Politik hat Chance zur Reform verpasst / Thesen des Marburger Bundes zur Neugestaltung des Auswahlverfahrens im Fach Humanmedizin
(Berlin) - Das Bundesverfassungsgericht wird am 4. Oktober darüber verhandeln, ob die für die Vergabe von Medizinstudienplätzen bestehenden bundes- und landesgesetzlichen Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Im Fokus steht dabei die Frage, ob die in den ersten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Numerus clausus (NC) aus den 1970er Jahren vorgenommenen Konkretisierungen des Grundrechts auf freie Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte fortentwickelt werden müssen. "Mit dem Masterplan Medizinstudium 2020 bestand die Chance, das Zulassungsverfahren zum Medizinstudium auf eine rechtssichere und vor allem sachgerechte Grundlage zu stellen. Diese Chance hat die Politik bisher verpasst. Jetzt richten sich alle Augen wieder einmal nach Karlsruhe, wo erneut über politische Versäumnisse und Fehlkonstruktionen entschieden wird", sagte Armin Ehl, Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes.
Der stark gestiegene NC und die zunehmende Zahl notwendiger Wartesemester haben berechtigte Zweifel an der bisherigen Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin hervorgerufen. Zwar ist die Abiturnote für die Studienplatzvergabe nicht völlig verzichtbar, allerdings ist keine Evidenz bekannt, dass sie der einzige verlässliche und objektive Indikator für den Studienerfolg ist. "Ein sachgerechtes Verfahren zur Auswahl geeigneter Bewerber ist durch die Überbetonung der Abiturnote derzeit nicht gewährleistet. Der Marburger Bund plädiert daher dafür, die beiden Hauptquoten - Abiturnote und Auswahlverfahren der Hochschulen - zusammenzuführen. In dieser neuen Quote sollten die Ergebnisse des Schulabschlusses niedriger als bisher gewichtet und weitere Auswahlkriterien mit entsprechender Aussagekraft, wie beispielsweise Sozialkompetenz und Motivation, stärker und möglichst bundeseinheitlich berücksichtigt werden", heißt es in einem aktuellen Thesenpapier des MB zur Neugestaltung des Auswahlverfahrens im Fach Humanmedizin.
60 Prozent der Studienplätze können die Hochschulen schon jetzt nach eigenen Kriterien in einem eigenständigen Auswahlverfahren besetzen. Bisher erfolgt dies aber nur punktuell und in sehr unterschiedlicher Form. "Um sicherzustellen, dass alternative Kriterien neben der Abiturnote auch tatsächlich berücksichtigt werden, muss das Auswahlverfahren an den einzelnen Universitäten nach einheitlichen Standards, gegebenenfalls mit unterschiedlicher Gewichtung einzelner Kriterien durch die Hochschulen, erfolgen", fordert der Marburger Bund.
Die große Diskrepanz zwischen der Bewerberzahl und den vorhandenen Medizinstudienplätzen ist nicht nur für diejenigen frustrierend, die oft mehrere Jahre warten müssen, bis sie ihr Wunschstudium aufnehmen können oder die in absehbarer Zeit gar keinen Studienplatz erhalten. Es ist auch versorgungspolitisch höchst problematisch, die Studienkapazitäten auf einem Niveau einzufrieren, wie es Mitte der 1980er Jahre in der Zeit vor der Deutschen Einheit bestand. Deshalb plädiert der MB dafür, eine neue Methode zur Berechnung geeigneter Kapazitäten zu entwickeln, die sowohl versorgungspolitische Engpässe als auch das Grundrecht der Bewerber auf freie Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 3 Grundgesetz berücksichtigt. Unterfüttert werden muss dieses neue Kapazitätsrecht durch die Festlegung einer ausreichenden Finanzierung.
Nimmt man den Stand vor der Deutschen Einheit zum Maßstab, müssten heute unter Einbeziehung der medizinischen Fakultäten in den ostdeutschen Bundesländern rechnerisch mindestens 16.000 Plätze pro Jahr zur Verfügung stehen. Stattdessen gibt es gegenwärtig jährlich etwa 10.600 Plätze für Studienanfänger. Dabei wächst der Ersatzbedarf an Ärzten von Jahr zu Jahr - nicht nur wegen des allgemeinen demografischen Wandels, sondern vor allem auch wegen der Ruhestandswelle, die auf die Ärzteschaft zurollt, wenn die Babyboomer-Generation in den zehn bis 15 Jahren aus dem Beruf ausscheidet. Der Marburger Bund erachtet deshalb neben der Reform des Auswahlverfahrens eine Erhöhung der Anzahl der Studienplätze um mindestens 10 Prozent für absolut unerlässlich.
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