Türkei: Ein Jahr unbestrafte Polizeibrutalität / Ein Jahr nach der gewaltsamen Räumung des Taksimplatzes dokumentiert Amnesty die einseitige Strafverfolgung und kritisiert das anhaltend brutale Vorgehen gegen Demonstrationen
(Berlin/Istanbul) - Auch ein Jahr nach den Auseinandersetzungen um den Gezi-Park in Istanbul geht die Polizei mit unverminderter Härte gegen Protestierende vor und verhindert friedliche Demonstrationen. "Auch in den vergangenen Tagen wurden mehrere Demonstrationen zum Jahrestag der Gezi-Park-Proteste in verschiedenen Städten verboten oder gewaltsam mit Tränengas und Schlagstöcken aufgelöst", sagt Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.
In einem heute in Istanbul vorgestellten Bericht dokumentiert Amnesty die Polizeigewalt gegen die Proteste vor einem Jahr und die weitgehende Straflosigkeit für die beteiligten Polizisten. "Die einseitige juristische Aufarbeitung der Gezi-Park-Proteste ist erschütternd", sagt Çalışkan. "In der Türkei stehen wegen der Proteste vor einem Jahr mehr als 5.500 Personen vor Gericht. Es wurden aber nur in neun Polizisten angeklagt, obwohl 8.000 Personen während der Gezi-Park-Proteste verletzt wurden und vier Menschen als direkte Folge des brutalen Vorgehens der Polizei gestorben sind."
"Zwei Fälle machen den Skandal deutlich: Die Polizisten, die den Busfahrer Hakan Yaman verprügelt und ihn in ein Feuer geworfen haben, werden nicht verfolgt. Dagegen drohen fünf Mitgliedern des Organisationsbündnisses 'Taksim Solidarität' bis zu 15 Jahre Haft, obwohl es keine Hinweise gibt, dass sie zur Gewalt aufgerufen oder selbst Gewalt ausgeübt haben", so Çalışkan. Amnesty kritisiert darüber hinaus, dass gegen Mitglieder der Ärztekammer, Ärztinnen und andere Bedienstete des Öffentlichen Dienstes Disziplinarstrafen verhängt wurden, weil sie die Protestierenden angeblich unterstützt haben. Vor Gericht stehen auch Nutzer sozialer Medien, weil sie Informationen über die Proteste veröffentlicht haben.
"Die Regierung Erdoğan sollte endlich friedlich Protestierende vor Gewalt der Polizei schützen und die Meinungsfreiheit garantieren. Stattdessen versucht sie, den Zugang zu sozialen Medien zu verbieten, und hat Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die medizinische Nothilfe während Demonstrationen kriminalisieren", stellt Çalışkan fest. "Trotz dieser erschreckenden Bilanz: Positiv ist, dass der Kampf um einen kleinen Park zu einer Bewegung geführt hat, die laut und deutlich von der türkischen Regierung Meinungs- und Versammlungsfreiheit einfordert."
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