Pressemitteilung | Verband Bildung und Erziehung e.V. (VBE)

Studie IQB-Bildungstrend: Die Rahmenbedingungen für Bildung in Deutschland müssen sich jetzt grundlegend ändern

(Berlin) - Die neueste von der Kultusministerkonferenz (KMK) beauftragte Studie "IQB-Bildungstrend 2021" erhebt die Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe. Veröffentlicht am 17. Oktober 2022 ist es der dritte Ländervergleich der IQB und die Ergebnisse, sind nur als katastrophal zu bezeichnen. Die Kompetenzen der Viertklässlerinnen und Viertklässler in den Bereichen Lesen, Zuhören sowie Orthografie und Mathematik nehmen kontinuierlich ab. Zunehmend mehr Schülerinnen und Schüler erreichen die Mindeststandards nicht und die soziale Schere klafft immer weiter auseinander: Gerade die Schwächsten und Förderbedürftigsten werden immer mehr abgehängt. Was dabei aber nicht vergessen werden darf: Die Probleme beginnen nicht erst in der Schule, denn schon im April dieses Jahres zeigte die DKLK-Studie (Deutscher Kitaleitungskongress) dass schon in der frühkindlichen Bildung Personalmangel und Überlastung ein gefährliches Ausmaß erreicht haben. Erste Bildungsdefizite bringen die Kinder so schon mit in die erste Klasse.

Im Fach Deutsch verfehlen laut IQB-Studie in den Kompetenzbereichen Lesen, Zuhören und Orthografie deutschlandweit zwischen 18 und 30 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler die Mindeststandards. In Mathematik sind es rund 22 Prozent. Auf der anderen Seite erreichen nur zwischen 44 und 59 Prozent der Kinder die Regelstandards in den unterschiedlichen Kompetenzbereichen. Und diese Zahlen verschlechtern sich in allen Bundesländern kontinuierlich seit 2016.

Immer mehr Kinder scheitern an den Mindeststandards

Bundesweit fällt der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die im Jahr 2021 den Regelstandard erreichen, in allen untersuchten Fächern und Kompetenzbereichen signifikant geringer aus als im Jahr 2016: beim Lesen um 8 Prozent, beim Zuhören und in Orthografie um 10 Prozent, in Mathematik um 7 Prozent.

Wer aber denkt, die Probleme lägen hier nur in den Schulen, der täuscht sich! Die diesjährige DKLK-Studie hat besonders deutlich gemacht, wo und wie schon in der frühkindlichen Bildung die Defizite entstehen. "Wenn nicht mal ein Drittel der Kitas den geforderten Betreuungsschlüssel erreicht - beispielsweise bei den unter Dreijährigen - oder wenn die Fachkräfte bei den über Dreijährigen oft 12 Kinder oder mehr betreuen müssen, dann brauchen wir über individuelle Förderung nicht zu sprechen. Und dann brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn es in 90 Prozent der Kitas zu Fehlzeiten bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommt, die überlastet sind. Hier braucht es eine bundesweit abgestimmte Fachkräfteoffensive, ergänzt um regional angepasste Maßnahmen. Und es braucht nachhaltige Investitionen in eine wahrnehmbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen", so Simone Fleischmann, stellvertretende Bundesvorsitzende des VBE (Verband Bildung und Erziehung) und Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands BLLV.

Studie bekräftigt, was die Lehrkräfte längst wissen und fordern

Ungleichheiten in Abhängigkeit von sozialem und zuwanderungsbezogenem Hintergrund haben sich ebenfalls weiter verstärkt. Mit dem sozioökonomischen Status verbundene Disparitäten sind im Jahr 2021 stärker ausgeprägt als in allen früheren Erhebungen zum Erreichen der Bildungsstandards im Primarbereich. Hier werden gerade die Schwächsten abgehängt, also die, die am meisten Förderung und Unterstützung benötigen.

"Wir Lehrerinnen und Lehrer wissen das natürlich. Wir wissen ganz genau, wo unsere Schülerinnen und Schüler stehen. Dazu brauchen wir natürlich eigentlich keine groß angelegten Studien. Aber es tut ja auch gut zu sehen, dass wir richtig liegen und belegen zu können, wo wir heute an den Schulen stehen. Und diese validen Zahlen sind wichtig, um politische Forderungen abzuleiten und zu untermauern! Wenn unsere Forderungen nach Inklusion, nach multiprofessionellen Teams, nach individueller Förderung, nach professionellen Lehrerinnen und Lehrern aber ins Leere laufen, weil eben hinten und vorne Personal fehlt, dann nützt natürlich alles nichts. Wenn Profis wie Schulpsycholog:innen und Beratungslehrkräfte da sind, aber wegen des Personalmangels die Klassenleitung übernehmen müssen, statt ihre spezifischen Kompetenzen einzubringen, dann sind wir machtlos", so Simone Fleischmann weiter.

Lehrkräftemangel muss jetzt angegangen werden

Es ist eine enorme Integrationsaufgabe, die jetzt zu leisten ist, nicht zuletzt, um die Auswirkungen der Coronapandemie und der dadurch bedingten Schulschließungen zu bewältigen. Die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen haben die Professionalität, den Willen und die Leidenschaft, das zu leisten. Allerdings stehen wir gerade vor einem enormen Lehrkräftemangel. Laut einer Prognose, die der Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm im Auftrag des VBE aufstellte, werden 2035 knapp 160.000 Lehrkräfte fehlen, wenn man die Bedarfe einberechnet, die zur Umsetzung der bereits beschlossenen pädagogischen Reformmaßnahmen Ganztag, Inklusion und die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern in herausfordernden sozialen Lagen mindestens nötig sind. Welche Zerreißprobe der Personalmangel bereits jetzt für Lehrkräfte darstellt, beschreibt Simone Fleischmann: "Wir sehen die Herausforderungen und die Not der Kinder und stehen oft hilflos davor, weil es hinten und vorne nicht reicht". Statt die Schulen, die Kinder und die Lehrkräfte zu stärken und besser auszustatten, wächst der Druck auf Lehrerinnen und Lehrer in der Gesellschaft und in der Politik. Es werden Forderungen nach Mehrarbeit laut, womit die Verantwortung auf die Teilzeitbeschäftigten abgewälzt wird. Das lenkt nicht nur von den Herausforderungen ab, sondern auch von den Lösungen.

Individuelle Förderung und Unterstützung mit ausreichenden Ressourcen ist angesichts der jetzt vorgelegten Zahlen der einzige Weg, um zu vermeiden, dass ganz vielen Kindern ihre Zukunft verbaut wird. Um diese Aufgabe zu meistern, brauchen insbesondere Grundschulen und Mittelschulen aber zwingend deutlich mehr Lehrkräfte.

Im Bereich Besoldungsgerechtigkeit und flexible Lehrkräftebildung kommt - auch aufgrund der aktuellen Situation - jetzt Bewegung in die Diskussion und die Politik scheint sich langsam in die richtige Richtung zu bewegen. "Aber es liegt noch viel Arbeit vor uns, bis attraktive Arbeitsbedingungen, Besoldungsgerechtigkeit für alle Lehrerinnen, Lehrer und Schularten und eine flexible Lehrkräftebildung wirklich umgesetzt sind. Diese Schritte müssen aber genau deswegen jetzt gegangen werden!", fasst Simone Fleischmann, stellvertretende Bundesvorsitzende des VBE, Arbeitsbereich Schul- und Bildungspolitik, die Situation zusammen.

Quelle und Kontaktadresse:
Verband Bildung und Erziehung e.V. (VBE) Johannes Glander, Pressereferent Behrenstr. 24, 10117 Berlin Telefon: (030) 7261966-0, Fax: (030) 7261966-19

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