Pressemitteilung | BDP e.V. - Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen - Bundesgeschäftsstelle

Sauberen Krieg gibt es nicht / BDP kritisiert das Herunterspielen der Vorfälle in Afghanistan

(Berlin) - Gegen das Herunterspielen des Verhaltens von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan hat sich der Berufsverband Deutscher Psychologen ausgesprochen. Allzu bereitwillig würden derzeit Politiker und Bundeswehrführung von "Dummen-Jungen-Streichen" und Einzelfällen reden. Selbst die angekündigte Überprüfung der Ausbildung geht am Kern des Problems vorbei, so der BDP. Die häufig noch sehr jungen Soldaten sind in Krisengebieten durch die latente Gefahr von Terroranschlägen einem enormen psychischen Stress ausgesetzt, betont Hauptgeschäftsführer Armin Traute. Auch die Möglichkeit, in militärische Auseinandersetzungen verwickelt zu werden, dabei selbst Schaden zu nehmen oder auf andere Menschen schießen zu müssen, ist nach den Worten des Psychologen eine starke psychische Belastung. Diese rechtfertige die jetzt bekannt gewordenen Fälle von Leichenschändung nicht, erkläre aber, wie es dazu kommen kann. Je makabrer und tabuverletzender Menschen sich in solchen Situationen verhielten, umso mehr psychischen Druck könnten sie dadurch abladen.

Jetzt so zu tun, als seien dies Einzelfälle, ignoriert aus Sicht des BDP die Erfahrungen aus allen Kriegen der vergangenen Jahrhunderte und einer ganzen Reihe von Untersuchungen zu diesem Thema. Krieg und bereits die Vorbereitung auf solche Einsätze führen - so Traute - zur Veränderung von Gruppenwerten und Normen. Die Überwindung der angeborenen Tötungshemmung sei sogar Bedingung für einen solchen Einsatz. Nicht zufällig würden - wie im April dieses Jahres - Scheinerschießungen und demütigende bis strafbare Ausbildungspraktiken aus der Bundeswehr bekannt. "Sie sind Teil eines möglichst praxisnahen Drills, der Soldaten befähigen soll, Einsätze in einer feindlichen Umwelt und in Extremsituationen zu überleben." Dabei antrainierte Verhaltensweisen und Normen haben nach Ansicht des Experten nichts mehr zu tun mit den Werten, die die gleichen Soldatinnen und Soldaten in ihren Familien vermittelt bekommen und in der Heimat auch gelebt haben. Wie stark der Wertewandel ist, macht Traute am Beispiel des britischen Soldaten deutlich, der seine Fotos von gedemütigten Irakern ohne jedes Unrechtsbewusstsein an ein gewöhnliches Filmentwicklungsstudio in Großbritannien schickte. Aus all diesen Gründen habe die kleine Gruppe, die auf den jetzt veröffentlichten Fotos zu sehen ist, die Abartigkeit ihres Verhaltens nicht mehr wahrnehmen können.

Eine weitere Ursache des Verhaltens der Soldaten sieht der BDP in der fehlenden Reife der Beteiligten. Junge Soldaten von Anfang 20 handeln nicht nur physiologisch bedingt anders als ältere (in der Regel höhere Testosteronspiegel), sondern sind auch moralisch noch keine ausgereiften Persönlichkeiten. Es fällt ihnen zum Teil schwer, unethisches Verhalten zu erkennen, dies gegen Gruppendruck abzulehnen und gegebenenfalls negative Reaktionen der Gruppe zu ertragen.

Zwar durchlaufen Bundeswehrsoldaten, die sich auf einen Auslandsaufenthalt vorbereiten, auch ein von Psychologen und Ärzten durchgeführtes Stressmanagement, in dem die Soldaten lernen sollen, mit seelischem Druck und belastenden Situationen umzugehen. Ein solches Training ist aber keine Garantie dafür, dass Einzelne nicht doch extremes Verhalten zeigen.

In ihrer Antwort auf die Anfrage der Linkspartei vom September diesen Jahres hatte die Bundesregierung ausgeführt, weniger als 1 Prozent der in Auslandseinsätzen befindlichen Soldaten leide anschließend unter dem so genannten posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS); diese Zahl sei geringer als in anderen Armeen. Nach den jetzt bekannt gewordenen Fällen darf bezweifelt werden, ob der Bundesregierung das Ausmaß an psychischer Belastung und möglichen Folgeschädigungen in ihrem vollen Umfang bewusst ist. Je öfter die Bundeswehr als "gewöhnliche Armee" in Krisengebieten eingesetzt werden wird, davon ist Armin Traute überzeugt, umso häufiger werden Fälle bekannt werden, wie der aus Afghanistan. "Keine noch so qualifizierte Ausbildung kann das verhindern. Wer das glaubt, glaubt an einen sauberen Krieg."

Quelle und Kontaktadresse:
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP), Bundesgeschäftsstelle Christa Schaffmann, Pressesprecherin Glinkastr. 5-7, 10117 Berlin Telefon: (030) 2091490, Telefax: (030) 20914966

(sk)

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