"Sind am Limit" - ÖPNV-Branche zieht Bilanz zur EURO 2024
(Berlin) - Vier Tage vor dem EM-Finale in Berlin zwischen Spanien und England zieht die Branche Bilanz des Bus- und Bahnangebots während des vierwöchigen Turniers: "Wir sind stolz das Geleistete, auf die Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen - es fuhr alles, was Räder hat, die Mitarbeitenden haben unzählige Überstunden investiert. Die Unternehmen überzeugten mit mehrsprachigen Informationskonzepten und vielen Innovationen vor Ort. Die zwei Millionen - weltweit bislang einzigartigen - Kombitickets mit einer Gültigkeit von 36 Stunden waren die Basis für einen hohen ÖPNV-Anteil während der Spiele. Dennoch wurde deutlich, womit wir bereits seit Längerem im Alltag kämpfen: Wir sind am Limit. Das System stößt vielfach an seine Kapazitätsgrenzen, der schlechte Zustand der Infrastrukturen sorgt bei punktuell erhöhter Nachfrage für ein störungsanfälliges Gesamtangebot. Es fehlt an Fahrzeugen und Personal. Die EURO sollte der entscheidende Weckruf für Bund und Länder sein, endlich umzusteuern und den nötigen Wachstums- und Modernisierungskurs der Branche entsprechend zu finanzieren", so VDV-Präsident Ingo Wortmann. Mit hunderttausenden zusätzlichen Zugkilometern und deutlich mehr Angebot bei Bus und Bahn hat die Branche dennoch alles gegeben, was Fuhrpark und Personaldecke hergaben.
"Die EM hat einmal mehr gezeigt: Ohne Busse und Bahnen geht es nicht, sie sind nicht nur bei sportlichen Großereignissen das Rückgrat der Mobilität. Deshalb stehen unsere Leistungen auch besonders im Fokus der Öffentlichkeit und werden entsprechend diskutiert. Wir haben die Leistungsfähigkeit des ÖPNV unter Beweis gestellt, sind aber an Grenzen gestoßen - vom Personal bis zur Infrastruktur. Deshalb ist es wichtig, auch in Zeiten knapper Kassen in den ÖPNV zu investieren", sagte VDV-Präsident Ingo Wortmann. Sein Dank richtet sich auch explizit an die Kolleginnen und Kollegen, die Sonderschichten eingelegt und ihre Urlaubspläne verschoben haben. "Bis zu 30.000 Fans pro Spieltag reisten mit dem ÖPNV zum Stadion. Hinzu kommt der umfangreiche An- und Abreiseverkehr zu den Fan-Festen. Mit Sonderlinien und Taktverdichtungen sowie tausenden zusätzlichen SPNV-Sonderfahrten und hunderttausenden zusätzlichen Zugkilometern haben wir geliefert, was möglich war", so VDV-Präsident Ingo Wortmann.
Beispiel Frankfurt: 100.000 Reisende mehr am Bahnhof
230.000 Sportbegeisterte kamen an den fünf Spieltagen ins Stadion. Die meisten reisten klimafreundlich mit Bussen, Straßenbahnen und Zügen an. An den Spieltagen setzten die Verkehrsunternehmen zusätzlich zum regulären Straßenbahnverkehr zehn Sonderzüge ein. Zusätzlich fuhren an den Spieltagen bis zu 16 Stadtbusse pro Stunde die Haltestellen am Stadion an. Die S-Bahn Rhein-Main bot an Spieltagen täglich rund 300 Fahrten zum Stadion an. Am Frankfurter Hauptbahnhof wurden während der EM an Spieltagen rund 100.000 Reisende pro Tag mehr gezählt als sonst. Am Hauptbahnhof, am Flughafen und am Stadion hatte die DB das Personal an den Spieltagen deutlich aufgestockt.
Beispiel Leipzig: Bis zu 5.000 Kilometer pro Spiel zusätzlich im Stadtverkehr
In Leipzig fuhren die Leipziger Verkehrsbetriebe pro Spiel bis zu 5.000 Kilometer mehr als üblich. Möglich wurde dies durch den Einsatz von bis zu 60 zusätzlichen Kolleginnen und Kollegen. So waren pro Spiel 740 Fahrer im Linien- und Veranstaltungseinsatz. Allein für die Abreise standen 40 zusätzliche Fahrzeuge zur Verfügung, die bis zu 250 zusätzliche Abfahrten rund um das innenstadtnahe und ausverkaufte Stadion ermöglichten. Auch der Verkehr rund um den Augustusplatz mit der Fanzone und rund 300.000 Besuchern konnte durch entsprechende Verstärkung reibungslos abgewickelt werden.
Beispiel Köln: bis zu 32 Sonderzüge pro Spieltag im Einsatz
In Abstimmung mit der Stadt lag der Schwerpunkt der zusätzlichen Betriebsleistung an den fünf Kölner Spieltagen und dem An- und Abreiseverkehr zum Stadion. Hierfür wurden neben den regulären Stadtbahnen jeweils bis zu 32 Sonderzüge eingesetzt; auf den stadionnahen Buslinien kamen ausschließlich Gelenkbusse zum Einsatz. Insgesamt wurden im Bereich der Leitstelle und der Betriebsaufsicht an den Spieltagen bisher über 1.500 Schichten geleistet, viele davon durch Überstunden an freien Tagen. Mit mehr als 900 Servicediensten stand den Gästen stets eine Kontaktperson im Stadtgebiet zur Verfügung. Darüber hinaus halfen die Servicekräfte, einen möglichst zügigen Fahrgastwechsel an den Haltestellen zu gewährleisten.
Beispiel Gelsenkirchen: erstmals von Essen zur Arena AufSchalke
Vier Spiel- und 26 Fanfesttagen wurden organisiert. An den Spieltagen auf Schalke wurden mehr als 100.000 Fans zur Arena und wieder zurückgebracht. Dafür waren pro Spieltag durchschnittlich 120 Kolleginnen und Kollegen aus Fahrdienst, Werkstatt und Verwaltung mit 45 Bahnen und 50 bis 70 Bussen unterwegs. Solidarisch unterstützt wurde die BOGESTRA von weiteren Unternehmen aus Nachbarstädten: Durch die Kooperation mit der Ruhrbahn fuhren zum ersten Mal Bahnen vom Essener Hauptbahnhof zur Arena AufSchalke und wieder zurück.
Beispiel München: 100 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Bei jedem Spiel sind mit der MVG etwa 40.000 Fahrgäste zur Arena, etwa 25.000 zur Fan Zone sowie teilweise bis zu 30.000 zum Public Viewing im Olympiastadion und wieder zurück gefahren. An jedem Spieltag waren mehr als 100 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Zusatzzüge im Einsatz.
Beispiel Dortmund: 20 Prozent höheres Fahrgastaufkommen
Rund 130 Stadtbahnwagen, fast 200 Busse und mehr als 1.700 Mitarbeiter sind an Spieltagen im Einsatz. Zusätzlich wurde das Personal im Bereich Service und Sicherheit auf rund 100 Kräfte pro Spieltag aufgestockt. DSW21 hat die Betriebszeiten der Stadtbahnlinien in der Nacht um bis zu zwei Stunden verlängert und die NachtExpress-Linien an die EURO-Bedürfnisse angepasst. Der Betrieb wird von der Leitstelle je nach Fanaufkommen flexibel gesteuert. Obwohl 25 Prozent weniger Fans im Stadion waren als bei Bundesligaspielen, verzeichnete DSW21 an den EURO-Spieltagen rund 20 Prozent mehr Fahrgäste an der Stadion-Haltestelle. Selbst beim Gewitter in der Partie Deutschland gegen Dänemark, bei dem der Westfalenpark mit 43.000 Menschen evakuiert werden musste, verlief alles reibungslos dank guter Abstimmung mit Stadt, Krisenstab, Polizei, Bundespolizei und Feuerwehr.
Schienenverkehr als bundesweit verlässlicher Zubringer
Die Regionalzüge und S-Bahnen haben während der EM entscheidend dazu beigetragen, den Verkehr auf den Straßen zu entlasten und die zahlreichen Reisenden zwischen den EM-Städten klimafreundlich zu befördern. Zahlreiche Sonderverkehre auf der Schiene haben das Angebot trotz der begrenzten Infrastruktur sehr gut und zuverlässig ergänzt. In NRW wurde mit dem RE 24 sogar eine EM-Sonderlinie zwischen den Spielorten Dortmund, Gelsenkirchen, Düsseldorf und Köln eingerichtet. Allein auf dieser Linie haben die Unternehmen DB Regio, die Centralbahn und TRI rund 500 zusätzliche Fahrten mit 118.500 zusätzlichen Zugkilometern erbracht. "Besonders bedanken möchte ich mich auch hier bei den Triebfahrzeugführern und Servicemitarbeitenden, die sich auf den Strecken, aber auch an den Bahnhöfen, z. B. bei der Reisendeninformation, richtig ins Zeug gelegt haben", so VDV-Präsident Ingo Wortmann. Laut VDV konnten für die erarbeiteten Einsatzkonzepte auf die umfänglichen Erfahrungen aus Bundesliga- und europäischen Fußballspielen, sowie die Erkenntnisse aus Großereignissen oder Konzerten zurückgegriffen werden. Neben dem bundesweit größten SPNV-Anbieter DB Regio fuhren viele weiter Eisenbahnverkehrsunternehmen die Austragungsorte an:
- Berlin: ODEG, NEB
- Leipzig: Abellio Mitteldeutschland, Transdev, Erfurter Bahn
- Hamburg: Metronom/NET, Nordbahn
- Dortmund: National Express, Eurobahn
- Gelsenkirchen: National Express, VIAS, Transdev, Eurobahn
- Düsseldorf: National Express, VIAS, Regiobahn, Transdev
- Köln: National Express, Transdev
- Frankfurt: HLB, VIAS,Vlexx/NET
- Stuttgart: Arverio BW, SWEG
- München: Arverio BY, Länderbahn/NET, Transdev
- Fußball-Sonderlinie NRW: TRI
Investitionsstau im ÖPNV in Milliardenhöhe
"Wir müssen auch im Vergleich zum Fußball-Weltmeisterschaft 2006 feststellen, dass wir in Bezug auf Verfügbarkeit und Qualität der Infrastruktur weiter zurückgefallen sind. Anfang des neuen Jahrtausends herrschte zuweilen die Meinung, Deutschland sei, gerade nach dem Wiederaufbau in den östlichen Bundesländern, zu Ende gebaut und Investitionen in die Infrastrukturen könnten deshalb in konsumtive Augaben verschoben werden. Eine fatale Einschätzung, für die wir heute bezahlen, und zwar nicht nur im Verkehrssektor", so Wortmann. Der Branchenverband verweist auf eine neue Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft, wonach der Investitionsbedarf Deutschlands bei 600 Milliarden Euro liegt. Ein bedeutender Anteil entfällt auf den öffentlichen Nahverkehr: "Das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) hat im letzten Jahr eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass für Erhalt und Ausbau der kommunalen ÖPNV-Infrastruktur in Deutschland Investitionen von insgesamt 64 Milliarden Euro bis 2030 notwendig sind. Ohne diese Investitionen riskieren wir, dass die dringend benötigte Modernisierung und der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs ins Stocken geraten. Wir dürfen bei allem Verständnis für die angespannte Haushaltsituation im Bund die nötigen Investionen nicht weiter verschleppen. Wir müssen Deutschlands Infrastrukturen reparieren und ausbauen und nicht endgültig kaputtsparen", so Wortmann abschließend.
Quelle und Kontaktadresse:
Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) - Hauptstadtbüro Berlin
Lars Wagner, Pressesprecher
Leipziger Platz 8, 10117 Berlin
Telefon: (030) 399932-0, Fax: (030) 399932-15