Pressemitteilung | ULA e.V. - Deutscher Führungskräfteverband

Reform der Betriebsverfassung: Keine Entbürokratisierung auf Kosten der innerbetrieblichen Demokratie

(Berlin) - 1. Regierungsentwurf wird dem Reformbedarf nur teilweise gerecht
30 Jahre nach dem Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes haben sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die betriebliche Mitbestimmung in vielfacher Hinsicht weiterentwickelt.

Tiefgreifende strukturelle Veränderungen (eine wachsende Zahl von Fusionen, Umstrukturierungen, die Aufspaltung großer Unternehmen sowie ein genereller Trend hin zu flexiblen organisatorischen Einheiten) erschweren heute mehr denn je die Einrichtung oder den Erhalt von Betriebsräten.

Eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die veränderten Rahmenbedingungen ist daher dringend notwendig. Bei einer Novellierung muss es jedoch vorrangig darum gehen, die rechtlichen und faktischen Voraussetzungen für eine wirkungsvolle betriebliche Vertretung der Arbeitnehmerinteressen zu sichern.

Gerade in Phasen des organisatorischen Wandels soll den Arbeitnehmern auch in Zukunft eine betriebliche Interessenvertretung zur Seite stehen. Diesem Anspruch wird der vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf nur teilweise gerecht.

Zwar setzen einige Vorschläge, bspw. die Regelungen für ein Übergangs- oder Restmandat, gezielt an den organisatorischen Rahmenbedingungen für die Betriebsratsarbeit in instabilem Umfeld an und sind demnach auch zu begrüßen.

Weite Teile des Regierungsentwurfs gehen jedoch am Reformbedarf vorbei. zahlreiche inhaltlich nur sehr dürftig begründete Änderungen am Wahlrecht zielen darauf ab, die Chancen von nicht organisierten Arbeitnehmern bzw. von Mitgliedern kleiner Arbeitnehmervertretungen auf eine angemessene Vertretung im Betriebsrat drastisch einzuschränken.

Eine derartige Aushöhlung der innerbetrieblichen Demokratie ist nicht akzeptabel.

2. Die Betroffenheit der Führungskräfte und der außertariflichen Angestellten
In deutschen Unternehmen gibt es zahlreiche außertarifliche Angestellte und Führungskräfte auf mittleren Hierarchieebenen, die nicht leitende Angestellte im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sind und demnach bei Betriebsratswahlen wahlberechtigt sind.

Die Vertretungsbedürfnisse dieser Gruppe unterscheiden sich, wie die anderer betrieblicher Minderheiten, in einigen Punkten deutlich von denen der Mehrheit der Beschäftigten. Die betriebliche Interessenlage von Arbeitnehmern ist also auch weitaus differenzierter, als dies der Regierungsentwurf glauben machen will.

Ein Gesetzentwurf, der die Interessen betrieblicher Minderheiten ignoriert bzw. deren Majorisierung in Kauf nimmt, verfehlt den Anspruch, die Demokratie in den Betrieben zu stärken.

3. Pluralität in der betrieblichen Interessenvertretung ist kein Hindernis für eine wirkungsvolle betriebliche Interessenvertretung
Die Betriebsratslandschaft in Deutschland zeichnet sich traditionell durch ein beträchtliches Maß an Vielfalt aus.

Seit Jahrzehnten entfällt bei Betriebsratswahlen ca. ein Drittel der Stimmen auf ungebundene Kandidaten oder Vertreter kleinerer Arbeitnehmerorganisationen.

Für eine Abschaffung oder Modifizierung des Minderheitenschutzes bedürfte es daher überzeugender Argumente. Diese kann der Regierungsentwurf jedoch nicht liefern.

Die Behauptung, bereits die Abschaffung des Gruppenprinzips, also der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten, mache einen Minderheitenschutz überflüssig, ist unzutreffend:
Unterschiedliche Interessenströmungen auf betrieblicher Ebene können sich nämlich nicht nur innerhalb der bislang bestehenden Gruppen, sondern auch gruppenübergreifend organisieren und sich gegebenenfalls in getrennten oder auch gemischten Listen zur Wahl stellen.

Auch wird im Rückblick deutlich, dass sich die mit der Verstärkung des Minderheitenschutzes im Jahre 1988 verknüpften Befürchtungen ausnahmslos als unbegründet herausgestellt haben.

So ist die vielerorts prognostizierte „Chaotisierung und Zersplitterung“ der Betriebsratsarbeit ausgeblieben. Auch für eine Zunahme von Streitigkeiten innerhalb der Betriebsräte oder eine Einschränkung deren Handlungsfähigkeit gibt es keine Anhaltspunkte.

Auch eine Schwächung der organisatorischen Basis der DGB-Gewerkschaften in den Betrieben ist als unmittelbare Folge der damaligen Neuregelungen nicht eingetreten. So betrug der Anteil der gewählten Betriebsräte, die gleichzeitig Mitglied in DGB-Gewerkschaften sind 65 Prozent im Jahr 1984, 69 Prozent im Jahr 1990 sowie 66 % im Jahr 1994. Bei den Betriebsratsvorsitzenden liegen diese Werte noch höher.

Der auf nicht organisierte bzw. kleinen Arbeitnehmervertretungen zugehörige Betriebsräte entfallende Stimmenanteil betrug in diesem Zeitraum jeweils rund ein Drittel und ist erst bei der letzten Wahl um einige Prozentpunkte angewachsen.

Dies unterstreicht die demokratische Legitimation einer pluralistischen betrieblichen Interessenvertretung. In der laufenden wie auch in den vergangenen Wahlperioden haben diese Betriebsräte offensichtlich unter Beweis gestellt, dass sie zu einer wirkungsvollen Vertretung der betrieblichen Interessen ihrer Kollegen in der Lage sind.

4. Forderung der ULA für eine Aufrechterhalt der innerbetrieblichen Demokratie
Erhalt der Regelungen zum Minderheitenschutz, insbesondere bei Listenwahlen: Das geltende Betriebsverfassungsgesetz garantiert eine proportionale Beteiligung
von Minderheitengruppen an den Gremien der betrieblichen Mitbestimmung.

In Betrieben mit Listenwahl ist auch ein „Listenschutz“ möglich, der unabhängig vom Gruppenprinzip die Beteiligung von Listen mit weniger als 50% der Stimmen sicherstellt.

Die im Gesetzentwurf vorgesehene Ablösung des Verhältniswahlrechts durch das Mehrheitswahlrecht bei der Besetzung der Betriebsratsgremien kann im Einzelfall zu einer starken Verfälschung des tatsächlichen Wahlergebnisses führen. So kann eine (Gewerkschafts-) Liste, die nur geringfügig mehr als 50 Prozent aller Betriebsratsmitglieder stellt, alle Freistellungen für sich beanspruchen. Gleiches gilt für die Beteiligung gewählter Betriebsräte an der fachlichen Betriebsratsarbeit im Betriebsausschuss.

Eine Majorisierung von Minderheiteninteressen nach dem Motto „the winner takes it all“ wäre nicht nur undemokratisch. Sie könnte auch dazu führen, dass sich die ausgegrenzten Arbeitnehmer dauerhaft von der betrieblichen Mitbestimmung abwenden und damit die Basis aller gewählten Betriebsräte für die Zukunft geschwächt wird.

Quelle und Kontaktadresse:
Union der Leitenden Angestellten e.V. (ULA) Kay Uwe Berg Kaiserdamm 31 14057 Berlin Telefon: 030/3069630 Telefax: 030/30696313

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