Pressemitteilung | BDP e.V. - Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen - BundesgeschÀftsstelle

Viele Familien ĂŒberfordert / Neue Herausforderungen fĂŒr Politik und Gesellschaft, Wissenschaft und psychologische Praxis

(Berlin) - FĂŒr eine verstĂ€rkte UnterstĂŒtzung von Familien jenseits rein finanzieller Förderung hat sich der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) ausgesprochen. In seinem diesjĂ€hrigen Bericht zur Situation von Familien in Deutschland aus familienpsychologischer Sicht verweist der BDP auf eine zunehmende Zahl von Familien, die mit der Erziehung schlicht ĂŒberfordert sind. Der Bericht wird am 9. Juni 2009 im Tagungszentrum der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt.

Psychologen verstehen unter dem Begriff der "Familie" mehr als es unser Rechts- bzw. Steuersystem definiert. Die Psychologie befasst sich unter diesem Etikett auch mit Paaren ohne Kinder, mit "Regenbogen-" und "Patch-Work-Familien" sowie mit der Mehrgenerationen-Familie. Dieses Spektrum spiegelt der Bericht wider.

Die Überforderung gelte nicht nur fĂŒr die inzwischen auf ĂŒber 7,1 Millionen angewachsene Zahl alleinerziehender MĂŒtter und 6,1 Millionen alleinerziehender VĂ€ter. Eine zusĂ€tzliche Herausforderung entstehe durch die wachsende Zahl von Familien mit Migrationshintergrund (immerhin 2,3 Millionen) und das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Traditionen und Konzepte in der Erziehung. Besonders deutlich werde dies in StĂ€dten wie Berlin, wo bereits jeder vierte Einwohner und 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Migrationshintergrund haben. Überfordert sei - wie die jĂ€hrliche Zahl der geschiedenen Ehen von rd. 191.000 beweist - aber auch eine wachsende Zahl von Paaren.

Familien sehen sich in der Situation, beweisen zu mĂŒssen, dass sie funktionieren, gesellschaftlichen Anforderungen genĂŒgen, aber auch den Anforderungen, die sie an sich selbst richten, so der Psychologenverband. Letztere betreffen Bildung und Erziehung ihrer Kinder, den eigenen beruflichen Erfolg oder auch nur das eigene Überleben in Krisenzeiten. Hinzu kommen fĂŒr viele Familien Belastungen durch die Pflege Ă€lterer Angehöriger. Immer mehr Ă€ltere Familienangehörigen werden durch immer weniger erwachsene Kinder gepflegt - zur Zeit 70 Prozent der PflegebedĂŒrftigen in Deutschland; das sind 1.435 415. Wo sich frĂŒher drei Geschwister die Sorge um alternde Eltern teilten, lastet diese Aufgabe heute oft auf einer Person.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist durch die Flexibilisierung der Arbeitswelt aus Sicht des BDP nur scheinbar leichter geworden. FlexibilitĂ€t heißt in der Praxis oft: stĂ€ndige Erreichbarkeit und VerfĂŒgbarkeit, Arbeit nicht am Wohnort, sondern weit entfernt von diesem, so dass Familienleben nicht mehr wie frĂŒher in einer definierten Freizeit nach Arbeitsschluss stattfindet oder dafĂŒr sogar nur noch das Wochenende zur VerfĂŒgung steht.

WĂ€hrend es in der Vergangenheit immer mal wieder vor allem bei kirchlichen TrĂ€gern Anregungen auf Vorbereitungskurse fĂŒr die Elternschaft und die GrĂŒndung einer ehelichen Beziehung gab, kritisiert der BDP, gibt es heutzutage eine FĂŒlle von Ratgeberliteratur und Ratgeber-Formaten im Fernsehen, die eher seltener zu gelenkten Dialogen und GesprĂ€chen mit Gleichgesinnten im Sinne einer prĂ€ventiven Zielsetzung fĂŒhren. Eine Sendung wie die von RTL "Erwachsen auf Probe" sei ein absolut ungeeigneter Versuch, die Eignung fĂŒr eine Elternschaft zu klĂ€ren, zugleich aber ein Indiz fĂŒr die verbreitete Hilflosigkeit.

28.200 Kinder und Jugendliche wurden 2007 von JugendĂ€mtern in Obhut genommen, davon 44 Prozent wegen Überforderung der Eltern und weitere 24 Prozent wegen Beziehungsproblemen. "So weit muss es nicht kommen. Statt mit dem Finger auf solche Familien zu zeigen, sie auszugrenzen, in die Isolation zu treiben, sollten Menschen ermuntert werden, Defizite einzugestehen und sich professionelle Hilfe zu holen," erklĂ€rt BrĂŒcher-Albers.

Wenn Familien scheitern, dann sei das zunĂ€chst eine private Tragödie. Die Folgen jedoch habe mittel- und langfristig die Gesellschaft zu tragen. Sie Ă€ußerten sich nicht selten in einer Kette von Misserfolgen - in der Bildung, im Beruf und in der nĂ€chsten Familiengeneration und stellten einen erheblichen Kostenfaktor dar. Umgekehrt erfasse kein Börsenbarometer, wie viel "Rendite" jede gerettete Ehe, jedes nicht vernachlĂ€ssigte oder misshandelte Kind bringt, jedes Kind, das durch Bildung eines Tages beruflich auf eigenen FĂŒĂŸen stehen kann.

Der BDP fordert dazu auf, sich den verĂ€nderten Familienformen, ihrer gewachsenen Vielfalt in Forschung und Praxis zu stellen. Familienpsychologie friste ein stiefmĂŒtterliches Dasein an deutschen UniversitĂ€ten. Die Praxis von Psychologen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie Paartherapeuten zeige deutlich, dass neue Formen des Zusammenlebens - z.B. in Patchwork- und Regenbogenfamilien - neue Probleme und Fragen aufwerfen, die es zu untersuchen und zu beantworten gilt.

"Wollen wir kapitulieren vor Scheidungsraten, Missbrauch, Misshandlung, oder wollen wir etwas tun? Wollen wir sinnlose Appelle an die ohnehin Überforderten richten oder in der Gesellschaft ein Umdenken fördern, das Menschen leichter und vor allem rechtzeitig Unsicherheit eingestehen lĂ€sst?" Der BDP will Letzteres und mit seinem diesjĂ€hrigen Bericht den gesellschaftlichen Diskurs ĂŒber den Umgang mit Familien und innerhalb von Familien anregen.

An dem Band haben Wissenschafter und Praktiker aus dem Bereich Familienpsychologie, u.a. der Ludwig-Maximilians-UniversitĂ€t MĂŒnchen, der Helmut-Schmidt-UniversitĂ€t Hamburg sowie der UniversitĂ€ten Bamberg, Vechta und Witten/Herdecke, der PĂ€dagogischen Hochschule Ludwigsburg sowie des MĂŒnchner Staatsinstituts fĂŒr FrĂŒhpĂ€dagogik mitgearbeitet.

Quelle und Kontaktadresse:
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP), BundesgeschÀftsstelle Christa Schaffmann, Pressesprecherin Am Köllnischen Park 2, 10179 Berlin Telefon: (030) 209166600, Telefax: (030) 209166680

(mk)

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