Rekordarbeitslosigkeit: Unnötiges und teilweise gesetzwidriges Kunstprodukt der Statistik / Institut Arbeit und Technik zu den aktuellen Zahlen
(Gelsenkirchen) - Die Rekordzahlen der Arbeitslosigkeit im Januar 2005 haben mit einer wirklichen Verschlechterung am Arbeitsmarkt nichts zu tun. Sie sind teils saisonal bedingt, teils hausgemacht. Die Dramatisierung und Skandalisierung, die sofort eingesetzt hat, gefährdet die zu erwartende Belebung von Konjunktur und Arbeitsmarkt. Zu diesem Schluss kommt der Gelsenkirchener Arbeitsmarkt-Experte PD Dr. Matthias Knuth, Wissenschaftlicher Geschäftsführer am Institut Arbeit und Technik (IAT).
Es gibt mehrere Gründe dafür, dass die offiziellen Arbeitslosenzahlen im Januar ein neues Rekordniveau erreicht haben:
1. Bedingt durch die Winterflaute am Bau und die Konsumzurückhaltung nach Weihnachten sind die Januar-Zahlen immer die schlechtesten des Jahres.
2. Zum 1. Januar 2005 mussten alle bisherigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe sowie von Sozialhilfe, soweit erwerbsfähig und noch nicht im Rentenalter, Anträge auf die neue Leistung Arbeitslosengeld II stellen. Die Bearbeitung dieser Anträge in kurzer Zeit, Anlaufschwierigkeiten der dafür eingesetzten neuen Software sowie die organisatorischen Vorbereitungen zur gesetzlich vorgeschriebenen Bildung von Arbeitsgemeinschaften mit kommunalen Trägern haben die Arbeitsagenturen sehr stark in Anspruch genommen. Dadurch ist die Vermittlungstätigkeit zurückgegangen. Zumindest in der Umstellungsphase haben die Hartz-Reformen das Gegenteil von dem bewirkt, was ihr erklärtes Ziel war.
3. Bisherige Sozialhilfe Beziehende im Erwerbsalter waren bisher zum Teil nicht arbeitslos gemeldet, weil manche Sozialhilfeträger das nicht konsequent verlangt haben. Durch ihren Antrag auf Arbeitslosengeld II wurden diese Leistungszieher nun automatisch als Arbeitslose erfasst.
4. Auch Familienmitglieder im Erwerbsalter, die von den Behörden für erwerbsfähig gehalten werden, sind nun verpflichtet, durch Erwerbsarbeit zum Unterhalt beizutragen. Durch den Antrag der Bedarfsgemeinschaft auf Arbeitslosengeld II wurden sie automatisch als Arbeitslose erfasst.
Zumindest der letzte Punkt widerspricht der gesetzlichen Definition von Arbeitslosigkeit: Diese Familienmitglieder haben sich nicht selbst arbeitslos gemeldet, und sie haben in der Regel bisher keine Beschäftigung gesucht. Dazu sollen sie vielmehr erst künftig durch Fördern und Fordern veranlasst werden. Insofern stehen sie auch nicht nur vorübergehend in keinem Beschäftigungsverhältnis, wie das Gesetz verlangt. Viele haben bisher überhaupt nicht am Erwerbsleben teilgenommen und haben auch nicht die Absicht dazu. Es dürfte sich zu einem erheblichen Teil um nichterwerbstätige Ehefrauen von bisherigen Beziehern von Arbeitslosenhilfe handeln, darunter viele ausländischer Herkunft und ohne ausreichende Deutschkenntnisse.
Durch die extensive Erfassung von Arbeitslosen verlässt Deutschland nicht nur seine eigenen gesetzlichen Grundlagen, sondern entfernt sich auch immer weiter von internationalen Standards. Schon bisher lag die nationale Arbeitslosenquote stets deutlich höher als die nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation gemessene. Dagegen ist die deutsche Sozialleistungsbezieherquote, d. h. der Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter, die von Sozialleistungen statt von Erwerbseinkünften leben, im internationalen Vergleich keineswegs besonders hoch. Die deutsche Besonderheit besteht darin, möglichst viele dieser Leistungsbezieher als Arbeitslose zu definieren. Dafür sorgen u. a. strenge Zugangskriterien zur Erwerbsminderungsrente. Deshalb ist die Vermittlungsfähigkeit eines großen Anteils der deutschen Arbeitslosen durch gesundheitliche Beeinträchtigungen eingeschränkt. Ihre Erwerbschancen verbessern sich auch durch Fördern und Fordern nicht. Mit Hartz IV werden nun alle erwerbsfähigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft zu Arbeitslosen erklärt. Die Definition von Erwerbsfähigkeit Fähigkeit, drei Stunden pro Tag zu arbeiten hat mit den realen Anforderungen am Arbeitsmarkt nichts zu tun.
Arbeitslosigkeit ist in einem weiten Bereich eine statistische Definitionsfrage. In seltener Einmütigkeit nehmen Kommentatoren aus einem breiten politischen Spektrum die neuen Zahlen zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass die Arbeitslosigkeit in Wirklichkeit noch viel höher sei wenn man auch alle Nicht-Leistungsbezieher hinzuzählt, die mutmaßlich arbeiten würden, wenn sie die Chance dazu hätten. Es stellt sich die Frage, wozu die Aufblähung der Arbeitslosenstatistik gut sein soll. Die Antwort wurde von den Arbeitgeberverbänden bereits gegeben: Noch höhere Dosis von Therapien am Arbeitsmarkt, die sich bisher schon zur Senkung der Arbeitslosigkeit als wirkungslos erwiesen haben. Aber auf die Konzessionsbereitschaft der noch Beschäftigten haben sie sehr wohl eine Wirkung. Das könnte erklären, warum eine Reform, die zur Senkung der Arbeitslosigkeit dienen sollte, so umgesetzt wird, dass das Gegenteil eintritt.
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