Opferbefragung im Strafprozess: Betroffene bereits ausreichend geschützt
(Berlin) - Hamburg möchte Opfer schwerer Sexualstraftaten vor belastenden Zeugenvernehmungen vor Gericht schützen. Eine Regelung der Strafprozessordnung, die bislang für minderjährige Opferzeugen gilt, soll auf Erwachsene ausgedehnt werden.
Demnach sollen nur Richterinnen und Richter die Geschädigten befragen dürfen. Eine entsprechende Gesetzesinitiative bringt Hamburg am 12. Februar in den Bundesrat ein. Sowohl der Ausschuss Strafrecht als auch die Taskforce "Anwalt für Opferrechte" des Deutschen Anwaltvereins (DAV) sprechen sich gegen die Initiative aus.
Statement von Rechtsanwalt Dr. Holger-Christoph Rohne von der Taskforce "Anwalt für Opferrechte" im DAV:
"Es ist wichtig, dass Betroffene mit der nötigen Sensibilität befragt werden. Die vorgeschlagene Regelung ist allerdings problematisch. Denn längst nicht alle Betroffenen sind gleich schutzbedürftig. Zudem gibt es bereits genügend Instrumente, um eine angemessene Befragung sicherzustellen, etwa eine Beanstandung von Fragen oder Ausschluss der Öffentlichkeit.
Die Verteidigung eines Angeklagten sollte und darf entscheiden, was und wie sie fragt. Und sie weiß in der Regel auch, wie sie dabei vorzugehen hat. Keine vernünftige Verteidigung quält die Betroffenen bei klarem Sachverhalt - auch, weil sich das im Fall einer Verurteilung sicher nicht positiv für den Mandanten auswirkt. Die vorgeschlagene Regelung untergräbt das Recht des Angeklagten auf konfrontativen Befragung und effektive Verteidigung nach Art. 6 Abs. 3 EMRK - ohne einen viktimologischen und forensischen Beleg dafür, dass das aktuell überhaupt notwendig ist. Wenn die Verteidigung einen Zeugen nicht mehr konfrontativ befragen dürfte, könnten wir nicht mehr von einem fairen Verfahren sprechen. Zudem sind nicht alle Zeugen tatsächlich Geschädigte. Die Initiative setzt dies aber implizit voraus.
Wenn eine Änderung wirklich erforderlich ist, sollte es eine mildere Maßnahme sein - etwa die Möglichkeit, in besonders begründeten Fällen bestimmte Fragen nur über die Richterinnen und Richter stellen zu lassen. Dies müsste aber revisibel sein, um einem exzessiven Gebrauch entgegenzuwirken."
Statement von Rechtsanwältin Gül Pinar vom Ausschuss Strafrecht des DAV:
"Der Gesetzesantrag ist praxisfern und lässt jegliche wissenschaftliche Grundlage vermissen. Zunächst einmal setzt der Antrag voraus, dass die als Geschädigte vernommenen Zeugen tatsächlich Geschädigte sind. Zudem ist eine mittelbare Befragung durch die Richterin oder den Richter keineswegs immer angenehm für die Betroffenen. Jeder, der im Gerichtssaal einmal eine mittelbare Befragung erlebt hat, weiß, wie anstrengend das sein kann - auch für die Zeuginnen und Zeugen.
Allein das Delikt macht sie nicht zu derart vulnerablen Zeugen, dass die Zurückweisung oder Beanstandung von unzulässigen Fragen nicht ausreichen würde. Denn das ist ja bereits jetzt möglich.
Bei den Regelungen von § 241a Strafprozessordnung (StPO), nach denen minderjährige Zeuginnen und Zeugen vor unmittelbarer Befragung geschützt sind, spielen auch entwicklungs- und vernehmungspsychologische Aspekte und die altersbedingte Vulnerabilität eine Rolle. Das lässt sich nicht ohne Weiteres auf Erwachsene übertragen. Auch junge Zeugen tun sich übrigens immer wieder schwer mit einer mittelbaren Befragung. Sie reagieren oft mit Unverständnis. Manche antworten trotzdem sofort auf die Fragen der Verteidigung.
Gleichzeitig würde die Regelung - wieder einmal - die Rechte des Angeklagten aushöhlen. Mit dem Vorschlag wird das Recht der konfrontativen Befragung und der effektiven Verteidigung nach Art. 6 Abs. 3 EMRK beschnitten - ohne einen viktimologischen und forensischen Beleg für eine aktuelle Notwendigkeit."
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV)
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