PISA allein macht noch keine gute Schule
(Frankfurt am Main) - Erstmals findet in Deutschland der supranationale soziale Dialog von Regierungen und Bildungsgewerkschaften statt. Veranstalter des International Summit on the Teaching Profession ISTP sind OECD, Education International EI, die weltweite Dachorganisation der Bildungs- und Lehrergewerkschaften, sowie das ausrichtende Land.
GEW und VBE als Mitglieder der EI sind neben der Kultusministerkonferenz nationale Gastgeber dieses 6. Internationalen Bildungsgipfels zum Lehrerberuf ISTP, der morgen in Berlin beginnt.
"Der Kongress eröffnet den Raum für einen internationalen Dialog, an dem Bildungsministerien, Gewerkschaften und Experten der OECD teilnehmen. Mit Blick auf die weltweiten Fluchtbewegungen und die wachsende soziale Ungleichheit in den Gesellschaften, stellt sich die Frage neu, wie gute Bildungspolitik zu gestalten ist und über welche Kompetenzen Lehrkräfte verfügen müssen. Der Kongress bietet die Möglichkeit, gemeinsam nach Antworten auf diese Herausforderungen zu suchen", sagt Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
"Krieg und Flucht verlangen, dass wir unseren Blickwinkel erweitern: Wir wollen mit der OECD darüber diskutieren, dass die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen nicht nur auf Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen konzentriert werden darf. Immer wichtiger wird die Erziehung zum 'Global Citizen', zur Weltbürgerschaft. Themen wie Friedfertigkeit, Toleranz und Respekt müssen wieder stärker in den Fokus schulischer Bildung rücken", betont Tepe. "Konkret: Die 'Politische Bildung' der Schülerinnen und Schüler, die in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden ist, muss wieder gestärkt werden."
Auch in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte müsse entsprechend reagiert werden. "Lehrkräfte brauchen zusätzliche Kompetenzen, um die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler inklusiv zu gestalten", unterstreicht Tepe. Die GEW erarbeite in ihrem "Zukunftsforum Lehrer_innenbildung" Lösungsvorschläge. "Doch damit allein ist es nicht getan. Für eine gelingende Inklusion brauchen Schulen personelle und materielle Ressourcen sowie systemische Unterstützung.
Insofern fokussieren sich in der Flüchtlingsfrage die ungelösten Probleme des Schulwesens in Deutschland wie in einem Brennglas."
"Der VBE setzt darauf, dass der ISTP in Berlin das bildungspolitische Kernziel, die Lücke zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen zu schließen, nicht nur benennt, sondern die Politik dazu bewegt, die Dringlichkeit politischen Handelns anzuerkennen", betont VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann. "Die Fokussierung auf die Stärkung des Lehrerberufs ist wichtig, doch muss klar sein, dass allein die Politik in der Verantwortung steht, nachhaltig die nötigen Gelingensbedingungen bereitzustellen."
Der Dialog von Regierungen und Bildungsgewerkschaften auf Augenhöhe könne ein wichtiges Instrument sein, im weltweiten Vergleich die Perspektiven des Lehrerberufs zu justieren und Rahmenkriterien für die Qualitätsentwicklung von Schule zu entwickeln. Beckmann unterstreicht: "Die Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland stellen sich hochmotiviert der Herausforderung inklusiver Beschulung und der Integration von Flüchtlingskindern. Sie vollbringen trotz mangelnder Gelingensbedingungen Meisterleistungen, um ihre Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern und bestmöglich auf das Leben vorzubereiten. Die Antwort der Politik auf diesen Einsatz empfinden die Lehrkräfte als enttäuschend. Das Vermessen per Schülerleistungsvergleichen, Kompetenzorientierung und Bildungsstandards haben Alibifunktion, solange die nötige Verbesserung der Bedingungen der Schule vor Ort nicht stattfindet." Die Orientierung der Schulen auf die messbaren PISA-Fächer und der Druck auf die staatlichen Bildungsetats infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise haben zu einer Einschränkung des allgemeinbildenden Anspruchs geführt, so Beckmann. "Um die Lücke zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen der Schüler zu verringern, um Chancengleichheit zu sichern, bedarf es einer umfassenden finanziellen Absicherung des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags. Dies ist allein Aufgabe des Staates."
Quelle und Kontaktadresse:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
Ulf Roedde, Pressesprecher
Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt am Main
Telefon: (069) 78973-0, Fax: (069) 78973-201
Weitere Pressemitteilungen dieses Verbands
- Annett Lindner verantwortet jetzt Tarif- und Beamtenpolitik der GEW
- "Nach der Reform ist vor der Reform" / Bildungsgewerkschaft zur abschließenden Beratung der 29. BAföG-Novelle im Bundestag
- GEW, AWO und KTK fordern Politik auf, schnell zu handeln / "Bündnis Kita-Bundesqualitätsgesetz" zur Anhörung im Familienausschuss: Krise der Kindertagesbetreuung beenden