Rentenreform: Kein Wechsel des Systems
(Berlin) - "Die am Freitag vergangener Woche mit Zustimmung des Bundesrates nunmehr beschlossenen Maßnahmen zur Rentenreform sind eine Reform im System und werden nicht zu einem Wechsel des Systems führen." Mit diesen Worten begann der Vorstandsvorsitzende des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), Dr. Erich Standfest, seinen Bericht auf der Mitgliederversammlung seiner Organisation am 15. Mai 2001 in Berlin. Dem Ziel der Stabilisierung des Beitragssatzes komme künftig mehr Bedeutung zu. Er soll bis 2020 die 20 Prozent- und bis 2030 die 22 Prozentmarke nicht übersteigen. Für den Fall des Überschreitens in der mittleren Variante der 15-jährigen Vorausberechnung des
Rentenversicherungsberichts hat die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. Nach den im Gesetzgebungsverfahren und in einer ersten Novelle vorgenommenen Änderung gilt dies auch, wenn das Nettorentenniveau 67 Prozent unterschreitet.
Nachbesserungen bei den Hinterbliebenenrenten sachgerecht
Standfest begrüßte die vom Vermittlungsausschuss empfohlenen Verbesserungen bei der Neuregelung der Hinterbliebenenrenten im Vergleich zum bisherigen Gesetzentwurf. So sollen künftig die Witwe oder der Witwer für das erste Kind zwei Entgeltpunkte sowie je einen Entgeltpunkt für alle weiteren Kinder zusätzlich zur Hinterbliebenenrente erhalten. Dies entspricht für das erste Kind derzeit einem monatlichen zusätzlichen Rentenbetrag in Höhe von knapp 100,- DM, für alle weiteren Kinder von je 50,- DM. Standfest rechnete vor, dass damit bei der Witwe eines Standardrentners - das Gleiche gilt natürlich auch für Witwer - schon bei einem Kind die Absenkung der Hinterbliebenenrente von 60 auf 55 Prozent der Versichertenrente in etwa ausgeglichen werde. Bei zwei oder mehr Kindern werde die Witwe oder der Witwer bereits besser gestellt sein als nach geltendem Recht. Dies gelte auch für alle Witwen und Witwer, deren Rente aus einer Versichertenrente unterhalb der Standardrente von derzeit 2.186,- DM im Westen beziehungsweise rund 1.902,- DM im Osten berechnet werde. Bei Hinterbliebenenrenten aus höheren Versichertenrenten werde demgegenüber diese Neuregelung mitunter erst ab zwei oder mehr Kindern zu einem Ausgleich der Minderung gegenüber dem geltenden Recht führen. Allerdings würden in vielen Fällen Witwen oder Witwer, deren Ehegatten nach dem Jahr 2001 versterben, besser gestellt als die derzeitigen Hinterbliebenenrentner.
Rentensplitting unter Ehegatten
Mit dem durch die Rentenreform eingeführten Rentensplitting unter Ehegatten anstelle einer späteren Hinterbliebenenrente soll dem Gedanken der eigenständigen Alterssicherung der Frauen Rechnung getragen werden. Standfest rief in Erinnerung, dass der Verband an der ersten Ausgestaltung des Splittings deutliche Kritik geübt habe, weil die ursprüngliche Fassung Beamte und andere Personen, die ihre Alterssicherung überwiegend außerhalb der Rentenversicherung betrieben haben, einseitig bevorzugt hätte. Daher begrüßte Standfest es, dass das Splitting nunmehr auf solche Ehepaare beschränkt worden sei, bei denen beide Ehepartner mindestens 25 Jahre an rentenrechtlichen Zeiten zurückgelegt haben.
Private Altersvorsorge - neue Beratungsaufgaben auch für die Rentenversicherung
Die Einbeziehung der betrieblichen Altersversorgung als "Zweite Säule" neben der gesetzlichen Rentenversicherung und der privaten Eigenvorsorge in die steuerliche Förderung des Reformkonzepts sah Standfest ebenfalls positiv, weil diese Systeme die Möglichkeit böten, Risiken innerhalb größerer Kollektive solidarisch und kostengünstig abzusichern. Mit dem Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung seien die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gegeben, dass alle Arbeitnehmer Zugang zu einer betrieblichen Alterssicherung bekommen könnten. Ob es gelingt, mittels Zusatzvorsorge die Sicherungslücken durch die Senkung des Rentenniveaus zu schließen, wird nach Standfests Erwartungen
maßgeblich davon abhängen, in welchem Umfang die Versicherten von den neuen Vorsorge- und Fördermöglichkeiten Gebrauch machen.
Mit der Einführung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge kommen aber auch neue Aufgaben auf die Rentenversicherungsträger zu, betonte Standfest. So können sie künftig Versicherten Auskünfte über die nach dem Einkommensteuergesetz geförderte zusätzliche Altersvorsorge erteilen. Den Rentenversicherungsträgern erwachse damit - und das sei neu - eine Aufgabe außerhalb des Bereiches der sozialen Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch. Allerdings werden solche Auskünfte nur "Wegweiserfunktion" haben können. Derzeit werde im VDR der Handlungsrahmen ausgelotet, in welchem Umfang die Rentenversicherungsträger dem Bedarf der Versicherten an objektiver, neutraler Unterstützung bei der Anlageentscheidung entsprechen können. Dies setze natürlich in erster Linie eine umfangreiche und intensive Schulung der im Auskunftswesen der gesamten Rentenversicherung tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voraus. Aufgabe der Rentenversicherung kann es aber nicht sein, so Standfest weiter, einzelne Vorsorgeprodukte zu empfehlen oder von ihnen abzuraten. Dies würde einem wettbewerbsneutralen Verhalten zu wider laufen.
Eine weitere neue Aufgabe der Rentenversicherung wird die Übernahme des sogenannten "Zulagenamtes" durch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) sein, das die Auszahlung der Förderungsbeträge technisch abwickeln soll. Hierfür sehen die Schätzungen des Vermittlungsausschusses einen Personalbedarf von rund 1000 Mitarbeitern, die in Berlin und Brandenburg eingesetzt werden sollen.
Bundesverfassungsgericht zwingt nicht zur Beitragsstaffelung in der Rentenversicherung
Standfest ging auch kurz auf das im April ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beitragszahlung in der Pflegeversicherung für Familien mit Kindern ein. Er kam dabei zu dem Schluss, dass es einer kritischen Prüfung bedarf, ob sich die Aussagen des Gerichts überhaupt auf die Rentenversicherung übertragen lassen. Verfassungsrechtlich und sachlich sei die Ausgangssituation in der Rentenversicherung eine andere. So habe das Verfassungsgericht den Gesetzgeber schon 1992 verpflichtet, der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung stärker Rechnung zu tragen. Dem sei der Gesetzgeber bereits mehrmals nachgekommen:
- Für Geburten ab 1992 werden nunmehr drei Jahre Kindererziehungszeit eingeräumt.
- Die Bewertung dieser Zeiten wurde von 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes auf 100 Prozent angehoben.
- Arbeitsverdienste während der Kindererziehung in der ersten drei Lebensjahren werden zusätzlich zur Kindererziehungszeit bei der
Rente berücksichtigt.
- Niedrige Arbeitsverdienste während der Kindererziehung bis zum 10. Lebensjahr des Kindes werden bei der Rentenberechnung zusätzlich angehoben.
- Mütter mit mehreren Kindern erhalten, auch wenn sie nicht arbeiten, Zuschläge zu ihrer Rente.
- Außerdem würden nun Kinderzuschläge zu Hinterbliebenenrenten gezahlt.
Damit findet bereits ein effektiver Familienlastenausgleich in der Rentenversicherung statt. Standfest rechnete den Delegierten seiner Organisation vor, dass nunmehr insgesamt für die Erziehung eines indes bis zu sieben Entgeltpunkte in der eigenen Versichertenrente und der Hinterbliebenenrente gutgeschrieben werden können. Die entspreche immerhin einer Monatsrente von derzeit knapp 350,- DM. Um diese zu finanzieren, müssten Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von über 73.000,- DM in die Rentenkasse gezahlt werden.
Im übrigen würde eine Beitragssatzstaffelung nach der Kinderzahl besserverdienende Eltern stärker begünstigen als Eltern mit durchschnittlichen oder geringen Verdiensten. Unter Bedarfsgesichtspunkten müsste aber die Entlastungswirkung genau umgekehrt mit sinkendem Einkommen zunehmen beziehungsweise mit steigendem Einkommen abnehmen. Eine Alternative wäre die Einräumung von Kinderfreibeträgen bei der Beitragsberechnung. Allerdings hätten Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Selbstständige und Beamte mit Kindern keine entsprechende Entlastung, obwohl auch deren Kinder später einmal Beitragszahler werden können. Ein Familienlastenausgleich könne ohne gleichheitswidrige Ergebnisse nur gesamtgesellschaftlich erfolgen. Daher würden nun die Beiträge für Kindererziehungszeiten ordnungspolitisch richtig über Steuern finanziert.
Rentenfinanzen in leichtem Plus
Die Rentenversicherung hat das Jahr 2000 mit einem Einnahmenüberschuss von rund 1,1 Milliarden DM abgeschlossen. Damit konnte die gesetzlich vorgesehene Mindestschwankungsreserve von einer Monatsausgabe in Höhe von 27,8 Milliarden DM am Ende des letzten Jahres fast erreicht werden, berichtete Standfest weiter. Auch für das laufende Jahr geht Standfest wiederum davon aus, dass die Schwankungsreserve von nunmehr 28,9 Milliarden DM trotz des auf 19,1 Prozent abgesenkten Beitragssatzes am Jahresende erreicht werde.
Mittelfristig weitere Beitragssatzsenkungen
Weitere Beitragssatzsenkungen in den nächsten Jahren erwartet Standfest nach den Annahmen der Bundesregierung zur wirtschaftlichen Entwicklung. Danach könne der Beitragssatz im nächsten Jahr auf 19,0 Prozent und für die Jahre 2003 und 2004 auf 18,7 Prozent gesenkt werden. Diese Entwicklung gehe unter anderem auf die Auswirkungen der Anhebung der Altersgrenzen in den letzten Jahren, die Reform der Erwerbsminderungsrenten sowie auf den bis zum Jahr 2004 auf 18,5 Milliarden DM steigenden Erhöhungsbetrag zum zusätzlichen Bundeszuschuss zurück.
Auch langfristig sieht Standfest den Beitragssatz zur Rentenversicherung bis zum Anfang der 20er Jahre bei unter 20 Prozent. Im Jahr 2030 werde er nach den derzeitigen Annahmen die Marke von 22 Prozent nicht übersteigen.
Rentenanpassung wieder nach Einkommensentwicklung
Entgegen den ursprünglichen Plänen der Bundesregierung werden die Renten nun in diesem Jahr doch wieder nach der Einkommensentwicklung und nicht nach der Inflationsrate des Vorjahres angehoben. Nach dem Entwurf der Rentenanpassungsverordnung beträgt der Anpassungssatz in den alten Bundesländern 1,91 Prozent , in den neuen Bundesländern 2,11 Prozent. Bei einer Anpassung entsprechend der Inflationsrate hätte sich für das gesamte Bundesgebiet eine Anpassung von 1,9 Prozent ergeben. Diese Anpassungssätze haben sich ergeben, obwohl die Bruttolöhne im letzten Jahr nur um 1,4 Prozent in den alten und um 1,6 Prozent in den neuen Bundesländern gestiegen sind. Die demgegenüber erhöhte Anpassung ist auf die Absenkung des Beitragssatzes von durchschnittlich 19,7 Prozent im Jahr 1999 auf 19,3 Prozent im Jahr 2000 zurückzuführen, der die Anpassung um etwa 0,5 Prozent gegenüber der reinen Bruttolohnanpassung erhöht hat.
Quelle und Kontaktadresse:
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger e.V.
Eysseneckstr. 55
60322 Frankfurt
Telefon: 069/15220
Telefax: 069/1522320