Steuer auf Pflanzenschutzmittel: kostet viel - nutzt wenig / Agrarökonom Mußhoff deckt Mängel in Studie des UFZ Leipzig auf / Folgenabschätzung unzulänglich
(Berlin) - Eine Sondersteuer auf Pflanzenschutzmittel könnte Ackerbaubetriebe in einigen Regionen an den Rand des Ruins treiben und damit das Höfesterben in Deutschland beschleunigen; ein veränderter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln dagegen wäre von der Steuer kaum zu erwarten. Sie würde lediglich die Agrarproduktion in Deutschland verteuern, aber kaum ökonomische Anreize setzen, um die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln einzuschränken.
Das ist das vorläufige Fazit von Professor Oliver Mußhoff, der vom Industrieverband Agrar e. V. (IVA) mit einer wissenschaftlichen Bewertung der Studie von Möckel et al. "Einführung einer Abgabe auf Pflanzenschutzmittel in Deutschland" (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ Leipzig) beauftragt wurde. Der Göttinger Agrarökonom stellte die Ergebnisse seiner Analyse heute im Rahmen eines Pressegesprächs auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin vor.
Der Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, hatte bei der Vorstellung seiner Überlegungen für eine Pflanzenschutzmittelsteuer betont, dass er die Studie des UFZ Leipzig als Start in einen Dialog verstehe. "Als betroffene Industrie begrüßen wir diese Einladung und hielten es für wichtig, die Vorschläge wissenschaftlich fundiert zu durchleuchten. Zweierlei wollten wir wissen: Hat die Studie wissenschaftlich Hand und Fuß und, wichtiger noch, welche Folgen hätte eine nationale Pflanzenschutzmittelsteuer für die deutsche Landwirtschaft", erläuterte IVA-Präsident Dr. Helmut Schramm.
Mußhoff sieht die wissenschaftliche Qualität der Studie allerdings kritisch und monierte eine "Vielzahl an inhaltlichen Unzulänglichkeiten". Dies beginne schon bei der Motivation, die die UFZ-Autoren für die Einführung einer Abgabe auf Pflanzenschutzmittel anführen. Angeblich sei der Einsatz an Pflanzenschutzmitteln in den zurückliegenden Jahrzehnten um 36 Prozent angestiegen. Tatsächlich basiert diese Berechnung der UFZ-Autoren auf einem statistischen Trick, nämlich der willkürlichen Wahl des Referenzjahres 1993.
Denn 1993 war, statistisch gesehen, ein Ausreißer-Jahr, in dem so wenig Pflanzenschutzmittel abgesetzt wurden wie in keinem anderen Jahr seit 1974. "Nähme man, ebenso willkürlich, als Referenz das Jahr 1987, das ein Ausreißer nach oben war, könnte man behaupten, dass der Absatz von Pflanzenschutzmitteln in den letzten 30 Jahren um über zehn Prozent gesunken ist. Das wäre der gleiche statistische Trick, nur unter anderen Vorzeichen", so Mußhoff.
Da der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln von äußeren Faktoren wie Wetter oder Schädlingsvorkommen abhängt, können Trends nur aus dem Vergleich von langfristigen Mittelwerten abgelesen werden. "Außerdem zeigt sich, dass die Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten auch hinsichtlich des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes immer produktiver geworden ist. Bezogen auf die Erntemenge wurden nämlich immer weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt", rechnet Mußhoff vor und stellt damit die Ausgangsannahme der UFZ-Studie in Frage.
Für irreführend hält der Agrarökonom auch die Ertragsvergleiche, mit denen in dem Gutachten argumentiert wurde. So behaupten die Leipziger Forscher, dass dänische Landwirte mit weniger Pflanzenschutzmitteln ähnlich hohe Weizenerträge erzielen wie deutsche Landwirte. Dieser Vergleich, so Mußhoff, leitet fehlt, da sich die Standortbedingungen (Böden, Klima, Niederschläge) in vielen deutschen Regionen stark von denen in Dänemark unterscheiden. Angebracht wäre seiner Auffassung nach ein Vergleich zwischen Dänemark und dem benachbarten Schleswig-Holstein, zumal die dortige Landesregierung Auftraggeber der UFZ-Studie war. Dabei hätte sich dann nicht nur gezeigt, dass der Weizenertrag in Dänemark zuletzt rund 20 Prozent geringer ausfiel als in Schleswig-Holstein, es hätte auch darauf hingewiesen werden müssen, dass als Folge der dänischen Agrarwende Weizen dort heute kaum noch Backqualität aufweist und fast ausschließlich in der Tierhaltung verfüttert wird.
Auch die ökonomische Grundannahme, mit denen für eine Pflanzenschutzmittelsteuer argumentiert wird, stellte Mußhoff in Frage: "Die UFZ-Autoren unterstellen zunächst, dass Landwirte unmotiviert rund zehn Prozent Pflanzenschutzmittel zu viel ausbringen, also verschwenderisch mit ihnen umgehen. Allerdings sind Pflanzenschutzmittel auch ohne Sondersteuer schon teure Betriebsmittel. Wenn die Landwirte wirklich die dummen Bauern wären, für die die UFZ-Autoren sie offenbar halten, bleibt unklar, warum sie bei Einführung der Pflanzenschutzmittelsteuer über Nacht zu rational handelnden Agrarmanagern werden sollen."
Der Agrarökonom sieht dahinter ein grundsätzliches Missverständnis der UFZ-Gutachter zum Pflanzenschutzmittel-Einsatz in der Landwirtschaft. Die Autoren hatten für den Pflanzenschutzmittel-Einsatz eine Produktionsfunktion zu Grunde gelegt, die sie zur Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Ertrag und Düngemittel-Einsatz angenommen hatten.
Mußhoff widersprach: "Diese Produktionsfunktion lässt sich nicht ohne Weiteres auf Pflanzenschutzmittel übertragen, vor allem nicht, wenn wir von Insektiziden oder Herbiziden sprechen. Wird etwa die erforderliche Aufwandmenge zur Bekämpfung von Ackerfuchsschwanz unterschritten, so tritt überhaupt keine Ertragswirkung ein". Die Aufwandmengen werden im Rahmen der behördlichen Zulassung festgelegt und sollen die Wirksamkeit der Mittel sicherstellen. "Niemand käme auf die Idee, bei Medikamenten aus rein ökonomischen Erwägungen die vom Arzt verschriebene Dosis zu halbieren; das Risiko wäre zu groß, dass die heilende Wirkung ausbleibt und sich schlimmstenfalls Resistenzen bilden. Auf dieser Fehlannahme aber fußen die Überlegungen zur ökonomischen Lenkungswirkung einer Pflanzenschutzmittelsteuer", erläuterte der Agrarökonom.
Für unzureichend hält Mußhoff schließlich die einzelbetriebliche Wirkungsanalyse der UFZ-Studie zur Pflanzenschutzmittelsteuer. "Viele der Annahmen der Leipziger Forschergruppe sind viel zu pauschal, um die Wirklichkeit der deutschen Landwirtschaft abzubilden. Wir halten es für notwendig, die betrieblichen Auswirkungen zu differenzieren nach Standort, Kultur, Produktionsverfahren und möglichen Anpassungsreaktionen der Landwirte", erläuterte Mußhoff.
Abzusehen sei beispielsweise, dass auf ertragsstarken Standorten die Pflanzenschutzmittelsteuer keine Auswirkungen auf die Einsatzmengen haben wird, sondern lediglich die Kosten für die Betriebe erhöht und damit ihr Einkommenspotenzial schwächt. "In Regionen mit schlechterer Bodenqualität und geringeren Niederschlägen, wie etwa in Brandenburg, könnten Flächen brach fallen, weil sie nicht mehr rentabel bewirtschaftet werden könnten", schloss Mußhoff. "Auch ist absehbar, dass behandlungsintensive Ackerkulturen wie Gerste von den Landwirten ersetzt werden durch Kulturen, die weniger Pflanzenschutzmittel-Anwendungen brauchen, zum Beispiel Mais. Und dann wird es schließlich Regionen geben, in denen die Rentabilität so weit sinkt, dass den Landwirten nichts anderes übrig bleibt, als ihren Betrieb aufzugeben." Die Einführung einer Pflanzenschutzmittelsteuer in Deutschland könnte damit gleichzeitig bedeuten, dass die Ackerfläche bei Handelspartnern in anderen Weltregionen ausgeweitet wird und so tropischer Regenwald abgeholzt werden müsste. Alle diese Folgen blieben in der UFZ-Studie unberücksichtigt.
Die vollständige Studie mit den detaillierten Berechnungen wird Mußhoff im Frühjahr 2017 abschließen und veröffentlichen.
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