Studie: BAföG-Bedarfssätze zu niedrig
(Berlin) - Deutsches Studentenwerk (DSW) hat Lebenshaltungskosten von Studierenden und Höhe der BAföG-Bedarfssätze verglichen
- Neue Studie "Ermittlung der Lebenshaltungskosten von Studierenden" des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) im Auftrag des DSW
- Konsequenz: BAföG-Grundbedarf erhöhen, Wohnpauschale erhöhen, höheren Kranken- und Pflegeversicherungszuschlag für Studierende ab 30 einführen
- DSW-Präsident Dieter Timmermann: "Die Politik muss handeln"
Die von der Bundespolitik festgelegten Bedarfssätze beim Studierenden-BAföG sind zu niedrig und müssen nun rasch erhöht werden. Zum ersten Mal seit 1990 liegt dafür wieder eine empirische Basis vor. Das teilt das Deutsche Studentenwerk (DSW) mit, der Verband der 58 Studentenwerke in Deutschland, die im Auftrag von Bund und Ländern das Studierenden-BAföG umsetzen.
Von 1971 bis 1990 hatte das Deutsche Studentenwerk gemeinsam mit dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge einen studentischen Warenkorb entwickelt. Nun liegt eine neue Studie vor.
Ein Autorenteam vom Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS), Berlin, unter der Leitung von Dr. Dieter Dohmen hat im Auftrag des Deutschen Studentenwerks die Lebenshaltungskosten der Studierenden ermittelt.
Das wichtigste Ergebnis der Studie: Die BAföG-Bedarfssätze für Studierende sind zu niedrig. Sie decken die tatsächlichen Kosten der Studierenden nur in begrenztem Umfang, und das selbst dann, wenn entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nur die Ausgaben die 15 Prozent der Studierenden am unteren Einkommensspektrum für die Analyse herangezogen werden.
Die ermittelte Unterdeckung liegt beim BAföG-Grundbedarf zwischen 70 und 75 Euro monatlich. Ebenso wenig reichen die Pauschalen fürs Wohnen selbst bei den unteren 15 Prozent der Studierenden kaum zur Deckung der tatsächlichen Mietkosten aus, und zwar gleichermaßen für Elternwohner/-innen wie für Studierende, die außerhalb des Elternhauses wohnen.
Eine Förderlücke sehen die FiBS-Autor/innen auch bei den BAföG-Zuschlägen für die Kranken- und Pflegeversicherung, vor allem für über 30-jährige Studierende. Denn die BAföG-Zuschläge orientieren sich ausschließlich an der studentischen Krankenversicherung - 86 Euro monatlich für Studierende, die älter als 25 Jahre sind -, jedoch nicht an den viel höheren Krankenversicherungsbeiträgen für über 30-jährige Studierende. Sie müssen mehr als 150 Euro im Monat für die Krankenversicherung aufwenden.
Die FiBS-Wissenschaftler/innen orientieren sich am Sozialgesetzbuch II, Grundsicherung für Arbeitssuchende, und am Sozialgesetzbuch XII, Sozialhilfe. Als Datengrundlage für die neue Studie dienen die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahr 2012, die amtliche Einkommens- und Verbrauchsstatistik (EVS) des Statistischen Bundesamtes 2013 sowie das Sozioökonomische Panel (SOEP). Die jüngste BAföG-Erhöhung zum Wintersemester 2016/2017 konnte ebenso wenig berücksichtigt werden wie die noch nicht veröffentlichten Ergebnisse der 21. Sozialerhebung, die im Sommer 2016 durchgeführt wurde. Zum Wintersemester 2016/2017 sind beim BAföG der Grundbedarf sowie die Wohnpauschale um je 26 Euro angehoben worden, letztere für Studierende, die bei ihren Eltern wohnen, um 3 Euro.
Prof. Dr. Dieter Timmermann, der Präsident des Deutschen Studentenwerks, erklärt:
"Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bei der Bedarfsermittlung der Sozialleistungen im Sozialgesetzbuch II vorgegeben, den Bedarf empirisch zu ermitteln und dazu alle existenznotwendigen Aufwendungen transparent, sach- und realitätsgerecht auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen. Dies gilt auch für die BAföG-Bedarfssätze.
Wir legen für deren Berechnung eine Grundlage vor, die die bisherigen politisch-normativen Setzungen ersetzen sollte. Eine neue Bundesregierung muss nun den studentischen Bedarf auf der Grundlage aktueller Daten, zum Beispiel eben die EVS oder die 21. Sozialerhebung, festsetzen und umgehend eine BAföG-Erhöhung auf den Weg bringen, die die heute aufgezeigten Förderlücken schließt.
Wir stehen mit unserer Kritik an normativ-politischen Bedarfssetzungen nicht alleine. Sowohl der Paritätische Wohlfahrtsverband als auch die Diakonie fordern in vergleichbaren Berechnungen für den Sozialleistungsbedarf eine Erhöhung des Regelsatzes für Erwachsene von derzeit 409 Euro auf 520 beziehungsweise 560,23 Euro. Im Übrigen zeigt die Bundesregierung aktuell selbst die Unterdeckung für Erwachsene auf: Im Vergleich der Bedarfe von SGB II, BAföG, Düsseldorfer Tabelle und Existenzminimumbericht der Bundesregierung müssten der Grundbedarf von derzeit 399 Euro um bis zu 36 Euro und der Wohnbedarf von derzeit 250 Euro um bis zu 76 Euro steigen. Und das BAföG muss der Lebenswirklichkeit einer immer heterogeneren Studierendenschaft gerecht werden."
DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde zu den Ergebnissen der Studie:
"Die Studie zeigt zum einen, dass die Ausgaben von einkommensschwachen Studierenden deutlich unterhalb des BAföG und ALGII-Satzes liegen. Hier kann man von verdeckter Armut sprechen. Wir fragen uns, ob diese Studierenden keinen BAföG-Anspruch haben oder - unter anderem aufgrund des Darlehensanteils - auf die Inanspruchnahme von BAföG verzichten. Im letzteren Fall können wir Studierenden zur Verbesserung ihrer finanziellen Situation nur dringend empfehlen, BAföG-Anträge zu stellen, zumal erst fünf Jahre nach Förderende maximal nur 10.000 Euro in kleinen Raten zurückzuzahlen sind.
Zum anderen verdeutlicht die Studie die Notwendigkeit der mittelbaren Förderung von Studierenden - zusätzlich zur Individualförderung des BAföG: Die BAföG-Wohnpauschale deckt allenfalls die Mietkosten der Wohnheimbewohner/-innen. Wer höhere Mietkosten hat, spart nach der Studie an Ausgaben für das Essen. Damit wird unsere seit langem erhobene Forderung nach einem flankierenden Hochschulsozialpakt wieder einmal bestätigt: Bund und Länder müssen dringend in Ausbau und Sanierung von Wohnheimen investieren, um die Wohnkosten für Studierende zu senken bzw. auf bezahlbarem Niveau zu halten."
Für die neue FiBS-Studie im Auftrag des DSW wurden die 15 Prozent der Studierenden am unteren Einkommensspektrum in die Untersuchung einbezogen - nicht jedoch die BAföG-beziehenden Studierenden selbst. Dieses Verfahren wird auch bei der Berechnung der Regelbedarfe beim Arbeitslosengeld sowie der Sozialhilfe angewendet. Für diese 15 Prozent der Studierenden, die über vergleichsweise geringe Einnahmen verfügen und kein BAföG erhalten, vermuten die FiBS-Autor/innen "verdeckte Armut".
Im Jahr 2015 wurden gemäß Statistischem Bundesamt insgesamt 611.000 Studierende nach dem BAföG gefördert; im Monatsdurchschnitt waren es 401.000 Studierende. Der durchschnittliche Förderungsbetrag lag bei 448 Euro im Monat. Vier Fünftel der BAföG-geförderten Studierenden sagen, ohne das BAföG könnten sie nicht studieren.
Die Kosten fürs BAföG, für Schüler/innen und Studierende, trägt seit Anfang des Jahres 2015 der Bund. Sie lagen im Jahr 2015 für die Studierenden bei 2,158 Mrd. Euro.
Die FiBS-Studie "Ermittlung der Lebenshaltungskosten von Studierenden" zum Download (179 Seiten, 7 MB, nicht barrierefrei):
https://www.studentenwerke.de/sites/default/files/dsw_fibs_online.pdf
Online-Statements zur Studie von:
- Dr. Dieter Dohmen, Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS)
- Prof. Dr. Dieter Timmermann, Präsident des Deutschen Studentenwerks (DSW)
- Fritz Berger, Geschäftsführer des Hochschul-Sozialwerks Wuppertal und Vorsitzender des DSW-Fachausschusses Studienfinanzierung
- Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks
https://www.studentenwerke.de/de/content/statements-zur-fibs-studie
Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Studentenwerk e.V.
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