Pressemitteilung | Verband Bildung und Erziehung e.V. (VBE)

VBE positioniert sich im Kopftuchstreit: Das Kopftuch im Unterricht – keine Frage der Toleranz!

(Berlin) - Im Streit um das Kopftuch im Unterricht an staatlichen Schulen hat sich der Verband Bildung und Erziehung (VBE) positioniert. Der Bundeshauptvorstand des Verbands Bildung und Erziehung verabschiedete am 29. November 2003 in Fulda dazu die folgende Resolution: Das Kopftuch im Unterricht – keine Frage der Toleranz!

Zur Situation

Der Streit in der deutschen Schulpolitik um das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin im Unterricht spaltet Lehrer und Eltern, Politiker und Juristen. Es ist eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, die die rechtlichen und kulturellen Grundpositionen unserer Gesellschaft berührt. Es geht um Meinungsfreiheit und Religionsausübung, um Toleranz und soziale Integration, um pädagogische Beeinflussung Abhängiger und die säkulare Neutralitätspflicht der in einer rechtsstaatlichen Republik Erziehenden und Bildenden. Die Schule ist wieder einmal zum Feld einer grundlegenden Gesellschaftsdebatte geworden.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, das Tragen eines Kopftuches für Lehrerinnen als Ausdruck ihres islamischen Glaubens von der Gesetzeslage in den Ländern abhängig zu machen, ist aus juristischer Sicht und vor dem Hintergrund des schulpolitischen Föderalismus nachvollziehbar. Diese Entscheidung hilft allerdings in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung nicht weiter. Sie führt vielmehr zu einer (auch parteipolitisch motivierten) Polarisierung der schulpolitischen Reaktionen und birgt die Gefahr eines „Religionskampfes“. Dieser kann weder von einem säkularen Staat, der sich ideell und kulturell auf die Anerkennung der Allgemeinen Menschenrechte gründet, noch in einer demokratischen Schule geduldet werden. Eine klare Wertentscheidung ist deshalb unerlässlich.

Der VBE stellt fest:

In Deutschland herrscht Religionsfreiheit (Art. 4 II GG). Bürgerinnen und Bürger dieser Gesellschaft - und dies gilt selbstverständlich auch für Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund - haben das von der Verfassung verbriefte Recht zur Ausübung ihrer Religion.

Das Recht der Religionsausübung Einzelner oder von Gruppen kann nur eingeschränkt werden, wo es gegen Verfassungsgrundsätze und andere durch das Grundgesetz geschützte Rechte verstößt. Somit ist Religionsfreiheit kein absolutes Recht, und Toleranz gegenüber religiösen Praktiken kein absolutes Gebot. Insoweit enthalten unsere Grundrechte eine immanente Wertigkeit, die auch Teil der sozialen bzw. politischen Praxis unserer Gesellschaft und damit auch der schulischen Werteerziehung ist.

Die staatliche Schule ist, obwohl in den Ländern gemeinhin als christliche Gemeinschaftsschule ausgewiesen, der religiösen Neutralität verpflichtet. Das gilt insbesondere auch für die Beschäftigten, die als Beamtinnen und Beamte, aber auch als Angestellte in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat im Sinne seiner grundlegenden Prinzipien stehen.

So war seinerzeit die Ausstattung der Lehrerinnen und Lehrer mit dem Beamtenstatus (als ein wesentliches Ziel der demokratischen Lehrerbewegung um 1848) nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen Absicherung bzw. Unabhängigkeit, sondern auch der Eingliederung in den säkularen Rahmen des aufgeklärten Staates (als Trennung von Staat und Kirche).

Lehrerinnen und Lehrer unterliegen somit in Ausübung ihres Amtes dem Gebot religiöser Neutralität. Lediglich der Religionsunterricht bietet anerkannten Religionsgemeinschaften das (grundgesetzlich verankerte) Recht, Einfluss auf die Unterrichtsinhalte zu nehmen und unterrichtende Personen zur Verfügung zu stellen.

Das religiös motivierte Tragen des Kopftuches im allgemeinen Unterricht ist nicht Ausdruck modischen Verhaltens (oder des Körperschutzes), sondern aktive Ausübung religiöser Überzeugung. Es weist Frauen eine geschlechtlich und sozial differente Rolle zu, die im Gegensatz zum Gleichheitsgrundsatz der universell gültigen Allgemeinen Menschenrechte stehen. Auch innerhalb der EU wird gegen das Gebot der Chancengleichheit verstoßen. Dies ist unabhängig davon zu sehen, welche religiöse Bedeutung das Kopftuch innerhalb des Islam hat oder ob es – weil insbesondere von traditionellen bzw. traditionalistischen Gruppen propagiert - geradezu als Ausdruck religiöser Intoleranz oder gar Frauenfeindlichkeit zu gelten hat. Bemerkenswert ist es in diesem Rahmen außerdem, dass sich gerade junge muslimische Frauen unter den Schülerinnen, die sich nicht dem islamischen Traditionalismus zugehörig fühlen, vor besondere Herausforderungen ihrer Identität gestellt sehen. Bleibt festzuhalten: Das Kopftuch ist damit nicht Kopfbedeckung, sondern ein bewusst vorgetragenes Zeichen von Religionszugehörigkeit und Religionsausübung.

Eine besondere pädagogische und schulpolitische Problematik ist darin zu sehen, dass im Rahmen von Schule und Unterricht mit der offensiven Darstellung eines religiösen Symbols aus dem Islam die Werte-Entwicklung der Schülerinnen und Schüler bewusst beeinflusst wird. Diese Problematik verschärft sich noch durch die Bedeutung des Kopftuches der Frauen im Islam als eines besonders traditionellen Symbols religiöser Haltung mit politischer Intention, die der sozialen Integration skeptisch gegenübersteht. Dem gegenüber Toleranz zu zeigen, hieße Intoleranz zu fördern. Dieser „Kulturfalle“ ist nur mit einer klaren Wertentscheidung im Sinne des Neutralitätsgebots zu begegnen.

Im übrigen ist daran zu erinnern, dass bereits heute im Alltag von Schule und Unterricht erhebliche Schwierigkeiten durch unangemessenes bzw. unduldsames (und das heißt: intolerantes) Eintreten für radikal-religiöse Überzeugungen z. B. durch Eltern entstehen, wie sie u.a. durch traditionelle muslimische Gruppen propagiert werden. Diese Überzeugungen sind in Anspruch und Wirklichkeit weder mit dem sozialen Integrationsauftrag der öffentlichen Schulen in einer demokratischen Gesellschaft noch mit einem minimalem Wertekonsens in einer wertepluralen Gesellschaft vereinbar.

Der VBE erinnert daran:

In staatlichen Schulen müssen Lehrkräfte sich außerhalb des ausgewiesenen Religionsunterrichts ihrer weltanschaulichen Neutralität bewusst sein. Diese Neutralitätspflicht ist Grundlage für die Entwicklung einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Gesellschaft.


Der Staat muss als Ausdruck der gesellschaftlichen Grundwerte und des politischen Willens über die Einhaltung dieser Neutralitätspflicht wachen.

Der VBE fordert:

Das Kopftuch der Frauen als bewusster Ausdruck der religiösen Zugehörigkeit zum traditionellen Islam im allgemeinen Unterricht staatlicher Schulen widerspricht der Neutralitätspflicht der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland. Das religiös und/oder politisch motivierte Tragen des Kopftuches ist deshalb mit der Ausübung des Lehrerberufs an staatlichen Schulen unvereinbar.

Die Bildungs- und Kultusminister/innen der Länder werden aufgefordert, auf der Basis der demokratischen und republikanischen Tradition unserer Gesellschaft für die weltanschauliche Neutralität der Schulen einzutreten und diese weltanschauliche Offenheit auch gegenüber traditionalistischen religiösen Strömungen, wie sie durch die Kopftuch-Befürworter im Islam bezeugt werden, offensiv zu vertreten. Das Recht auf Mündigkeit unserer Kinder und Jugendlichen ist höher zu bewerten als das Recht einer einzelnen Person auf freie Ausübung ihrer Religion!

Quelle und Kontaktadresse:
Verband Bildung und Erziehung e.V. (VBE) Behrenstr. 23-24, 10117 Berlin Telefon: 030/72619660, Telefax: 030/726196618

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