Pressemitteilung | Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed)

Vierter BVMed-Innovationskongress: Modelle zur Qualitätsverbesserung bei gleichzeitiger Kostenersparnis auf dem Vormarsch

(Berlin) - Verbesserungen der Versorgungsqualität der Patienten bei gleichzeitiger Kostenersparnis im Gesundheitssystem sind möglich, wenn Krankenkassen, Kliniken, Ärzte und Unternehmen gemeinsam an Modellen und Netzwerken arbeiten. Das ist die wichtigste Erkenntnis des vierten BVMed-Innovationskongresses zu Konzepten zur Optimierung der Patientenversorgung durch innovative Medizintechnologien am 23. September 2003 in Berlin. Bei den konkreten Modellen ging es u. a. um den medikament-freisetzenden Stent bei koronorarer Herzerkrankung, um Schrittmachertherapien bei Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz, um Homecare-Dienstleistungen oder die Versorgung chronischer Wunden.

BVMed-Geschäftsführer Joachim M. Schmitt schlug zu Beginn des Kongresses vor rund 100 Teilnehmern ein neues Modell für eine innovationsneutrale Finanzierung des medizintechnologischen Fortschritts vor. Eine so genannte „Delta-Finanzierung“ könnte beinhalten, dass die Kosten des „Basisnutzens“ der Innovation in Höhe der Kosten des anerkannten Verfahrens von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden. Die Kosten des „Mehrnutzens“ würden durch Eigenleistung der Patienten bezahlt. Dies sei ein zielführender Lösungsansatz für eine neue Gesundheitswirtschaft mit wettbewerblichen Elementen, ergänzt durch weitere neue Finanzierungsformen, beispielsweise Add-on-Versicherungssysteme.

Die Delta-Finanzierung beinhalte auch eine dynamische Komponente. Sobald die Krankenkasse die Innovation evaluiert und den Mehrnutzen als Stand der Technik anerkannt haben, wird dies zum neuen Basisnutzen. Damit könnte der Prozess von neuem beginnen, um die nächste Innovation zu finanzieren. Als Vorteile nannte der BVMed, dass Innovationen nicht gehemmt würden und eine schnellere und bessere Evaluierung ermöglicht werde. Das Modell erlaube eine degressive Stückkostenentwicklung durch vorzeitige Serienfertigung, so dass diese Stückkosteneffekte geringere Ausgaben der GKV bei positivem Ausgang des Prüfverfahrens bewirkten. Damit seien keine Auswirkungen auf die Ausgaben der GKV gegeben. Zudem habe mit dem Modell jeder Patient freien Zugang zu Innovationen, wenn er es wünscht.

- Modellvorhaben zum Einsatz medikament-freisetzender Stents
Dr. Christoph Straub, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, stellte das bundesweite stationäre Modellvorhaben zur Vermeidung von Koronarstenosen durch den Einsatz von neuen medikament-freisetzenden Stents (Drug-eluting Stent; kurz: DES) vor. Ziel sei es, die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern und festzustellen, ob die kostenintensivere neue Methode auch die Gesamtkosten für Kassen senken kann. Eine erste Modellrechnung zeige, dass der Einsatz der neuen Stent-Generation bei Verschluss von Herzgefäßen bei 1.080 Patienten zu einer Kostenreduktion in Höhe von rund 600.000 Euro führen würde. Das sei bei einer Gesamt-Behandlungshöhe von rund 31 Mio. Euro nicht viel, hinzu trete aber der deutlich erhöhte Patientennutzen. Bei dem bundesweiten Projekt zum DES-Einsatz kooperiere die TK mit ausgewählten Krankenhäusern, die eine Mindestfallzahl von 600 Fällen bei der PTCA (Ballondilatation) im Jahr 2002 hatten. Ziel sei ein flächendeckendes Kliniknetz. Das Modellvorhaben habe im April 2003 begonnen und ende, wenn 1.080 Patienten mit dem DES versorgt seien, spätestens Ende März 2005. Als Ziele des Modellvorhabens bezeichnete Straub: Qualität und Wirtschaftlichkeit verbessern; Segmentierung von Gruppen, für die das Verfahren nutzbringend ist; Überprüfung und Weiterentwicklung der Leitlinien; Wirtschaftlichkeit im Rahmen der Versorgungsforschung.

Das Modellvorhaben aus medizinischer Sicht erläuterte Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck vom Krankenhaus St. Georg der LBK in Hamburg. Koronare Herzerkrankungen seien die Volkskrankheit Nummer eins in Deutschland. Die Ballondilatation (PTCA) mit Stent-Implantation sei „ein großartiges Verfahren, das Patienten täglich Leben rettet“. Das Problem sei der Wiederverschluss des Gefäßes in rund 30 % der Fälle. Herkömmlich erfolge dann eine erneute PTCA, Brachytherapie (Bestrahlung) oder die Bypass-Operation. „Hier gibt es keine Diskussionen, obwohl enorme Kosten für das System entstehen. Dabei können diese Folgekosten verhindert werden“, so Prof. Kuck. Die Lösung sei der medikament-freisetzende Stent, der zu einem dramatischen Rückgang von Zweiteingriffen führe. „DES senken die Restenoserate, senken die Zahl erneuter Katheterprozeduren und Bypass-Operationen und erhöhen die Lebensqualität der Patienten.“ Prof. Kuck weiter: „PTCA ohne DES ist nicht mehr zeitgemäße Medizin. Der medikament-freisetzende Stent muss Standardtherapie sein!“ Im Modellvorhaben geben Klinik und Unternehmen sogar die Garantieleistung an die Kasse, dass keine Kosten für eine zweite Behandlung anfallen.

In Deutschland bestehe momentan die „absurde Situation“, dass die Behandlung mit DES-Stents für 6.000 Euro nicht erstattet werde, jedoch die Bypass-Operation für 12.000 Euro. Prof. Kucks deutliches Fazit: „Oft wird im deutschen System bewusst schlechte Medizin gemacht, obwohl die Ärzte, die am Patienten arbeiten, das nicht wollen.“ Die Praxis in anderen Ländern sehe anders aus: In Amerika werden seit Einführung des CYPHER-Stents praktisch keine anderen Stents mehr eingesetzt. Der Modellversuch soll nun den Vorteil der beschichteten Stents im klinischen Alltag anhand einer standardisierten Vorgehensweise nachweisen. Es sei keine wissenschaftliche Studie, da der Nutzen der neuen Methode bereits nachgewiesen sei. Prof. Kuck regte weitere Modellvorhaben an, beispielsweise für die Defibrillator-Therapie und die Ablation.

- Optimierung der Hilfsmittelversorgung durch Homecare-Dienstleistungen
Die qualitätsorientierte Versorgung chronisch kranker Menschen mit innovativen Medizinprodukten durch Homcare-Unternehmen stellte Norbert Bertram von HSC (Home Supply & Care) vor. Homecare definiert er dabei als die „Versorgung eines Patienten im ambulanten Bereich mit beratungsintensiven medizinischen Produkten und Hilfsmitteln durch medizinisch geschultes Fachpersonal im Rahmen einer ärztlichen Therapie“. Homecare stehe für eine sektorübergreifende Versorgungsform, die nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ arbeitet. Vorteile seien die Verkürzung der Krankenhausliegezeit, die Reduktion von Kosten durch „das richtige Produkt zur richtigen Zeit“, die optimierte Versorgung des Patienten oder das frühzeitige Erkennen einer veränderten Versorgungssituation. Bertram plädierte dafür, insbesondere den Begriff „Qualität“ zu definieren. Benötigt würden festgelegte Versorgungsstandards, Leistungsvergleiche der „Homecare-Anbieter“ sowie Transparenz der Leistung durch Dokumentation. „Wir benötigen ein Schnittstellenmanagement zur Prozessoptimierung, in dem die Krankenkassen als Partner im Versorgungsprozess mitwirken. Dabei ist eine wirtschaftliche Versorgung nicht über den Stückpreis eines Hilfsmittels zu definieren, sondern unter mittel- und langfristiger Betrachtung über die Prozesskosten.“

Holger Schlicht, Leiter des Hilfsmittelmanagements der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), bemängelte, dass im Zentrum des Gesundheitsreformgesetzes der Hilfsmittelpreis stehe. „Eine erfolgreiche Hilfsmittelversorgung wird aber überwiegend durch notwendige Dienstleistungen bestimmt, die vertraglich konkretisiert sind. Ein Vertrag ist mehr als ein Produktpreis.“ Der Vertragspreis sei nur eine Komponente eines erfolgreichen Vertrages der Kasse mit einem Leistungserbringer. Wichtiger seien Qualitätsstandards für die Produkte und Dienstleistungen. Schlichts Appell: „Alle Beteiligten und vor allem die Versicherten werden verlieren, wenn nur der Preis und nicht die Dienstleistung zum alleinigen Entscheidungsfaktor wird.“

- Versorgungsnetzwerke und Kooperationsmodelle bei Herzerkrankungen
Über die Ergebnisse eines Disease-Management-Programmes (DMP) zur Behandlung chronischer Herzerkrankungen berichtete Dr. Felix Rehder von Pro Consilio, einem DMP-Dienstleister. Ziel eines Pilotprojekts mit dem BKK-Landesverband Nord mit über 200 Patienten war es, die Einweisungsrate beim Krankheitsbild Herzinsuffizienz zu verringern, indem die Patienten besser geführt, informiert und motiviert werden. Pro Consilio bietet selbst keine konkurrierenden ärztliche Leistungen an, sondern unterstützt die Patienten im Krankheitsverlauf und beim Selbstmonitoring. Während der Betreuungsphase konnte die Anzahl und Dauer stationärer Behandlungen chronisch herzinsuffizienter Patienten um 90 % gesenkt werden.

Peter Heldt, Geschäftsführer von Guidant, skizzierte ein Kooperationsmodell zwischen Industrie und Kassen bei der Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz. Es gehe dabei um eine spezielle chronische Patientengruppe, die bis ans Lebensende nachbetreut werden müsse. Die drei Therapiebereiche seien: Behandlung von bradykarden Herzrhythmusstörungen durch den Herzschrittmacher (HSM); Behandlung der tachykarden Herzrhythmusstörungen durch einen implantierbaren cardioverten Defibrillator (ICD); Behandlung der Herzinsuffizienz mit zusätzlichen Reizleitungsstörungen durch die cardiale Resynchronisationstherapie (CRT). „In der Gesellschaft weiß man zu wenig über diese Schrittmacher-Therapiebereiche“, so Heldt. Über die Sektorengrenzen hinweg sollte die Versorgung von Patienten durch Kooperation aller Partner zu einer therapiebezogenen und kostensparenden Zusammenarbeit entwickelt werden. Beteiligte seien die Kliniken, niedergelassene Kardiologen und Internisten sowie die Kassen. Peter Heldt: „Eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Beteiligten im Gesundheitswesen, auf Netzwerkebene, bietet die Basis für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Patientenversorgung. Darüber hinaus wird hierdurch eine schnelle Einführung von innovativen Verfahren zum Wohle der Patienten ermöglicht.“

- Pilotprojekt zur Versorgung chronischer Wunden
Ein Pilotprojekt zur integrierten Versorgung chronischer Wunden mit der Barmer Ersatzkasse stellte Uwe Gabler von der Firma ADL vor. Ziel des Projekts sei es, Qualitätsverbesserungen bei gleichzeitiger Kosteneinsparung in der Versorgung chronischer Wunden nachzuweisen. Rund zwei bis vier Millionen Menschen leiden in Deutschland unter schlecht bzw. nicht heilenden Wunden. „Es gibt jedoch in Deutschland keine pflegebezogenen relevanten Daten zur Wundversorgung in der ambulanten und stationären Pflege“, so Gabler. Hier setze das Pilotprojekt an. Die Versorgung der betroffenen Patienten wird von ausgewählten Sanitätshäusern und Pflegediensten übernommen. Sofern der Patient sein Einverständnis zu dieser Versorgungsform erklärt hat, wird durch das Sanitätshaus in Zusammenarbeit mit dem Arzt und dem Pflegedienst ein individueller Behandlungsplan erstellt. Die Pflegedienste übernehmen die jeweils festgelegten Versorgungen und werden durch die am Konzept teilnehmenden Fachhändler begleitet und unterstützt. Im Rahmen dieses Konzeptes werden die gesammelten Daten von der Universität Witten/Herdecke wissenschaftlich ausgewertet, um einen Überblick zu gewinnen, welche Kosten die Patienten mit einer chronischen Wunde verursachen.

Klaus Mehring von der Barmer Ersatzkasse erläuterte, dass es für seine Krankenkasse wichtig sei, besseres Datenmaterial zur Wundversorgung zu erhalten, die Kosten pro Patient für die gesamte Versorgung zu ermitteln und Einsparpotenziale aufzuzeigen. Ziel für die Versicherten sei es, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern, die Wundheilungsprozesse zu verkürzen und die Versorgungsqualität zu steigern. Konzeptpartner ist die Firma ADL, die vertraglich festgeschrieben die Verantwortung für die Datenerhebung, -aufbereitung und -dokumentation trägt. Das Unternehmen übernehme auch die Schulung, Aufklärung und Information der Prozessbeteiligten. Das Problem der niedergelassenen Ärzte sei, dass moderne Wundversorgungsprodukte teurer seien und damit die Gefahr der Überschreitung des Budgets bestehe. Hier müsse gemeinsam Aufklärung betrieben werden, dass mit modernen Wundversorgungskonzepten auch Kosten eingespart werden können.

- Erfahrung mit dem DMP-Programm Brustkrebs
Dr. Astrid Daubel von der AOK Rheinland berichtete über die Erfahrungen mit dem ersten akkreditierten Disease-Management-Programm (DMP) zur Brustkrebs-Behandlung. Die Einführung von DMP sei derzeit mit einem großen bürokratischen Aufwand verbunden. Die Bürokratie werde jedoch in den Hintergrund treten, sobald die Prozesse eingespielt seien. Anforderungen an DMP seien u. a. evidenzbasierte Leitlinien, Qualitätssicherung, Schulungsmaßnahmen sowie Dokumentation und Evaluation. Das DMP Brustkrebs der AOK Rheinland sei im April 2003 akkreditiert worden. Es gebe im Programm eine gute Zusammenarbeit mit der örtlichen Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Über 880 Ärzte in Nordrhein nehmen an dem Programm teil. Dazu rund 25 Kliniken, die zu Brustzentren ernannt werden. Aktuelle Probleme mit dem DMP-Programm seien die formalistische Akkreditierungspolitik durch das Bundesversicherungsamt, der hohe bürokratische Aufwand, die Ausschreibung der Datenstelle und der Qualitätssicherung sowie die Papierdokumentation statt elektronischer Patientenakte. Derzeit sei eine Dokumentation nur auf Papier möglich. Fazit: „DMP Brustkrebs ist ein Entwicklungsprozess mit viel Optimierungspotential.“

Das DMP-Programm aus Kliniksicht beleuchtete Dr. Rudolf Hartwig, Geschäftsführer des Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Krankenhauses in Essen und VKD-Präsidiumsmitglied. DMP-Verträge sollen den koordinierten Behandlungsablauf sichern und eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit fördern. In Nordrhein sei das DMP-Programm ein zweiseitiger Vertrag zwischen Krankassen und der KV. Die Krankenhäuser könnten dem Programm durch einen gesonderten Vertrag mit den Krankenkassen beitreten. Das Krankenhaus dürfe sich dann Brustkrebsschwerpunkt nennen. Die niedergelassenen DMP-Ärzte weisen in den Brustkrebsschwerpunkt ein. Wichtiges Verhandlungsergebnis mit den Kassen sei, dass die DMP-Leistungen nicht der Deckelung unterliegen. Die unmittelbare Therapieplanung und -durchführung findet in der Regel im Krankenhaus statt. Erste Erfahrungen der Krankenhäuser zeigten, dass der Wettbewerbsdruck der Leistungserbringer zunehme, das Problem Brustkrebs nunmehr stärker in der Öffentlichkeit verankert sei, auf die Programmbeteiligten aber ein sehr hoher Dokumentationsaufwand zukomme. Durch das Gesundheitsreformgesetz können ambulante Leistungen im DMP-Rahmen mit Krankenhäusern vereinbart werden. Die Integrationsversorgung werde zudem deutlich erleichtert. Klar sei, so Dr. Hartwig: „DMPs sind praktisch der Einstieg in das Einkaufsmodell.“

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed) Reinhardtstr. 29 b, 10117 Berlin Telefon: 030/2462550, Telefax: 030/24625599

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