen aufgrund unrealistischer Hürden und viel Bürokratie oft nichts als Enttäuschung." In Ländern wie Bremen und Schleswig-Holstein sei nach dem Scheitern zahlreicher Volksbegehren schon ein "Ernüchterungseffekt" zu beobachten. Andere könnten folgen, wenn die Hürden nicht bald deutlich sinken.

Die Mehrzahl der Länder zähle nach wie vor zur “direktdemokratischen Diaspora". Sie haben bis heute noch kein erfolgreiches Volksbegehren gesehen. Bürgerinitiierte Volksabstimmungen habe es bisher nur in Bayern, Hamburg und Schleswig-Holstein gegeben. Nierth folgerte: "Wir brauchen flächendeckend faire Spielregeln für die direkte Demokratie."

Die Vorstandssprecherin nannte drei Eckpunkte für eine Reform:

1. Zulassung von Initiativen mit finanziellen Folgen. Studien aus den USA
und der Schweiz würden zeigen, daß das Volk verantwortungsbewusst mit Geld umgeht.
2. Absenkung der Unterschriftenzahl für Volksbegehren auf etwa fünf Prozent. Bisher liegen die Quoren zwischen zehn und 20 Prozent. Nur Brandenburg mit vier und Schleswig-Holstein mit fünf Prozent liegen niedriger, ohne daß es dadurch zu einer Inflation von Volksbegehren gekommen wäre.
3. Streichung der Abstimmungsklauseln beim Volksentscheid. Wie bei Wahlen soll hier das Mehrheitsprinzip gelten.

Ausdrücklich begrüßte Nierth die Reformbemühungen in mehreren Bundesländern. So hatte Rheinland-Pfalz im letzten Jahr das Volksbegehrensquorum halbiert. In NRW und Hamburg arbeiten SPD, CDU und Grüne an einer Senkung der Hürden. "Die Richtung stimmt. Immer mehr Politiker sehen ein, daß hier Nachholbedarf besteht." Allerdings gingen die Bürger weitaus beherzter vor: "Die Menschen wollen nicht nur ein paar Korrekturen, sondern praktikable Volksbegehren von A bis Z. Das hat sich zuletzt eindrucksvoll in Thüringen gezeigt." Deutlich werde dieser Gegensatz in Hamburg. Dort wolle das Parlament nur einen Bruchteil der Erleichterungen umsetzen, die drei Viertel der Wähler 1998 in einer Abstimmung gefordert hatten.

Im Hinblick auf die Frage nach bundesweiten Volksentscheiden sprach Nierth von einem "erfolgreichen Jahr". "Die Bundesregierung hat ihr Versprechen erneuert, die direkte Demokratie im Grundgesetz zu verankern. Auch die Union ist in Bewegung gekommen." Die SPD will in Kürze Eckpunkte beschliessen. "Die Sozialdemokraten sollten nicht den Fehler machen, von vornherein Verhinderungs-Hürden festzuschreiben. Hohe Quoren oder das Verbot wichtiger Themen wie die europäische Integration würden den Volksentscheid ins Leere laufen lassen. Ein Placebo-Gesetz wird die Bürger nur frustrieren. Man darf den Blick vor den Erfahrungen der Länder nicht verschliessen."

Mehr Demokratie greift deshalb selbst in die Debatte ein. Mit der Volksinitiative "Menschen für Volksabstimmung" will man in einem Bündnis aus über 60 Verbänden ab dem Frühjahr die Diskussion verstärken “Wir wollen keine Grundgesetzkosmetik. Wir streiten für eine direkte Demokratie, die fair, modern und bürgernah ist."

Den vollständigen Volksbegehrens-Bericht mit einer Übersicht über alle Initiativen (15 Seiten) können Sie im Internet abrufen unter: http://www.mehr-demokratie.de/volksbegehren2000.html

Quelle und Kontaktadresse:
Mehr Demokratie e.V. Bundesverband Pressesprecher Ralph Kampwirth Clüverstr. 29 28832 Achim Telefon: 04202/888774 Telefax: 04202/888902

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