Orwellsche Sprache: "Schienenwegeausbau" meint Netzabbau
(Berlin) - Die am 1. Juli im Bundestag verabschiedeten Ausbaugesetze für Fernstraßen und Schienenwege fördern erneut den Straßenverkehr. Die Bahnexpertengruppe "Bürgerbahn statt Börsenbahn" stellt darüber hinaus fest: Im Fall der Schienenwege gibt es keinen Ausbau, sondern einen fortgesetzten weiteren Abbau.
Die neuen Ausbaugesetze für Fernstraßen und Schienenwege sind auf mehreren Ebenen zu kritisieren. Gefördert wird die Straße vor der Schiene. 77,5 Milliarden sollen in den Fernstraßenbau, 63,9 Milliarden in Schienenwege fließen. Der Anspruch der Bundesregierung bzw. von SPD und Grünen, eine wenigstens formale "Gleichberechtigung" zu erreichen, wurde faktisch aufgegeben. Während die Schienenwege als Ganzes erfasst werden, wird im Fall der Straßen ausschließlich der Fernstraßenbau berücksichtigt. Werden korrekterweise die Gemeinde- und Kreisstraßen einbezogen, so wird die ungleiche Behandlung von Straße und Schiene noch offensichtlicher. Die Infrastruktur des Flugverkehrs bleibt weiter außen vor. Neue Startbahnen und neue Regionalflughäfen erzeugen jedoch ebenfalls Verkehr. Damit bleibt ein Verkehrssektor ausgeblendet, der die größten Wachstumsraten aufweist und zugleich insbesondere im Kurzstreckenbereich mit den größten Belastungen für Menschen, Umwelt und Klima verbunden ist.
Mit den Billigflügen im Kurzstreckenbereich wird der Flugverkehr zunehmend zur Konkurrenz zum Schienenfernverkehr. Die "Ausbaugesetze" sind bedrucktes Papier, das mit der Wirklichkeit wenig gemein hat. Insbesondere die Finanzierung der dort festgeschriebenen Schienenwegeinvestitionen ist nicht gesichert. Die jährlichen Scheinenwegeinvestitionen werden nach offiziellen Haushaltsplanungen von aktuell rund 3,7 Milliarden Euro auf 2,3 Milliarden Euro sinken. Entscheidend ist jedoch die stoffliche Seite. Während die Ausbaustandards im Straßennetz sich ständig verbessern (vierbahnige Bundesstraßen, sechsbahnige Autobahnen), verschlechtert sich der Zustand des verbliebenen Schiennetzes (große Zahl von Langsamfahrstellen, Herausnahme von Weichen und Nebengleisen, radikale Reduktion der Gleisanschlüsse von Unternehmen).Während das Straßennetz tatsächlich Jahr für Jahr um rund 1.000 km verlängert wird (alle Straßengattungen addiert), wird das Schienennetz jährlich um rund 500 km reduziert. 1960 hatte das Schienennetz der alten Bundesrepublik Deutschland eine Betriebslänge von 36.000 km; 1990 waren es noch 29.900. 1991 hatte das gesamtdeutsche Schiennetz eine Länge von 44.100 km. Inzwischen sind es nur noch 39.500 km.
Die Verkehrspolitik benutzt eine Orwellsche Sprache, wenn sie vom "Ausbau" der Schienenewege spricht, aber den Abbau betreibt. In der Verkehrspolitik gilt, was man in Bürgerinitiativen immer wusste: Wer Straßen sät und Flughäfen baut und ausbaut, wird Verkehr auf Straßen und in der Luft ernten. Wer Schienenwege abbaut, wird Fahrgäste im Schienenverkehr verlieren. Unsere Forderung nach einer "Flächenbahn" und einer "Bahn für alle" ist kein ideologisches Konstrukt. Es ist das einzige Konzept, das einer notwendigen Politik der Verkehrswende die Basis, die Infrastruktur, verleiht.
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