Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Sozialhilfe: Fördern und Fordern statt Fürsorge

(Köln) - Die Diskussion um eine Reform der Sozialhilfe schlägt derzeit hohe Wellen. Ausgelöst wurde sie durch den hessischen Vorschlag, das Modell des US-Bundesstaates Wisconsin auf Deutschland zu übertragen. Dieses will Hilfeempfänger zuallererst in Jobs bringen und wirft damit die Frage auf, was Sozialhilfe sein soll - Fürsorge oder Anstoß zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt.

Ende 2000 gab es insgesamt 1,61 Millionen Sozialhilfeempfänger im Alter von 15 bis 64 Jahren. Lediglich 146.000 dieser Menschen hatten einen Job, 1,47 Millionen Personen lebten ausschließlich von Sozialhilfe. Insgesamt 643.000 der Sozialhilfeempfänger sind arbeitslos gemeldet, die anderen aus verschiedenen Gründen nicht erwerbstätig.

Dass laut Statistik fast die Hälfte der Hilfeempfänger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, zeigt nach Meinung vieler Experten, dass die Anreizsysteme funktionieren und deshalb ausreichen. Der Deutsche Städtetag weist zudem darauf hin, dass das Gros der Arbeitslosen in kommunalen Beschäftigungsmaßnahmen untergebracht sei: Im Jahr 2000 hätten rund 400.000 der jobsuchenden Hilfeempfänger Arbeiten nach Paragraph 19 und 20 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ausgeführt.

Diese Erfolgsmeldung hat allerdings einen großen Haken. Denn die Teilnehmer werden von der Sozialhilfestatistik gar nicht gezählt, wenn sie während der Maßnahme "das übliche Arbeitsentgelt" erhalten, und nicht den Regelsatz in der Sozialhilfe. Das Gros der Maßnahmen dauert zudem nur ein Jahr oder weniger.

Richtig ist, dass viele Kommunen sich sehr bemühen, Hilfeempfänger in Arbeit zu bringen. Dennoch ist der Anteil derer, die einen Job aufnehmen, gesunken:
Der Anteil der erwerbstätigen Hilfeempfänger ging 2000 gegenüber 1999 um 0,4 Prozentpunkte auf 9 Prozent zurück.

Das Bundessozialhilfegesetz definiert, wer nicht für den eigenen Lebensunterhalt sorgen muss - Kranke, Behinderte und Mütter, die keine Möglichkeit zur Betreuung ihrer minderjährigen Kinder haben. Ebenfalls darf einem Hilfeempfänger keine Arbeit zugemutet werden, "wenn ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit (durch eine Arbeitsaufnahme) wesentlich erschwert würde" oder der Arbeit "ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht".

Viele Politiker und Sozialexperten glauben indes, dass man mehr Menschen in Jobs bringen kann, wenn man sie systematisch fördert und fordert.

Wie man tatkräftig Unterstützung leistet, macht seit 1997 der US-Bundesstaat Wisconsin vor. Dort geht man davon aus, dass jeder Erwachsene gemäß seinen Fähigkeiten arbeiten kann. Die Maßnahmen zielen deshalb darauf, Sozialhilfeempfängern den Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu ebnen. Anspruch auf Unterstützung haben dabei nur Familien, wobei über 90 Prozent davon Alleinerziehende sind.

Sozialhilfe wird vom ersten Tag an nur als Leistung für Gegenleistung gezahlt, also wenn die Hilfeempfänger sich aktiv um eine Tätigkeit bemühen oder wenn sie an einem Arbeitsprogramm teilnehmen.

Sobald eine "welfare mom" auf Jobsuche geht, eine Arbeit annimmt oder noch mal die Schulbank drückt, erhält sie kostenlose Betreuung und Krankenversicherung für ihre Kinder, bekommt die Transportkosten erstattet und hat Anspruch auf Bewerbungstraining, Beratung sowie Training-on-the-job.

Schaffen die Hilfeempfänger den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt, erhalten sie weitere Unterstützung, und zwar die Steuergutschrift für Niedrigverdiener, den so genannten Bundes-EITC (vgl. iwd 19/2001) sowie zusätzlich noch eine familiengrößenabhängige Steuergutschrift des Staates Wisconsin.

In Deutschland dagegen sind viele Hilfeempfänger schon durch die enge Definition von Arbeitsfähigkeit fast zwangsläufig zur Passivität verurteilt.

Wie wenig das in deren eigenem Interesse ist, zeigt das Beispiel alleinerziehender Sozialhilfeempfängerinnen. Diese Frauen sind doppelt so häufig erwerbstätig wie der Durchschnitt aller Hilfeempfänger - es könnten wohl noch mehr sein. Vielen Alleinerziehenden ist der Weg in den Job aber versperrt, weil Kindergartenplätze fehlen oder die Öffnungszeiten der vorhandenen Betreuungseinrichtungen beschränkt sind - Wisconsin ist da schon weiter.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88 50968 Köln Telefon: 0221/49811 Telefax: 0221/4981592

NEWS TEILEN: