Sarah, 3 Jahre - verhungert im Jugend"hilfe"system / Wieder ein Opfer politischer Untätigkeit
(Berlin) - Mit dem Fall der verhungerten Sarah offenbart sich die ganze Dramatik des Scheiterns der Kinderschutzbemühungen in Deutschland. Trotz Lea-Sophie, Kevin und der vielen anderen toten Kinder. Trotz des beinahe zwei Jahre zurückliegenden Kindergipfels im Jahr 2007 und einer zeitweilig großen öffentlichen Aufmerksamkeit hat es diese Regierung nicht geschafft, Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen, dass auch 2008 mehr als 170 Kinder unter 14 Jahren zu Tode kamen.
Eine Familie wird jahrelang betreut. Der zuständige Sachbearbeiter, der im November 2008 das letzte Mal vor Ort war, wird wie folgt zitiert: "Er habe zwar gesehen, dass das Mädchen entwicklungsverzögert gewesen sei und einen Arztbesuch sowie Frühförderung empfohlen. Doch wir können nichts anordnen, nur anbieten" (Donaukurier Online-Ausgabe vom 11.8.2009). Die Betreuung durch das Jugendamt wird danach beendet. Obwohl die Familie über Jahre betreut werden musste, ein Kleinkind da war - also höchste Aufmerksamkeit gefordert ist - und sogar erste Anzeichen von Vernachlässigung (Entwicklungsverzögerungen) festzustellen sind, werden keine weiteren Hausbesuche durchgeführt und keine Hilfsmaßnahmen eingeleitet. Soll wirklich nur ein Abwarten auf Hinweise aus der Bevölkerung die Lösung sein?
Muss nicht gerade das Jugendamt bei bekannten Problemen das staatliche Wächteramt konsequent ausüben? Wie bitter und zynisch klingen da heute die Argumente der Gegner des Kinderschutzgesetzes, die durch die Einführung einer Hausbesuchspflicht befürchteten, die Jugendämter würden zu reinen Kontrollbehörden ausgebaut. So erklärten etwa die Familienpolitikerinnen Christel Humme und Caren Marks zum Scheitern des Gesetzes: "Neue Melde- und Kontrollregelungen à la von der Leyen waren Ausdruck einer Kontrollwut und helfen dem Kinderschutz nicht weiter".
Das ohnehin schon von den Beschlüssen des Kindergipfels auf einen inakzeptablen Minimalkonsens reduzierte Kinderschutzgesetz scheiterte im Mai dieses Jahres. Es waren politische Eitelkeiten, vor allen Dingen aber die Beharrungskräfte aus dem Jugendhilfesystem selbst, die dazu führten, dass das Kinderschutzgesetz scheiterte. Das Gesetz wäre ein erster Schritt gewesen, für Jugendämter verbindliche Standards zu schaffen, das staatliche Wächteramt zu betonen und einen Mentalitätswandel herbeizuführen.
Dieser traurige Fall verdeutlicht einmal mehr, wie dringend Deutschland endlich die Einführung bundesweit einheitlicher und verbindlicher Qualitätsstandards für Jugendämter und freie Träger benötigt. 600 Jugendämter in Deutschland arbeiten nach unterschiedlichen Standards, sofern diese überhaupt definiert sind. In zahlreichen Kommunen fehlen immer noch die gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsvereinbarungen zwischen Jugendämtern und freien Trägern. Natürlich sperren sich auch aus ökonomischen Gründen Kommunen und Trägerverbände gegen diese dringend notwendigen Qualitätsreformen, da diese viel Geld kosten und vor allen Dingen einen sozialpädagogischen Mentalitätswandel erfordern.
"Trotz des Wahlkampfes hat Deutschland noch eine Regierung und eine Bundeskanzlerin. Sind der Tod der kleinen Sarah, die Isolation der kleinen Jennifer in Brandenburg, die vielen Fälle, die es nicht in die Medien schaffen, nicht Anlass genug, für einen kleinen Moment den Wahlkampf zu vergessen und im Interesse der Kinder nun doch noch kurzfristig ein Kinderschutzgesetz zu verabschieden? Für den EU-Vertrag gibt es Sondersitzungen des Bundestages, für Opel Nachtrunden im Kanzleramt. Geschieht jetzt wieder nichts außer den üblichen Betroffenheitsbekundungen, müssen sich unsere Politiker - und zwar über alle Parteigrenzen hinweg - den Vorwurf gefallen lassen, dass ihnen der Kinderschutz schlichtweg egal ist. Der Wahlkampf und ihre persönliche Zukunft auf der einen und die Angst vor einer Auseinandersetzung mit den großen Verbänden im Jugendhilfesystem auf der anderen Seite scheinen sie davon abzuhalten, sich konsequent um die immer noch viel zu vielen toten Kinder in unserer Gesellschaft zu kümmern", so Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Kinderhilfe e.V.
Julia Gliszewska, Sprecherin des Vorstandes
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