Pressemitteilung | IG BCE - Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie - Bundesgeschäftsstelle

Scharfe Kritik der Gewerkschaftsführer an der Bundesregierung

(Hannover) - Führende Vertreter einiger Gewerkschaften haben die Bundesregierung scharf angegriffen. Dabei geht es nicht um eine Nebensächlichkeit, zur Debatte stehen vielmehr Grundsätze des gewerkschaftlichen Politikverständnisses.

Der IG-BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt hat sich in diese Debatte eingeschaltet. Hier die Stellungnahme im Wortlaut: „Mit einiger Besorgnis beobachten wir, dass zurzeit durch Vertreter etlicher Gewerkschaften eine öffentliche Debatte geführt wird, die uns in einen massiven Gegensatz zur Politik der Bundesregierung zu bringen versucht. Mit undifferenzierten und teilweise ungerechtfertigten Vorwürfen wird der Regierungskoalition unterstellt, dass ihre Politik eine neoliberale Handschrift trage, die die Gerechtigkeitslücke unter anderem durch eine einseitige Steuerreform vergrößert habe und durch das Konsolidierungsprogramm gegen die gewerkschaftlichen Maßstäbe für Arbeit und soziale Gerechtigkeit verstoße.

Als ein besonderer Beitrag für diese Form der ‚Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik‘ ist der Vortrag des Vorstandssekretärs der IG Metall, des Kollegen Klaus Lang, vor dem Bundesausschuss der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in den Medien kommentiert worden. Daraus dürfte ersichtlich sein, mit welcher Einseitigkeit und mit wie wenig Realitätssinn und Fairness die kritischen Vorwürfe vorgebracht werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese Debatten nicht nur den Verlauf des DGB-Bundeskongresses mitbestimmen werden, sondern wohl den Auftakt für die anstehende Auseinandersetzung um die Bundestagswahl darstellen. Dies geht so weit, dass die kritischen Vorhaltungen mit dem Hinweis auf die Wahlenthaltung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verknüpft werden. Solche Bemerkungen halte ich schon deshalb für unerträglich, weil es eigentlich demokratische Pflicht der Gewerkschaften sein sollte, ihre Mitglieder zur Wahlbeteiligung aufzufordern, statt eine apolitische Verweigerungshaltung herbeizureden. Selbstverständlich ist es nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig, vor einer Wahl Bilanz zu ziehen.

Niemand von uns wird dabei behaupten wollen, dass er mit der Regierungspolitik in allen Punkten einverstanden sein kann. Positive Aspekte waren die Reform der Betriebsverfassung, die Wiederherstellung der vollen Lohnfortzahlung und des Kündigungsschutzes, die Einkommensteuerreform, die Erhöhung des Kindergeldes und die Erfolge im Bündnis für Arbeit, zum Beispiel bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Natürlich stehen dem auch Versäumnisse und Misserfolge, wie bei Teilen der Unternehmenssteuerreform oder der Rentenreform gegenüber, um nur wenige Beispiele zu nennen. Die Höhe der Arbeitslosenzahlen, auch wenn diese durch die konjunkturelle und globale Entwicklung sowie die Untätigkeit vieler Unternehmen verursacht wurde, ist alles andere als ein Ausweis von Erfolg. Gerade der Abbau der Arbeitslosigkeit muss für uns vor allem ein Anlass sein, weitere und noch größere Anstrengungen einzufordern.

Insoweit ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik der Regierungskoalition, aber auch mit der Untätigkeit der Unternehmen und ihrer Verbände durchaus angebracht. Die Debatte wird jedoch zurzeit dadurch geprägt, dass etliche Gewerkschaften sich offenbar mehr an ihren Forderungen und Wunschvorstellungen gegenüber der Bundesregierung als an den Realitäten und am Machbaren orientieren. Unmittelbar nach dem Regierungswechsel hatte ich anlässlich unserer Konferenz in Duisburg am 30.10.1998 eindringlich davor gewarnt, die Regierung als verlängerten Arm der Gewerkschaften zu betrachten oder gar die Gewerkschaften als Hilfstruppen der Regierung einzusetzen und den Erfolg der Politik nur an der Erfüllung seiner eigenen hohen Erwartungen festzumachen. Ich hatte auch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die vorgegebene Rollenverteilung nicht vollends außer Kraft gesetzt werden kann – die Rollenverteilung, nach der die Gewerkschaften in erster Linie Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft sind, während die Regierung Verantwortung für die gesamtstaatliche Entwicklung zu tragen hat.

Wenn jetzt in einigen Gewerkschaften offenbar eine Stimmung entstanden ist, die diese Grundsätze des gewerkschaftlichen Politikverständnisses außer Acht lässt, dann ist dies sehr bedauerlich und zeugt weder von Realitätssinn noch von ausgeprägtem Verständnis von der Funktionsweise unserer parlamentarischen Demokratie. Ungeachtet dieser schiefen Stimmungslage wollen wir gemäß unserer Tradition daran festhalten, die Politik der Regierungsparteien wie auch die der Opposition nüchtern zu prüfen, abzuwägen und unsere Entscheidungen auf der Grundlage einer fairen und konstruktiven Auseinandersetzung zu treffen. Dabei dürfen wir uns nicht allein von unseren Wünschen leiten lassen. An der Einsicht über die Grenzen des Machbaren und dem Zwang zum Kompromiss kommen wir nicht vorbei. Wer mitgestalten will, der muss bereit sein, Verantwortung zu tragen, Verantwortung auch für Lösungen, die seinen Wünschen und Zielen nicht in vollem Umfang entsprechen. An der Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme scheint es in einigen Gewerkschaften zurzeit offenbar eher zu mangeln. Unser Weg ist vielleicht ein unbequemer Weg, doch es gibt zu ihm keine Alternative, denn wir wollen unsere Form der Politikgestaltung für eine wirksame Interessenvertretung konsequent weiterführen und gestaltend auf die künftigen Rahmenbedingungen Einfluss nehmen.“

Quelle und Kontaktadresse:
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Königsworther Platz 6 30167 Hannover Telefon: 0511/7631-0 Telefax: 0511/76 31-713

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