Selbstbestimmung nur für Sterbenskranke? / Humanistische Union weist verfassungswidrige Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen zurück
(Berlin) - Zur heutigen (29. März 2007) Aussprache des Deutschen Bundestags über die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen erklärt Prof. Dr. Rosemarie Will, Bundesvorsitzende der Humanistische Union: "Wie begrüßen die Absicht, nach 30 Jahren öffentlicher Diskussionen endlich die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen gesetzlich zu regeln. Der jetzt bekannt gewordene Gruppenantrag der Abgeordneten Bosbach, Röspel, Winkler und Fricke erweist sich jedoch als Rückschritt gegenüber der bisherigen Praxis: Er schränkt die Selbstbestimmung der Betroffenen erheblich ein, indem er ihren vorausverfügten Willen nur für den Fall einer infausten Prognose oder eines unwiderruflichen Verlusts des Bewusstseins anerkennt. Eine derartige Regelung käme einem Behandlungszwang gegen den erklärten Willen der Patienten gleich. Das ist verfassungswidrig. Wir fordern die Abgeordneten deshalb auf, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung nicht zuzustimmen."
Entschieden wehrte sich Frau Will gegen die Behauptung, mit dem Gruppenantrag würde eine gesetzliche Fixierung der bisherigen Rechtslage stattfinden. "Passive Sterbehilfe ist nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtssprechung auch ohne das Vorliegen einer infausten Prognose zulässig. Dazu gehört ebenfalls, dass Betroffene im Voraus den Abbruch einer künstlichen Ernährung verfügen können. Behandelnde können sich in diesem Fall nicht auf eine notwendige Basisversorgung berufen."
Selbstverständlich bedürfe jede Anwendung einer Patientenverfügung der genauen Prüfung, inwiefern Anzeichen einer Willensänderung festzustellen und die beschrieben Umstände eingetreten sind. "Daraus jedoch zu folgern, man müsse einer vorausverfügten Entscheidung des Patienten nicht folgen, sofern dieser nicht unheilbar krank sei, widerspricht den Bestimmungen des Grundgesetzes. Selbstbestimmung kann es nicht nur für einwilligungsfähige oder Patienten mit tödlichen Erkrankungen geben. Niemand sollte das vermeintliche Wohlergehen eines Patienten gegen dessen erklärten Willen ausspielen."
In ihrer Auffassung sieht sich die Bürgerrechtsorganisation durch straf-, zivil- und verfassungsrechtliche Experten bestätigt, die an der Tagung "Die Freiheit zu sterben" am 27. Februar diesen Jahres teilnahmen. Dabei unterstrich Prof. Dr. Volker Lipp (Göttingen), dass eine Abweichung vom (Nicht-)Behandlungswunsch des Patienten nur dann in Betracht komme, wenn dieser Wunsch selbst krankheitsbedingt sei. In allen anderen Situationen hätten Ärzte, Pfleger und Betreuer die Aufgabe, dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu folgen. Prof. Dr. Torsten Verrel (Bonn) warnte in diesem Zusammenhang vor einer "Rechtfertigungsmedizin", die Behandlungsauftrag mit Behandlungszwang verwechsle und sich nur noch am medizinisch Machbaren orientiere.
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