Reinheitsgebot statt Zwangs-Anbau von Gentechnik
(Berlin) - Eine breite Koalition von Landwirten, Lebensmittelwirtschaft, Verbrauchern, Umweltschützern, Gewerkschaften und Kirchen startet heute in Berlin eine bundesweite Postkarten-Aktion zum Schutz des Saatguts vor gentechnischer Kontamination. Bundeskanzler Schröder wird aufgerufen, ein Reinheitsgebot für nicht gentechnisch verändertes Saatgut durchzusetzen.
Die Europäische Kommission plant mit einer eher unscheinbaren, technischen Richtlinie der Gentechnik in der Landwirtschaft eine gefährliche "Hintertüre" zu öffnen. Sogenannte "zufällige und technisch unvermeidbare" Verunreinigungen von herkömmlichem Saatgut mit gentechnischen Sorten sollen künftig, je nach Pflanzenart, zwischen 0,3 und 0,7 Prozent toleriert werden, ohne dass dies gekennzeichnet werden müsste.
Die Position der Bundesregierung in dem zuständigen "Ständigen Ausschuss für Saatgut" der EU, der über Richtlinie im Oktober abstimmen soll, ist entscheidend und bisher nicht festgelegt. Während das Verbraucherministerium für ein Reinheitsgebot an der Nachweisgrenze plädiert, unterstützt das Wirtschaftsministerium bisher den Kommissionsvorschlag.
Jede zweihundertste Maispflanze, Tomate, Rübe oder Kartoffel, die auf konventionellen oder Bio-Äckern in Deutschland wächst, könnte nach dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission ein gentechnisch veränderter Organismus (GVO) sein, ohne dass die betroffenen Bauern dies verhindern könnten. Milliarden von GVOs würden sich so im vermeintlich gentechnik-freien Anbau vermehren und zwar selbst dann, wenn kein einziger Landwirt willentlich gentechnische Sorten anbaut.
Die Folgen einer solchen Form des Zwangs-Anbaus von Gentechnik bekämen alle Bereiche der Lebensmittelproduktion zu spüren: Landwirte könnten keine wirklich gentechnikfreien Produkte mehr liefern und müssten ebenso wie Lebensmittelverarbeiter und der Einzelhandel alle betroffenen Produkte daraufhin testen, ob sie nicht bereits als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssen. Für Lebens- und Futtermittel wurden von der EU unlängst verschärfte Kennzeichnungsvorschriften beschlossen.
Massive zusätzliche und überflüssige Kosten bei der Lebensmittelproduktion wären die Folge und würden gerade die treffen, die Gentechnik in ihrem Essen und ihren Produkten vermeiden wollen. Durch staatlichen Eingriff würde verhindert, dass tatsächlich der Markt darüber entscheidet, ob sich Gentechnik-Produkte durchsetzen oder nicht. Aufwand und Kosten würden der Industrie, die solche Sorten auf den Markt bringen will, abgenommen und stattdessen den Bauern und der Lebensmittelindustrie und ihren Kunden aufgebürdet. Die Kosten würden zudem insgesamt um Größenordnungen aufgebläht. Statt des Saatgutes, das am Anfang der Produktion steht, müsste die gut hunderfache Ernte-Menge auf GVOs kontrolliert werden.
Die Richtlinie würde wesentliche Sicherheitsbestimmungen des Gentechnikgesetzes und der entsprechenden EU-Gesetze de facto außer Kraft setzen. Die dort vorgesehene Kontrolle des GVO-Anbaus wäre praktisch undurchführbar, wenn sie den gesamten nicht-gentechnischen Anbau mit einschließen muß. Da Saatgut sich vermehrt und in der Natur verbreiten kann, geht es bei seiner Kennzeichnung nicht allein um eine Verbraucherinformation. Sie ist auch die Voraussetzung für vorbeugenden Umweltschutz und für eventuell erforderliche Notfallmaßnahmen. Sollte - wie in den USA bereits geschehen - ein GVO wegen möglicher Gesundheits- oder Umweltschäden wieder aus dem Verkehr gezogen werden müssen, wäre dies praktisch unmöglich, wenn er bereits im gesamten Saatgut der betroffenen Pflanzenart verbreitet wäre.
Quelle und Kontaktadresse:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Telefon: 030/2758640, Telefax: 030/27586440
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