Pressemitteilung | SÜDWIND e.V. – Institut für Ökonomie und Ökumene

SÜDWIND-Studie zeigt Menschenrechtsverstösse auf

(Bonn) - In seiner neuen Studie belegt das SÜDWIND-Institut inakzeptable Probleme in türkischen Kleinbetrieben des Ledersektors. Im Sommer 2021 wurden Arbeiter*innen und Arbeitgeber*innen befragt, die in der Türkei Leder, Schuhe, Gürtel oder Taschen herstellen. Auch Expert*innen sowie Eltern von Kindern, die im Sektor arbeiten, kamen bei der Erhebung zu Wort. Die türkische Organisation Support to Life unterstützte die Durchführung der Studie, die von der Expertin Sinem Sefa Akay mit finanzieller Unterstützung der Heinrich Böll Stiftung Türkei im Auftrag des SÜDWIND-Instituts durchgeführt wurde.


Die Ergebnisse: Der Lohn der Arbeiter*innen reicht kaum zum Überleben. Viele der Arbeitenden sind derzeit Geflüchtete aus Syrien. Ihre finanzielle Situation ist so prekär, dass sie bereit sind, auch für ein ungenügendes Gehalt und zu miserablen Bedingungen zu arbeiten. Fast keine*r der Befragten hat einen Arbeitsvertrag. Die Arbeitszeit beträgt für Erwachsene oft zehn Stunden täglich mit nur einer Pause.

Es gibt kaum Sicherheitsvorkehrungen, obwohl die Menschen mit Maschinen, Chemikalien und stinkendem Kleber arbeiten. Die Arbeitsplätze sind oft laut; es gibt keine Heizungs- oder Lüftungssysteme. Schutzausrüstung und Trainings zu sicherem Arbeiten fehlen. Auch gewerkschaftliche Organisation gibt es in diesem informellen Sektor kaum. Den meisten Befragten sind wichtige Normen und internationale Arbeitsrechte unbekannt, z.B. in Bezug auf Überstunden, Feiertage und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Einige syrische, wie türkische Eltern berichten, dass ihre Kinder arbeiten, um etwas zum Haushaltseinkommen beizutragen.

Die Studie zeigt auch, dass allein an die unmittelbaren Arbeitgeber*innen in der Türkei gerichtete Forderungen zu kurz greifen. Diese verdienen mit ihrer Arbeit kaum mehr als das, was sie als Gehalt auszahlen und arbeiten oft Seite an Seite mit ihren Angestellten. Für alle Beteiligten ist die Situation belastend. Gleichzeitig sind die Missstände so weit verbreitet, dass sie bei den Betroffenen als normal gelten.

"Das darf nicht so bleiben", erklärt Dr. Jiska Gojowczyk, Co-Autorin des Berichts. "Wir gehen zwar davon aus, dass die Situation in vielen großen Betrieben in der Türkei besser ist, aber wir können nicht ausschließen, dass diese Betriebe Aufträge an die kleinen vergeben. Aber wir brauchen auch Perspektiven für die Beschäftigten des informellen Sektors. Nicht die Informalität, sondern menschenrechtliche Sorgfalt muss im Ledersektor Standard werden."

Klar ist, so Gojowczyk, dass auch Unternehmen des Sektors in Deutschland in der Verantwortung sind: "Deutschland ist eines der wichtigsten Abnahmeländer türkischer Leder- und Lederwarenexporte. Unternehmen in Deutschland müssen folglich ihre Lieferketten auf menschenrechtliche Risiken prüfen. Und sie müssen Geschäftsbeziehungen und Preispolitiken verfolgen, die zu nachhaltiger Entwicklung beitragen."

Das SÜDWIND-Institut stellt außerdem Forderungen an die aktuell verhandelnden Parteispitzen in der Bundespolitik: Der neue Koalitionsvertrag muss beinhalten, dass menschenrechtliche Sorgfalt auch für kleine Unternehmen am Anfang ihrer Wertschöpfungsketten verpflichtend wird. Dies gilt insbesondere für Risikobranchen wie den Ledersektor. Wir erwarten einen Koalitionsvertrag, der großes Engagement der Regierung für strenge Regeln in der Europäischen Union und in den Vereinten Nationen vorsieht.

Quelle und Kontaktadresse:
SÜDWIND e.V. - Institut für Ökonomie und Ökumene Dr. Jiska Gojowczyk, Wissenschaftliche Mitarbeiterin/Pressestelle Kaiserstr. 201, 53113 Bonn Telefon: (0228-76369) , Fax: ()

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