"Standortschwächen sind kein Grund für Untergangsdebatten"
(Frankfurt am Main/Hannover) - Die Industriestandorte Deutschland und Europa brauchen mutige Reformen und keine Untergangsdebatten. "Das wirtschaftliche und politische Umfeld ist - unter anderem durch die vielen geoökonomischen Unwägbarkeiten - aktuell herausfordernd wie selten zuvor. Aber der Maschinen- und Anlagenbau hat das Selbstvertrauen und die Innovationskraft, diese Herausforderungen zu meistern", sagte VDMA-Präsident Karl Haeusgen vor Medienvertretern zu Beginn der Hannover Messe.
Die Politik in Berlin und Brüssel sei jetzt dringend gefordert, die Standortbedingungen so zu gestalten, dass wieder mehr Investitionen in Deutschland und Europa getätigt werden. "Neue Investitionsvorhaben finden aktuell vor allem im Ausland statt, etwa in den USA. Das wird, wenn wir dem nichts entgegensetzen, zu einer anhaltenden Schwächung unserer Wirtschaft führen", mahnte der VDMA-Präsident.
Insgesamt seien die zumeist mittelständischen Betriebe des Maschinen- und Anlagenbaus sehr robust aufgestellt und zudem fest mit ihren heimischen Standorten verbunden. "In der aktuellen Wirtschaftspolitik fehlt jedoch die Leidenschaft zur Freiheit. Und was uns zudem wirklich Sorgen macht, ist der wachsende Rechtspopulismus in Deutschland und Europa, der nach Abschottung ruft, statt nach offenen Grenzen und freiem Handel", warnte Haeusgen. "Damit wird das gesamte Erfolgsmodell Europas und damit auch der Industrie in Frage gestellt."
Produktion weiterhin durch Auftragsbestände gepuffert
In den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres sank die Produktion von Maschinen und Anlagen in Deutschland zwar um 4,2 Prozent. Ein deutlicherer Rückgang wurde jedoch vermieden. In vielen Unternehmen wird die Produktion weiterhin durch hohe, wenngleich abnehmende Auftragsbestände gepuffert. Der Auftragseingang lag in den ersten beiden Monaten des Jahres kumuliert um real 10 Prozent unter dem Vorjahreswert. "Die Belastungsfaktoren sind unverändert spürbar. Insbesondere die große Verunsicherung unserer Kunden verhindert mehr Investitionen und damit mehr Aufträge für den Maschinen- und Anlagenbau. Allerdings scheint die Talsohle zumindest bei den Auslandsbestellungen erreicht zu sein", sagte Haeusgen.
Für die Weltwirtschaft signalisieren aussagekräftige Frühindikatoren ein Ende der Talfahrt des internationalen Industriezyklus. "Wir bleiben daher bei unserer Prognose: 2024 wird die Produktion im Maschinen- und Anlagenbau um real 4 Prozent zum Vorjahr sinken. Denn unsere Branche ist als Investitionsgüterhersteller ein Spätzykliker", resümierte der VDMA-Präsident.
Maschinenbau hält an Belegschaften fest
Das Vertrauen in die eigene Widerstandfähigkeit und Wettbewerbsstärke spiegelt sich auch in den Beschäftigungszahlen der Branche wider. Im Februar waren 1,034 Millionen Menschen in Maschinenbaubetrieben beschäftigt - ein Zuwachs von 1,5 Prozent zum Vorjahr. Der Maschinen- und Anlagenbau bleibt damit weiterhin größter industrieller Arbeitgeber in Deutschland. "Aktuell warten viele Unternehmen zwar mit Neueinstellungen ab. Auch ist die Kurzarbeit zuletzt leicht angestiegen. Die Beschäftigung dürfte 2024 dennoch weitgehend stabil bleiben, da die Unternehmen aufgrund des Fachkräftemangels an ihren Stammbelegschaften festhalten", erläuterte der VDMA-Präsident.
Einen aktuellen Überblick über die Beschäftigungslage und -entwicklung gibt der neue Themenschwerpunkt der Online-Publikation "Maschinenbau in Zahl und Bild" des VDMA.
Standort Deutschland und Europa nachhaltig stärken
In der deutschen und auch der europäischen Politik müsse es nun darum gehen, die Industrie und deren internationale Wettbewerbsfähigkeit in einem anhaltend widrigen wirtschaftlichen und geopolitischen Umfeld nachhaltig zu stärken. Im Inland hätte das Wachstumschancengesetz dafür ein Wegbereiter sein können, "leider ist es im Lauf der politischen Debatte verzwergt worden", bemängelte Haeusgen. Wenn die Ampel-Koalition es wirklich ernst meine mit ihrer Unterstützung für die Betriebe im globalen Wettbewerb, dann brauche es jetzt mutige Reformen mit spürbarer Wirkung, fordert er.
Dazu zählen:
- ein weiterer Abbau von Bürokratie und Regulierung,
- eine umfassende Digitalisierung und eine weitere Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren,
- niedrigere Unternehmenssteuern auf internationalem Niveau,
- die dauerhafte Wiedereinführung der degressiven Abschreibung,
- eine Ausweitung der Wochen- und Lebensarbeitszeit,
- eine konsequente Modernisierung der Infrastruktur.
Subventionswettlauf in Europa verhindern
Die künftige EU-Kommission forderte Haeusgen auf, die Regulierungsflut der vergangenen Jahre zu beenden und ihren Fokus vor allem darauf zu richten, wie Europa im Wettbewerb zwischen Nordamerika und Asien erfolgreich sein kann. "Dieser Weg kann nur in Ausnahmefällen und dann auch nur zeitlich befristet mit Hilfe von Subventionen beschritten werden. Es darf keinesfalls zu einem Subventionswettlauf unter den Ländern Europas kommen. Erst recht nicht sollte die EU ebenfalls immer mehr eigene Handelshürden errichten", warnte der VDMA-Präsident. Vielmehr müsse die Kommission daran arbeiten, wieder neue, schlanke Freihandelsabkommen mit aufstrebenden Ländern abzuschließen. "In solchen Abkommen müssen wir zu einer vernünftigen Verhandlungsbasis zurückfinden, die für andere Länder akzeptabel ist", sagte Haeusgen.
Konkret erwartet der VDMA von der neuen EU-Kommission:
- eine Stärkung des Industriestandorts Europa als zentrale politische Priorität,
- einen konsequenten Rückbau bürokratischer Belastungen der vergangenen Legislaturperiode,
- einen Masterplan zur Vertiefung des Binnenmarktes mit einem konsequenten Abbau bestehender Hindernisse etwa bei der Entsendung von Mitarbeitern ins europäische Ausland,
- eine Wiederbelebung der EU-Handelsagenda mit einer weiteren Öffnung von Exportmärkten durch Freihandelsabkommen mit wichtigen Handelspartnern.
"Deutschland und Europa haben enorm vom EU-Binnenmarkt profitiert, der auf festen demokratischen Werten beruht", sagte Haeusgen mit Blick auf die EU-Parlamentswahlen im Juni. Es gehe jetzt darum, diese demokratische freiheitliche Ordnung an der Wahlurne zu verteidigen. Der VDMA macht sich unter dem Motto #EUmatters daher für ein Europa stark, das auf demokratischen, freiheitlichen und wirtschaftlich liberalen Grundpfeilern steht.
Hannover Messe im Zeichen von Manufacturing-X und KI
Die Hannover Messe ist auch in diesem Jahr ein Zentrum der industriellen Innovation, gerade im Maschinen- und Anlagenbau. Mit dem Aufbau von Manufacturing-X, einem sicheren und auf den Mittelstand zugeschnittenen Datenraum, wird aktuell der Boden für mehr digitale Geschäftsmodelle errichtet. "Industrieunternehmen wollen ihre Daten nur mit Partnern teilen, denen sie vertrauen. Im Rahmen von Manufacturing-X behalten die Firmen die Souveränität über ihre Daten und können zugleich mit anderen Unternehmen gemeinschaftlich an innovativen digitalen Lösungen arbeiten, aus denen sich neue Geschäftsmodelle ergeben", erläuterte Haeusgen.
Der VDMA hat die Entwicklung von Manufacturing-X daher von Anfang an maßgeblich mit vorangetrieben, und in den vergangenen Jahren mit der Initiative umati bereits eine gute Basis geschaffen. Hierbei spielt auch der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Produktion eine immer wichtigere Rolle. "Schon heute werden Prozesse in der Produktion durch KI effizienter und stärker automatisiert. Aber um KI noch leistungsfähiger zu machen, werden wesentlich mehr vergleichbare Daten benötigt. Genau dies wird durch die standardisierten Produktionsinformationen der umati-Initiative des Maschinen- und Anlagenbaus und Manufacturing-X sichergestellt", erläuterte der VDMA-Präsident.
Energiewende und das Partnerland Norwegen
Zu den größten Herausforderungen im Kampf gegen den Klimawandel zählt der weltweite Umgang mit CO2-Emissionen. Die Abscheidung, Speicherung oder Weiterverarbeitung von CO2 kann nur mit innovativen technologischen Lösungen gelingen, die vom Maschinen- und Anlagenbau bereitgestellt werden. "Entscheidend ist hier aber, dass die Politik gerade in Deutschland ihre Denkverbote aufgibt und zum Beispiel die Möglichkeiten der CO2-Speicherung ernsthaft prüft und vorantreibt. Das diesjährige Partnerland der Hannover Messe, Norwegen, ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Aber wir können hier nicht nur auf die europäischen Partner setzen", betonte Haeusgen. Carbon Management-Technologien sind zudem wichtig, um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der emissionsintensiven Industrien auch am Standort Deutschland zu sichern. Welche Chancen sich durch Carbon Management konkret bieten, beleuchtet eine neue Szenario-Studie des VDMA ebenso wie die Hürden in der Umsetzung.
Quelle und Kontaktadresse:
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA)
Holger Paul, Leiter Kommunikation
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