Selbstständige Schule ist in Deutschland ein Phantom / Tutzinger Netzwerk für Schule und Lehrer fordert Kultur der Evaluation
(Berlin) - "Die selbstständige Schule hat in den deutschen Bundesländern nach wie vor Phantomcharakter. In Wirklichkeit müssen sich Schulen durch ein Dickicht von Vorschriften kämpfen, kritisierte der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) und Vizepräsident des BLLV Ludwig Eckinger auf der Tagung des Tutzinger Netzwerks für Schule und Lehrer. Das Netzwerk, eine Kooperation von VBE, BLLV und Evangelischer Akademie Tutzing mit Erziehungswissenschaftlern, veranstaltete gestern und heute an der Tutzinger Akademie seine diesjährige Fachtagung zum Thema Heute schon evaluiert? Chancen und Risiken für Schule und Lehrerbildung.
Ludwig Eckinger betonte, Schulentwicklung könne nur gelingen, wenn der Staat endlich von der Detailsteuerung der Bildungseinrichtungen abgehe. Qualitätsentwicklung und deren Evaluation macht wenig Sinn, wenn die Schulen gar nicht über die Instrumente verfügen, um die eigene Qualität zu beeinflussen. Die Schulen müssen ihr Personal selbst aussuchen und über Fortbildung entscheiden, ihre Finanzen selbst verwalten und ein geschultes Management beschäftigen können. Weder schöne Reden aus dem Kultusmund noch die stete Neuauflage von Modellversuchen reichen aus, um die Einzelschule auf den Weg der Eigenverantwortung zu führen. Erfahrungen aus gelungenen Modellversuchen lägen genügend vor, so Eckinger, doch am Ende der Versuche würden die geschaffenen Sonderbedingungen meist einkassiert und die Ergebnisse in der Schublade verschwinden. Unter Alltagsbedingungen aber kann Eigenverantwortung der Schule kaum nachhaltig gedeihen. Der VBE-Vorsitzende und BLLV-Vizepräsident sieht die Gefahr, dass von oben verordnete Evaluation die Schulhierarchien eher noch verfestigen werde.
Bereits die OECD hatte in ihren jährlichen Bildungsberichten festgestellt, dass die deutschen Schulen im internationalen Vergleich im Hinblick auf Selbstständigkeit zu den Schlusslichtern gehören.
Auf der Fachtagung wurde diskutiert, wie in Deutschland eine Kultur der Evaluation entwickelt werden kann. Bezugspunkt jeglicher Reform muss die Entwicklung der Einzelschule sein, betonte Roswitha Terlinden, Studienleiterin der Evangelischen Akademie Tutzing. Der Passauer Erziehungswissenschaftler Norbert Seibert warnte insbesondere davor, der Evaluation von Bildungseinrichtungen eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung wie in der Wirtschaft zugrunde zu legen. Das gefährdet inhaltliche Qualität von Bildung und Erziehung. Seibert warnte auch davor, die demokratischen Rechte der Betroffenen zu missachten. Die Evaluierten müssen ihr Mitspracherecht bei der Bewertung der Ergebnisse ausüben können. Andernfalls würde Evaluation als Bedrohung wahrgenommen. Dies schade der eigentlichen Absicht, pädagogische Qualität zu verbessern.
Quelle und Kontaktadresse:
Verband Bildung und Erziehung e.V. (VBE)
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Telefon: 030/72619660, Telefax: 030/726196618