Punktuelle Lichtblicke im Werbemarkt / Schlechteste Stimmungslage seit 1974
(Berlin) - Der Werbemarkt in Deutschland hatte im zurückliegenden Jahr 2002 eine starke Rezession zu verkraften. Wie der Präsident des 41 Organisationen umfassenden Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW), Hans-Henning Wiegmann, am 27. Mai vor Journalisten in Berlin berichtete, schrumpften die Investitionen in Werbung 2002 um 1,8 Mrd. Euro auf 29,6 Mrd. Euro (-5,9 Prozent). Damit sackten die Werbeausgaben leicht unter das monetäre Niveau von 1998, bleiben aber mit diesem Ergebnis in der Spitzengruppe unter den werbestärksten Nationen an vierter Position (US, J, GB, D).
Für das laufende Jahr sei eine seriöse Prognose angesichts der komplexen konjunkturellen Unwägbarkeiten noch nicht möglich. Es gäbe aber einige Lichtblicke wie punktuell verstärkte Werbeetats einzelner großer Unternehmen sowie tendenziell erstmals wieder leichte Wachstumsraten bei den Medien im April. So hätten Unternehmen wie Unilever, Daimler-Chrysler, Deutsche Post, Procter & Gamble oder Metro ihre Etats für klassische Werbung erheblich ausgeweitet. Auch zeige sich ein erster Ansatz zur Trendwende im Werbeverhalten: Die Teilbeobachtung des Werbemarkts durch das Forschungsinstitut Nielsen Media Research (Hamburg) weise erstmals wieder ein Plus im Monat April von 6,8 Prozent aus (März: -5,9 Prozent). Dadurch reduziert sich das Ergebnis der ersten vier Monate des laufenden Jahres auf nur noch minus 0,6 Prozent.
Insgesamt aber würden für die kommenden Jahre große Wachstumssprünge bei den Werbeinvestitionen nicht möglich sein, wenn nicht ungewöhnliche Impulse dazu führten. Solchen Prognosen fehle bisher der Boden.
Konsumpessimismus hat Marktpessimismus produziert
Das Werbejahr 2002 war laut Wiegmann eine Phase signifikanten Schwunds werblicher Impulse. Erstmals seit Jahrzehnten rutschte der Anteil der Werbeausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt auf die Marke von 1,4 Prozent. In den Dekaden davor erreichte dieser Pegel mindestens 1,5 Prozent.
Dämpfend auf die Werbeaktivitäten der Unternehmen wirkten insbesondere die Fragezeichen über der Reformdynamik in der Bundesrepublik, Angst der Beschäftigten vor Verlust des Arbeitsplatzes, Konsumbremsen durch weitere Kurseinbrüche an den Finanzmärkten, die Flutkatastrophe im Osten Deutschlands sowie die heftig geführte Debatte über den Irak-Krieg. Hinzu kam als negative psychologische Grundierung des Werbegeschehens die Debatte um die Effekte der Einführung des Euro.
"Der Konsumpessimismus in der Bevölkerung fand seine Entsprechung im Marktpessimismus von werbenden Firmen", so Wiegmann. Die Erfahrung aus der Werbekrise 2002 wird Prognosen über den deutschen Werbemarkt künftig erschweren: Die Einflussfaktoren werden vielfältiger und schwerer kalkulierbar. Die Sensibilität der Werbeinvestoren steigt, und damit wird der Werbemarkt anfälliger als in den zurückliegenden Jahrzehnten weitgehend kontinuierlichen Wachstums.
Zu dieser neuen Unübersichtlichkeit gehört gleichfalls das gemischte Werbeverhalten der Branchen. Der Trend dort lautet: Es gibt keinen. Von den 50 werbeintensivsten Wirtschaftsbereichen haben 26 ein Plus vor ihren Werbeausgaben. Dass es dennoch zur Werbekrise kam, ist auf einen einfachen Sachverhalt zurückzuführen: Wer seine Werbeinvestitionen reduzierte, tat dies kräftiger als derjenige, der sie erhöhte.
Aufgehalten haben den Abschwung auch nicht die vier werbestärksten Branchen in Deutschland, obwohl sie mehr Geld in ihre Werbung steckten an der Spitze die Massenmedien mit +3 Prozent auf 1,8 Mrd. Euro, die Automobilindustrie mit +5,6 Prozent auf 1,6 Mrd. Euro, die Handelsorganisationen um sogar +6,9 Prozent auf 1,3 Mrd. Euro und die Heilmittelbranche mit +3,4 Prozent auf 0,6 Mrd. Euro.
Medien: Teils dramatische Schleifspuren der Werberezession
Die Folgen von Ausschlägen im Werbemarkt bekommen, so Wiegmann, im Guten wie im Schlechten vor allem die Medien zu spüren. Sie erwirtschaften aus dem Geschäft mit der Verbreitung von Werbung einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes. An den gesamten Werbeinvestitionen profitieren sie mit durchschnittlich 70 Prozent.
Aus Sicht der Medien sei das Werbejahr 2002 schlecht bis katastrophal einzuordnen. Als Werbeträger verloren sie rund 1,6 Mrd. Euro, ein Schwund von 7,5 Prozent auf 20 Mrd. Euro (Vorjahr: 21,7 Mrd. Euro; -7,2 Prozent).
Käme es im Jahr 2003 mit seinen großen konjunkturellen Unwägbarkeiten erneut zum Minus bei den Werbeeinnahmen, wäre diese Talfahrt ohne Beispiel: Noch nie in der Geschichte der Medien in Deutschland hätte es einen drei Jahre währenden Abwärtstrend gegeben. "Heftige Verwerfungen im deutschen Medienparadies das ja auch eine entsprechend hoch entwickelte Werbeträgerstruktur zu bieten hat wären dann nicht mehr auszuschließen", so Wiegmann.
Bemerkenswert bei der ZAW-Verlustanalyse 2002 ist der proportional ähnliche Rückgang bei Presse und Elektronik. Zeitungen, Anzeigenblätter und Zeitschriften verloren 10 Prozent ihrer bisherigen Werbeeinnahmen, die elektronischen Medien 11,5 Prozent. Dieses Verhältnis zeigt sich spiegelbildlich auch an den monetären Daten. So verminderten sich die Werbeeinnahmen der Pressemedien um 1,1 Mrd. Euro und kamen auf nur noch 11 Mrd. Euro. Die elektronischen Medien mussten einen Rückgang von 0,55 Mrd. Euro hinnehmen; sie fielen auf 4,8 Mrd. Euro zurück.
Die Tageszeitungen als monetär stärkster Werbeträger traf die Werbekrise am heftigsten. Sie mussten einen Verlust ihrer Werbeeinnahmen um 706 Mio. Euro auf 4.947 Mio. Euro hinnehmen ein Minus von 12,5 Prozent. "Diese Einbuße ist betriebswirtschaftlich besonders schmerzhaft, nachdem die Tageszeitungen bereits im Jahr zuvor den Verlust von 914 Mio. Euro zu verkraften hatten", erläuterte Wiegmann.
Auch der monetär zweitstärkste Werbeträger, das Fernsehen, konnte sich dem Minussog nicht entziehen. Die Sender verloren 513 Mio. Euro (-11,5 Prozent) und damit mehr als das Zweifache dessen, was sie an roten Zahlen bereits im Jahr 2001 abzuschreiben hatten.
Alle anderen Werbeträger landeten gleichfalls in der roten Zone bis auf Werbung per Post (+79 Mio. Euro) und das Internet (+42 Mio. Euro). Werbung in Online-Diensten setzte ungeachtet der rezessiven Tendenz im gesamten Werbemarkt seinen Aufstieg fort und erreichte 227 Mio. Euro, das waren 22,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Das kontinuierliche Wachstum hat unterdessen dazu geführt, dass von den 13 erfassten Werbeträgern die Werbung im Internet von Platz 13 auf Rang 11 aufgerückt ist und der Marktanteil am Werbegeschäft die 1-Prozent-Hürde übersprungen hat.
Minus auch in anderen Branchen
Erosionen im Werbemarkt haben nicht nur Folgen bei Medien und Werbeagenturen. Auch andere Branchen profitieren oder leiden mit dem Werbeverhalten der Firmen.
Dass die Werbeagenturen mit ihrem Umsatzverlust nur bei minus 1,8 Prozent auf 12,5 Mrd. Euro gegenüber dem Vorjahr kamen, hat vor allem etwas mit der Ausweitung ihres Geschäfts zu tun: Ihre Erlöse stammen nicht mehr nur aus dem Anteil an den Werbeeinnahmen in klassischen Medien, sondern entspringen zunehmend in den letzten Jahren auch aus anderen Beratungsleistungen.
Anders die Druckindustrie, die zu mehr als 60 Prozent abhängig von Aufträgen aus der Werbewirtschaft ist. Im Jahr 2002 führte insbesondere die Werbeflaute zu einem Rückgang der Erlöse im Druckgewerbe um 4 Prozent auf 16,5 Mrd. Euro. Bereits 2001 waren wegen der abgeschwächten Werbekonjunktur die Umsätze der Druckindustrie um 3 Prozent gesunken.
Das schwache Werbeaufkommen sowie die gesunkenen Zeitungs- und Zeitschriftenumfänge haben auch auf die Papierindustrie durchgeschlagen. Betroffen von geringer Nachfrage sind vor allem die Papiere für den Zeitungsdruck, aber auch für den Druck von Magazinen, Katalogen und Werbebeilagen. Insgesamt musste die Papierindustrie einen Umsatzrückgang um 3 Prozent auf 12,3 Mrd. Euro hinnehmen.
Die Marktforschung hat dagegen offenkundig von der Lage im Werbemarkt und der deutschen Wirtschaft profitiert. Der Umsatz der Marktforschungsinstitute erhöhte sich um 4 Prozent auf 1,6 Mrd. Euro gegenüber dem Vorjahr. Für die kommenden Jahre werden ähnliche Wachstumsraten erwartet.
Werbliche Grenzüberschreitungen die Ausnahme
Obwohl der Wettbewerbsdruck durch die lahmende Konjunktur zugenommen hat, ist die Werbung in Deutschland nicht härter geworden. Aggressive Werbetechniken, denen es primär um Aufmerksamkeit geht, erreichen zwar verstärkt Medienreaktionen, sind aber kein Trend im deutschen Werbemarkt.
Die meisten Unternehmen und die sie beratenden Kommunikationsagenturen wissen, dass Aufsehen noch kein erstrebtes Ansehen bedeutet und die Markenidentität beschädigen kann. Die Auswahl von Stilmitteln für die Werbegestaltung ist immer vielfältiger geworden. Erotische Werbung steht neben biederer, laute neben sensiblen emotionalen Auftritten.
In den neunziger Jahren ist in den Werbebildern vor allem die Frau stärker in den Blickpunkt gerückt, nachdem sie sich in der Gesellschaft eine bessere Position erkämpft hatte. Ebenso spiegelt sich die Pluralität der Lebensformen in der Werbung insofern wider, als dass nun zum Beispiel auch Homosexuelle direkt und nicht mehr nur verdeckt in werbliche Darstellungen einbezogen werden.
Verstärkt rücken auch ältere Menschen in die Bildersprache der Werbung. Dieser Trend wird sich vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in den kommenden Jahren intensivieren.
Konsumenten mehrheitlich pro Werbung
Das Meinungsklima für die Werbung ist bei den Verbrauchern in Deutschland nach wie vor äußerst stabil. Im Vergleich mit dem Image der Arbeit anderer gesellschaftlicher Bereiche wie Politik, Gewerkschaften oder Kirchen kann die Werbung der Wirtschaft selbst in Krisenzeiten auf ein weitgehend fest verankertes Wertegefühl in der deutschen Bevölkerung verweisen.
53 Prozent der Bürger ab 14 Jahren bestätigen die Nützlichkeit der Werbung durch Hinweise auf neue Produkte. 44 Prozent stufen Werbung als hilfreich für den Verbraucher ein.
Auch bei vertiefenden Fragen komplexer Zusammenhänge bestätigt sich die positive Grundstimmung in der Bevölkerung gegenüber der Markt-Kommunikation der Wirtschaft.
Schlechteste Stimmungslage seit 1974
Die Stimmungslage bei den 41 ZAW-Mitgliedsverbänden ist vor dem Hintergrund der komplexen Unsicherheiten gemischt, wie die ZAW- Frühjahrsumfrage ergeben hat. 56 Prozent von ihnen gehen von Stagnation im Werbemarkt des Jahres 2003 aus und 19 Prozent von fortgesetzter Rezession. Verhaltene Zuwächse erwarten ebenfalls 19 Prozent. Im Gesamturteil der Lage der Werbewirtschaft in Deutschland in Zusammenhang mit Wirtschaft, Politik und Gesellschaft überwiegen die negativen Einschätzungen. 38 Prozent der ZAW-Verbände stufen die Situation der Branche als "weniger gut" ein, 53 Prozent als "schlecht" und 6 Prozent sogar als "sehr schlecht".
"Dies ist das schlechteste Stimmungsbild seit Start unserer Frühjahrs- und Herbstumfragen im Jahr 1974. Ursache dafür ist nicht nur die gegenwärtig trübe ökonomische Lage. Auch Projekte der politischen Bedrohung von Redefreiheit der Firmen in ihren Märkten belasten das Klima in der Werbewirtschaft", erläuterte Wiegmann.
So sei es zwar Aufgabe der EU, und insbesondere der Europäischen Kommission, den Binnenmarkt der Gemeinschaft zu fördern vor allem durch Deregulierung, Entbürokratisierung und Harmonisierung von Rechtsunterschieden, wenn sich grenzüberschreitende Probleme im Wettbewerb ergeben. Die Realität dagegen sei eine andere: Auf zahlreichen Feldern wolle die EU die ohnehin bereits streng reglementierte Meinungsfreiheit der Unternehmen in ihren Märkten zusätzlich behindern.
Als Beispiel der zahlreichen politischen Projekte von Werbezensur erläuterte Wiegmann den Plan der EU-Kommission eine Verordnung zu erlassen, mit der die Werbung für Lebensmittel europaweit umfassend gesetzlich reglementiert und erheblich bürokratisch konstruierter Kontrolle unterworfen werden soll. Es seien Vorschriften geplant, die Werbeaussagen wegzensieren wie zum Beispiel "Obst ist gesund", "Haribo macht Kinder froh" oder "Red Bull verleiht Flügel". Da lasse sich ahnen, welcher Geist in Brüssel die Feder führe.
Bedenklich werde in diesem Zusammenhang die Gemengelage mit Blick auf die Bundesregierung. Berlin unterstütze das Projekt der EU-Kommission. In dem jetzt vom Berliner Kabinett verabschiedeten "Aktionsplan Verbraucherschutz" unterstreiche die Rot-Grüne Koalition, dass sie dem Vorhaben zustimmt, offenbar vorbehaltlos. Damit bestätige sich die vom ZAW verschiedentlich geäußerte Befürchtung des Schulterschlusses zwischen der werbefeindlichen Politik Brüssels mit der in Deutschland wiederbelebten verbraucherpolitischen Ideologie der 70er Jahre.
Angekündigt hatte sich diese Abkehr von Grundsätzen der Marktwirtschaft bereits vor Monaten, als Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast die Werbung der Lebensmittelindustrie für Übergewicht insbesondere bei Kindern verantwortlich gemacht und Beschneidungen der kommerziellen Kommunikation der Branche angekündigt hatte.
Dazu der ZAW-Präsident: "Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen - die Wirtschaft ist sich ihrer Verantwortung nicht nur für einwandfreie Produkte, sondern auch für verantwortungsvolle Markt-Kommunikation sehr bewusst - wie die Arbeit des Deutschen Werberats und dessen Verhaltensregeln vor allem im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen demonstriert. Wir werden uns aber entschieden gegen eine nationale und europäische Politik wehren, die immer stärker in Ideologie abgleitet, damit realitätsfremd wird und sich gegenüber umfassenden wissenschaftlichen Erkenntnissen faktenresistent zeigt."
Der ZAW werde alle Anstrengungen unternehmen, breite Bevölkerungskreise mit den Zusammenhängen zu befassen. Es gehe um mehr als nur um Werbung: Es gehe um das Wettbewerbssystem der Marktwirtschaft, die allen zugute komme, wenn man sie funktionieren lässt.
Diese Auseinandersetzung werde der ZAW in den kommenden Monaten nicht nur in Sachen Lebensmittelwerbung führen, sondern überall dort, wo die Kommunikationsfreiheit der Wirtschaft aktuell bedroht ist - zum Beispiel die Werbung für legale Produkte wie Tabakwaren, alkoholische Getränke oder Autos.
Quelle und Kontaktadresse:
Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V.
Villichgasse 17, 53177 Bonn
Telefon: 0228/820920, Telefax: 0228/357583
Weitere Pressemitteilungen dieses Verbands
- DIW-Econ-Studie belegt erstmals empirisch die ökonomische Bedeutung der Werbung. Werbewirtschaft trägt rund 1,5 Mrd. Euro zum prognostizierten BIP-Wachstum 2016 bei
- Sorge um Werbeaufschwung 2014 - Branche fordert verlässliche Rahmenbedingungen
- ZAW-Trendanalyse Arbeitsmarkt - Werbeexperten 2013 weniger nachgefragt, 2014 wieder mehr Stellen