Pressemitteilung | (bvse) Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V.

REACh – Contra Nachhaltigkeit und Recycling?

(Bonn) - In der Europäischen Union wird das Chemikalienrecht grundlegend verändert. Hauptinstrument dieser Neuordnung ist die sogenannte REACh-Richtlinie (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals), die insbesondere die Zulassung chemischer Stoffe und Zubereitungen regelt.

REACh sieht in einem abgestuften Verfahren die Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien und Zubereitungen vor und zwar in Abhängigkeit ihrer Toxikologie und Umweltschädlichkeit. Für eine vollständige Charakterisierung eines Stoffes werden stark unterschiedliche Beträge genannt. Mittlere Abschätzungen erwarten jedoch Kosten von etwa 50.000 Euro je Stoff. So wird für eine Vielzahl von Stoffen nur die Registrierung erforderlich sein. Obwohl REACh vor allem auf die Herstellung und den Vertrieb von Chemikalien abzielt, werden auch die hieraus hergestellten Produkte überwacht und damit auch die Zwischen- und Endprodukte der Recyclingwirtschaft.

In einem abgestuften Zeitplan soll die Registrierung von allen Stoffen und Zubereitungen, die in der EU produziert oder in die EU verbracht werden, mengenabhängig beginnen. Für Stoffe mit einer Jahresproduktmenge von über 1000 Tonnen ist die Erstregistrierung ab 2006 und die Vollregistrierung ab 2009 vorzunehmen. Die Erstregistrierungen für Jahresmengen von 100 bis 1000 Tonnen sollen in 2009 und für Jahresmengen von 10 bis 100 Tonnen in 2012 erfolgen. Hierzu sind zeitversetzt, falls für das Produkt notwendig, die erforderlichen Bewertungen und Zulassungen vorzunehmen.

Unter die Begriffe Stoffe und Zubereitungen fallen auch diejenigen Zwischen- und Endprodukte, die in der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft unter teilweiser oder vollständiger Verwendung von Sekundärrohstoffen hergestellt werden. Diese unterliegen häufig der vereinfachten REACH-Registrierung. Durch die Verweise auf den derzeit gültigen EU-Vorschlag zu REACh sowie auf das vom EU-Rat im Februar 2004 erarbeitete Non-Paper und Addendum, welches sich auf die Schnittstelle von Abfallrecht und REACh bezieht, wird immer wieder von offizieller Seite dargestellt, dass der Recyclingbereich von der Registrierung, Evaluation oder Zulassung weitgehend ausgenommen sei. Weiter wird häufig von Politik, Ministerien und Ämtern darauf verwiesen, dass REACh im vollen Umfang nur selten Anwendung finde, allenfalls dann, wenn in Produkten potentiell toxische oder gefährliche Stoffe enthalten seien.

Der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. hat bereits frühzeitig und wiederholt auf den Einfluss der EU-Chemikalienpolitik für die Entsorgung- und Recyclingwirtschaft aufmerksam gemacht. Nach Meinung des bvse blockiert REACh die werk- und rohstofflichen Verwertung unterschiedlich stark, und zwar in Abhängigkeit der jeweils eingesetzten Materialströme und ihrer chemischen Zusammensetzung. In diesem Zusammenhang ergeben sich für die Recycler folgende grundsätzlichen und systemimmanenten Probleme:

- die Heterogenität der Ausgangsmaterialien,
- unvollständige Kenntnis über die detaillierte Zusammensetzung der Spuren- und Nebenbestandteile in den Ausgangsmaterialien,
- variierende Zusammensetzung der Ausgangsmaterialien.

Anders ausgedrückt, die REACh-Anforderungen sind gut zu erfüllen, wenn große Mengen an homogenen Stoffen, deren Zusammensetzung sich nicht verändert, auf den Markt gebracht werden. Bei einer Vielzahl von Chemikalien, Arzneimitteln, Kosmetika, Reinigungsmitteln und Detergentien sind bereits die Anforderungen hinsichtlich Toxikologie und Umweltverhalten erfüllt, die jetzt von REACh neu definiert werden. Die Kosten für die Produktregistrierung und –charaktertisierung können in diesen Fällen auch auf eine entsprechende Tonnage umgelegt werden und halten sich deswegen in Grenzen.

In der geltenden europäischen und nationalen Gesetzgebung sind Wiederverwendung, Recycling und das Schließen von Stoffkreisläufen klar definierte Hauptziele. Damit keine weiteren Verzerrungen im Wettbewerb von Produkten, die ausschließlich aus Primärmaterialien hergestellt werden, mit denjenigen Produkten eintreten, die unter Verwendung von Sekundärmaterialien produziert werden, muss die Schnittstelle von REACh und Abfallrecht deshalb eindeutig definiert werden.

Natürlich muss die Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft die jeweiligen Sekundärmaterialien sehr genau charakterisieren. Dennoch bleibt anzumerken, dass Recyclingprodukte entgegen der vorgenannten statischen Prozesse einer dynamischen Welt unterliegen. Um also fortlaufend die vollständige und detaillierte Zusammensetzung aller Spuren- und Nebenbestandteile der Sekundärmaterialien zu kennen, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder werden alle Prozesse im Produktlebenslauf bis zum Recycling vollständig, d.h. über Produktherstellung, -gebrauch, -aufbereitung, und Recycling abgebildet oder die Sekundärmaterialien sind fortlaufend auf alle Inhaltsstoffe zu charakterisieren. Beide Möglichkeiten sind für viele Sekundärmaterialien unmöglich zu realisieren. Die vollständige Charakterisierung variierender Stoffe, wobei ja bereits Spurenbestandteile die Toxikologie und das Umweltverhalten verändern können - zumindesten wäre nachzuweisen, dass dies nicht der Fall ist - kann bei den meisten Recyclingprodukten nicht finanziert werden! Damit verdrängt aber REACh faktisch die Produkte vom Markt, die aus Sekundärmaterialien hergestellt werden vom Markt und dies läuft der EU-Zielsetzung hinsichtlich Schließen von Stoffkreisläufen und Nachhaltigkeit zuwider!

Bisher hat einzig der Bundesrat erkannt, dass die Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft bereits zahlreichen und sehr umfangreichen Vorschriften unterliegen, die effektiv den Entsorgungs- und Recyclingmarkt regulieren und überwachen. Auch bisher werden die Produkte, die aus Sekundärmaterialien hergestellt werden, auf ihre Toxikologie und ihr Umweltverhalten geprüft. Der Bundesrat hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause deshalb klar formuliert, dass kein weiterer Handlungsbedarf für zusätzliche Regelungen besteht.

Es entsteht immer wieder der Eindruck, dass die Probleme der Schnittstelle REACh und Abfallrecht ausgeräumt seien. Dem ist jedoch leider nicht so. Der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. verweist auf folgende zentrale Punkte, die vor der Umsetzung von REACh im Recyclingbereich unbedingt zu klären sind:

- Der Bürokratieaufwand und die Kosten für die einfache und die Vollregistrierung der relevanten Stoffe und Zubereitungen muss vor Einführung der REACh-Regelungen dargelegt werden. Alle hierfür notwendigen Formulare sind offenzulegen.
- Für kleine und mittelständische Unternehmen wird eine wesentliche Vereinfachung des REACh-Verfahrens gefordert. Der administrative Aufwand, aber auch die finanziellen Belastungen aus REACH sind zu groß und insbesondere für mittelständische Unternehmen und weiterverarbeitende Anwender nicht tragbar. So können zum Beispiel der Gebrauch und die Verwendung von Recyclingprodukten nicht in allen Fällen umfassend und abschließend dargelegt werden. Auch für diese Fälle muss es flexible Lösungen bei der REACh-Registrierung geben.
- Der Eintrag von Hilfsstoffen, Zuschlägen und Additiven in Zwischen-, Vor- und Endprodukte darf nicht zu weiteren Beschränkungen durch REACh führen.
- Die rechtlichen Verpflichtungen und ihre Konsequenzen aus der Vorregistrierung müssen in allen Punkten offen gelegt werden. Nachfristen für die REACh-Registrierungen sind einzuräumen.
- Wenn klein- und mittelständische Unternehmen für die Herstellung von Zwischen- und Endprodukten das REACh-Vollverfahren zur Registrierung, Evaluierung und Zulassung durchführen müssen, sind für diese Unternehmen finanzielle Hilfen oder entsprechende Ausgleichsmaßnahmen vorzusehen. Das hierzu erforderliche Antragsverfahren darf nicht zu einer unüberwindbaren bürokratischen Hürde für die Unternehmen werden.
- Zu klären ist auch der Umfang der direkten und indirekten Produkthaftungen, die durch REACh entstehen können und an die Aufbereiter und/oder Verarbeiter von Sekundärmaterialien weiter gegeben werden können.

In der Konsequenz sind innerhalb der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft folgende Stoffe und Zubereitungen von allen REACh-Regelungen auszunehmen:

- Sekundärprodukte, die Polymere enthalten.
- Produkte, die Altpapier enthalten.
- Produkte aus Alttextilien.
- Zwischenprodukte, die ganz oder teilweise unter Einsatz von Sekundärrohstoffen hergestellt werden.

Mittlerweile konnten einige zentrale Forderungen des bvse zu REACh geklärt werden. Dies bedeutet, dass die Registrierungen, die von einem Marktbeteiligten erarbeitet werden, in allen Mitgliedsstaaten uneingeschränkt und ohne weitere Prüfungen gelten. Zur Zeit werden verschiedene Modelle diskutiert, um die Kostenteilung für die jeweilige Registrierung auf die einzelnen Nutzer zu verteilen. Für die Entwicklung neuer Zwischen- oder Endprodukte gelten spezielle Regelungen, die die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft unterstützen.

Im Arbeitsdokument 7/04 der EU-Kommission, das aus Non-Paper und Addendum besteht, wird die Beseitigung von Abfällen eindeutig von allen REACh-Regelungen ausgenommen. Leider sind Non-Paper und Addendum nicht stringent aufgebaut. Die Beispiele für eine abgeschwächte REACh-Registrierung werden letztendlich immer dann aufgehoben, wenn die Möglichkeit besteht, dass potentiell toxische oder gefährliche Stoffe in den Produkten enthalten sind.

Von den strengen REACh-Regelungen ist die Herstellung von Produkten ausgenommen, die sich bei Verwendung von Sekundärmaterialien nicht von der Herstellung von Neuprodukten unterscheiden, das sind laut Arbeitsdokument die Papierherstellung, Glas-, Stahl- und Metallproduktion. Die Glas-, Stahl- und Metallproduktion unter Verwendung von Recyclingmaterialien ist deswegen irrelevant für REACh, da alle organische Beimengen bei deren Herstellung verbrennen. Leider relativiert das Arbeitsdokument in seinen weiteren Ausführungen die anfänglich positiven Aussagen zum Recycling von Altkunststoffen und für Produkte, die Altpapier enthalten. In Analogie hierzu muss dann auch das Textilrecycling in die untenstehenden Ausführungen miteinbezogen werden.

Das Arbeitsdokument sieht eine erleichterte REACh-Registrierung dann vor, wenn die Produkte dem bestimmungsgemäßen Gebrauch, also der down-stream Verwendung, unterliegen. Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Produkts während seiner Nutzung bis zur Entsorgung verursacht deshalb Probleme, da zahlreiche Recyclingprozesse aus dem down-stream Begriff herausfallen. Die down-stream Verwendung von Produkten findet z.B. dann keine Anwendung, wenn aus Mischkunststoffen, Altpapier und fasern aus Alttextilien andere Verarbeitungsprodukte als die ursprünglichen hergestellt werden. So hat der bestimmungsgemäße Gebrauch einer Plastiktüte zunächst nichts mit deren anteiliger Verwendung in einem Buhnenpfahl gemein. Gerade bei komplexeren Gebrauchspfaden kann der Eintrag von Schadstoffen durch den Nutzer niemals vollständig ausgeschlossen werden. Es wäre eine spannende Aufgabe, wenn Kunststoffhersteller alle Recyclingmöglichkeiten in den Produktdatenblättern auflisten müssten. Dies ist insofern schwierig, als sich immer wieder neue Einsatzmöglichkeiten von Sekundärkunststoffen ergeben, die bisher unbekannt oder unberücksichtigt waren. Dies gilt nicht nur für das werkstoffliche Recycling von Kunststoffen sondern auch beim Einsatz von Altpapier in technischen Produkten.

Von den REACh-Regelungen ist die Herstellung von Produkten aus Sekundärmaterialien ausgenommen, die sich nicht von der Herstellung von Neuprodukten unterscheiden. Streng genommen ist dies selten der Fall, da Gebrauch, Aufarbeitung und der Recyclingprozess durchaus die Gesamtzusammensetzung der Sekundärmaterialien verändert, die sich dann von den Primärmaterialien unterscheiden. Außerdem sind auch die Schritte beim Recycling nicht identisch mit der Herstellung von Produkten aus Primärrohstoffen. Die Zusammensetzung von Kunststoffen und Papier ändert sich durch Lagerung und Gebrauch, da hier vor allem Abbaureaktionen auftreten. Bei der Verarbeitung von Sekundärkunststoffen werden durch wiederholtes Erhitzen und Umformen zusätzliche Abbau- und Umbaureaktionen ausgelöst. Das Recycling hat außerdem nur eine Teilübereinstimmung mit den Verfahrenschritte, die bei der Neuherstellung anfallen. Bei Kunststoffen entfällt im Allgemeinen die Polymersation, während die Kunststoffaufbereitung Wasch- und Trennschritte erfordert.

Die REACh-Regelungen erweisen sich leider als besonders problematisch für die chemischen Verwertungsverfahren. Die Verfahren für das rohstoffliche Recycling, das sind insbesondere die Altölraffination, das rohstoffliche Kunststoffrecycling und die Herstellung von Methanol oder die Aufarbeitung von Lösemitteln, unterliegen nach dem Arbeitsdokument 7/04 ausnahmslos allen REACh-Anforderungen, da diese Prozesse gleichgesetzt werden mit der Neuherstellung von Chemikalien und Zubereitungen. Bei der Aufbereitung von Altöl werden sowohl Zwischen- als auch Endprodukte hergestellt, die zahlreiche Inhaltsstoffe haben und überdies in ihrer Zusammensetzung variieren, so dass eine Registrierung nach REACh unmöglich ist. Diese REACh-Pflichten für die Herstellung von Basisölen widersprechen somit gerade dem Vorrang der Altöl-Verordnung!

Trotz aller dargestellten Probleme, die REACh für das Recycling verursacht, soll dieser Artikel auch die positiven Punkte hervorheben. Die Verpflichtung für den Hersteller von Primärprodukten Stoffsicherheitsberichte (CSR), Sicherheitsdatenblätter (SDS) anzufertigen und/oder die Zusammensetzung des Produktes zu hinterlegen, führt dazu, dass der Umgang mit den eingesammelten Sekundärmaterialien erleichtert wird. Die Verarbeitung der Sekundärmaterialien gewinnt dadurch an Sicherheit. Der Arbeitsschutz wird somit verbessert. Die Angabe über die Produktzusammensetzung bzw. der Inhaltsstoffe der Primärprodukte ermöglicht die gezieltere Zugabe von Hilfsstoffen, Zuschlägen oder Additiven bei der Herstellung von Sekundärprodukten und damit weitere Verbesserungen der Produktqualitäten. Verbesserte Recyclingverfahren und Produktqualitäten können auf diese Weise durch gezielte Forschungs- und Entwicklungsaufträge erarbeitet werden, die von der Offenlegung der Inhaltsstoffe der Primärprodukte profitieren.

Letztendlich wird also von der EU die praxisgerechte und kosteneffiziente Umgestaltung des REACh-Verordnungsentwurfes unter Beteiligung der Recycler eingefordert, um die bestehenden Entsorgungs- und Recyclingstrukturen in den Mitgliedsstaaten im Sinne der Nachhaltigkeit zu sichern.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. (bvse) Hohe Str. 73, 53119 Bonn Telefon: 0228/988490, Telefax: 0228/9884999

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